Allergikerfreundliche Autos, Bio-Arzneimittel oder „Medikamente des Jahres“: Hersteller werben mit unterschiedlichen Siegeln für ihre Produkte, um Patienten zu ködern. Wissenschaftlich betrachtet steckt wenig hinter so manchem Prädikat.
Produkt-Auszeichnungen beeinflussen Konsumenten, so lautet das zentrale Ergebnis mehrerer Studien. Beim „Shopsiegel-Monitor 2015“ standen Online-Präsenzen im Fokus, während „Gütesiegel in Deutschland“ alle Vertriebskanäle unter die Lupe nahm. Bei „CLYMBOL“ (Role of health related claims and symbols in consumer behaviour) untersuchen Forscher gesundheitsbezogene Aussagen und Symbole. Noch in diesem Jahr sollen erste Resultate vorliegen. Bereits heute werben Hersteller mit zahlreichen, teils umstrittenen Prädikaten im Gesundheitsbereich.
Bestes Beispiel ist die Europäische Stiftung für Allergieforschung (ECARF). Sie vergibt unter anderem Prädikate für Kosmetika, Haushaltsgeräte oder Fahrzeuge. Ein Blick auf die Herangehensweise wirft Fragen auf, etwa bei der Innenraumqualität von Autos. „Hierfür werden zehn erwachsene Personen mit schwergradigem Asthma (FEV1 unter 70 Prozent Sollwert) über einen Zeitraum von 90 Minuten im Fahrzeug durch den Stadtverkehr gefahren. Vor und nach den Tests werden u. a. Lungenfunktionswerte, ausatembares Stickoxid, der nasale Luftfluss, Blutdruck, Herzfrequenz und Reizungen der Augenbindehaut erfasst.“ Ob derart kleine Probandenzahlen und zeitlich kurzfristige Untersuchungen viel aussagen, sei dahingestellt. Kein Einzelfall: Waschmaschinen müssen Tierhaare zu wenigstens 95 Prozent und Pollen zu wenigstens 97,5 Prozent entfernen. Wie ECARF auf diese Zahlen kommt, bleibt unklar. Hinter allen Aktivitäten steckt als Galionsfigur Professor Dr. Torsten Zuberbier. Bei seiner Beteiligung an Leitlinien gibt der Dermatologe und Allergologe zahlreiche Interessenkonflikte an. Dazu gehören Berater- bzw. Gutachtertätigkeiten beziehungsweise Honorare für Vortrags- und Schulungstätigkeiten bei Ansell, Bayer Schering, DST, FAES, Fujisawa, HAL, Henkel, Kryolan, Leti, MSD, Novartis, Procter & Gamble, Sanofi-Aventis, Schering Plough, Stallergenes sowie UCB. ECARF bewertet auch Kosmetikprodukte von Konzernen, für die Zuberbier als Gutachter tätig war beziehungsweise ist, etwa Schwarzkopf (Henkel). Kritische Stimmen sucht man in der Community vergebens, da es dem Kollegen geglückt ist, sich europaweit extrem stark zu vernetzten. Vom ECARF-Qualitätssiegel erhoffen sich Firmen einen Marketingvorteil gegenüber Konkurrenten im Markt.
Arzneimittelhersteller haben den Wert von Prädikaten ebenfalls entdeckt. Für Salus kam der „Bio“-Trend gerade gelegen. Prompt landete ein hauseigenes Siegel auf dem Arzneitee „Mistelkraut geschnitten“. Bei der Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel forderte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), entsprechende Angaben zu entfernen. Salus versuchte, sich zu wehren, allerdings ohne Erfolg. Ende 2012 sprach das Verwaltungsgericht Köln ein Verbot aus (Az. 7 K 2624/11). Ein Jahr später scheiterte Salus mit seiner Revision vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Az. 13 A 2862/12). Zur Begründung hieß es, firmeneigene Bio-Siegel seien keine nach § 10 Absatz 1 Satz 5 Arzneimittelgesetz (AMG) zulässigen Angaben auf Behältnissen und äußeren Umhüllungen von Medikamenten. Die Salus-Tochterfirma Schoenenberger versuchte ihr Glück mit Pflanzenpresssäften. Niederlagen vor dem Verwaltungsgericht Köln (Az.: 7 K 7237/12) Ende 2014 und dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (Az.: 13 A 2598/14) Ende 2015 folgten mit Hinweis auf § 28 Absatz 2 AMG. Doch Geschäftsführer Christoph Hofstetter gibt sich nicht geschlagen. Er teilte Ende 2015 mit, Verfassungsbeschwerde einzulegen.
Ähnlichen Ärger hatten Konzerne mit „Medikamenten des Jahres“. Die Auszeichnung wird vom Bundesverband Deutscher Apotheker (BVDA) auf Basis von Befragungen vergeben. Wick MediNait präsentierte sich als „Erkältungsmedikament des Jahres 2014“, und Formoline L112 trat als „Schlankheitsmittel des Jahres 2015“ auf. Verbraucherschützer witterten Verstöße gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) – schließlich dürfen Pharmafirmen im B2C-Bereich nicht mit Apothekern, Ärzten oder berufsständischen Organisationen werben. Genau das sei beim BVDA-Prädikat aber geschehen. Das OLG Frankfurt kam zum gleichen Resultat (Az.: 6 U 184/14) und verbot Procter & Gamble, entsprechende Siegel für Wick MediNait zu verwenden. Weitere Firmen akzeptierten Abmahnungen, ohne den Klageweg einzuschlagen. Wettbewerbshüter halten die Vergabepraxis generell für bedenklich, weil Verbraucher keine Möglichkeit hätten, sich selbst zu informieren. Gewinner erscheinen zwar in einen Handbuch, das für Laien aber nicht erhältlich ist. Fast alle Konzerne platzierten zuletzt ganzseitige Anzeigen für je 9.260 Euro, was im letzten Jahr zu einem geschätzten Werbeumsatz von 600.000 Euro führte. Professor Dr. Gerd Glaeske, Uni Bremen, monierte, das Siegel diene eher der Vermarktung von Produkten als der Beratung von Patienten. Er sprach von einer „Komplizenschaft“ zwischen Heilberuflern und Herstellern. Ärzten und Apothekern bleibt nur, objektiv zu informieren.