Immer mehr Menschen erkranken an Keuchhusten. Betroffen sind längst nicht nur Kleinkinder: 60 Prozent sind älter als 19 Jahre. Doch bis zur richtigen Diagnose vergeht immer noch zu viel Zeit – mit teilweise erheblichen Konsequenzen für den Betroffenen und seine Umgebung.
Leiden Erwachsene an einem besonders hartnäckigen Husten, vermuten sie meist eine akute Bronchitis. Immer häufiger sind Erwachsene aber von Keuchhusten (Pertussis) betroffen. Mittlerweile sind über zwei Drittel der Erkrankten älter als 19 Jahre. Im Jahr 1995 waren nur 20 Prozent der Keuchhusten-Patienten Erwachsene. Im Fall einer 35-jährigen Patientin, die unter einem lang anhaltenden Husten sowie unter Beschwerden wie Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit und Muskelschmerzen litt, konnte die richtige Diagnose Pertussis erst nach etwa zwei Monaten gestellt werden. Dadurch wurde eine frühzeitige, antibiotische Therapie verhindert. Aufgrund bakterieller Superinfektionen kam es zu insgesamt zwei Lungenentzündungen. Die Keuchhustensymptomatik mit Husten, die seit der Erkrankung immer wieder auftretende, belastungsabhängige Atemnot sowie die leichten Infektionen der oberen Atemwege hielten noch weitere vier Monate an. Aus dem ganzen Krankheitsgeschehen entwickelte sich ein Asthma bronchiale.
Erschwert wird die Keuchhusten-Diagnose bei Erwachsenen, Jugendlichen und vielen geimpften Kindern dadurch, dass die Erkrankung häufig als lang andauernder Husten ohne die klassischen Begleitsymptome wie Schnupfen und leichtem Fieber verläuft. Bei Säuglingen stehen dagegen Atemstillstände im Vordergrund. Pertussis wird durch ein gramnegatives Bakterium namens Bordetella pertussis (B. pertussis) verursacht. Seltener sind Infektionen mit Bordetella parapertussis oder Bordetella holmesii, deren Symptome zwar einem echten Keuchhusten ähneln, aber häufig leichter und kürzer verlaufen. Anhand der Symptome kann eine Pertussis-Erkrankung in die drei folgenden Stadien eingeteilt werden:
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Die Zahl der Erkrankten ist seit Jahren steigend. Allein im Jahr 2016 registrierte das Robert-Koch-Institut etwa 16.000 Keuchhusten-Fälle – im Jahr davor waren es noch ca. 13.500 und 2015 etwa 9.000. Dies würde einer Inzidenz von etwa 10 bis 15 Fälle pro 100.000 Einwohnern entsprechen. Auf Basis prospektiver Studien [Paywall] schätzt Ulrich Heininger, der Chefarzt des Universitäts-Kinderspitals beider Basel, die tatsächliche Inzidenz dagegen auf etwa 500 Fälle pro 100.000 Einwohner. Durchschnittlich sind die Betroffenen zwischen 35 und 42 Jahre alt. Während heutzutage jüngere Kinder ausreichend geimpft sind – bei Schulanfängern lag die Impfquote im Jahr 2016 bei 94 % –, ist bei den Erwachsenen nur jeder fünfte bis zehnte geimpft. Neben den schlechten Impfraten bei den Erwachsenen werden des Weiteren ein momentan gehäuftes Auftreten und eine verbesserte Diagnostik als Gründe für die zunehmenden Keuchhusten-Fälle diskutiert.
Aber auch der derzeitige azelluläre Impfstoff steht in der Kritik. Der Toxoidimpfstoff, der neben dem Pertussis-Toxoid bis zu vier weitere Antigene enthalten kann, wird in allen Ländern Europas außer Polen verwendet. Bis Mitte der 90er Jahre erfolgte die Immunisierung mit einem Ganzkeim-Impfstoff aus abgetöteten B. pertussis-Bakterien. Grund für den Wechsel war, dass die Schutzwirkung des Ganzkeim-Impfstoffes je nach Hersteller stark schwankte (zwischen 36 % und 97 %) und der Toxoidimpfstoff von den Patienten besser vertragen wird. Das Problem der unterschiedlichen Wirksamkeit haben azelluläre Impfstoffe zwar nicht, jedoch lässt bei ihnen die Protektion nach der Impfung rasch nach. Zu diesem Thema gibt es einige Studien. Eine der neueren ist die Untersuchung der Wissenschaftler um Schwartz von der University of Toronto. Schwartz und sein Team hatten die Daten von knapp 6.000 Menschen analysiert und dabei Folgendes festgestellt:
Wissenschaftler des Robert-Koch-Instituts kamen bei ihrer Studie zu einer etwas höheren Schutzwirkung. Das Team hatte die Epidemiologie der Keuchhustenfälle in Brandenburg in den Jahren 2002 und 2012 analysiert. Demnach wären Zwei- und Dreijährige, bei denen in den ersten beiden Lebensjahre die Grundimmunisierung erfolgt ist, zu 97 % geschützt. Bei den geimpften fünf- bis siebenjährigen Kinder war die Schutzrate auf 88 % und bei den 15- bis 16-Jährigen auf 82 % abgesunken. Diese im Vergleich zu anderen Untersuchungen hohe Wirksamkeit des azellulären Pertussis-Impfstoffes könne, so die Autoren, dadurch zustande kommen, dass weniger typische Keuchhustenfälle, wie sie z.B. bei Geimpften auftreten, möglicherweise untererfasst sind. Die zunehmenden Erkrankungszahlen deuten darauf hin, dass der Impfschutz nur etwa drei bis vier Jahre hält. Hinzu kommt, dass mindestens 15 % der geimpften Säuglinge trotz drei oder vier Dosen vor einer Pertussis-Erkrankung nicht oder nicht ausreichend geschützt sind. Doch gerade für diese kann eine Infektion lebensgefährlich werden. 2016 beispielsweise starben in Deutschland drei Neugeborene an der Infektion.
Helfen sollen hier zwei Antikörper, die Forscher aus den USA [Paywall] bereits 2015 entwickelt haben. Antibiotika helfen bei Erkrankten nur im Frühstadium, weil die die Pathogenese von Pertussis durch Toxine des Erregers Bordetella pertussis bestimmt wird, von denen das Toxin „Ptx“ den größten Einfluss hat. Die entwickelten Antikörper jedoch sollen diese Toxine neutralisieren, indem sie entweder verhindern, dass die Bakterien an den Epithelzellen der Atemwege Halt finden, oder indem sie dafür sorgen, dass das Toxin sein Ziel in der Zelle nicht erreicht. Getestet wurden beide Antikörper an Mäusen und Pavianen. Die Wissenschaftler wurden dabei von dem Pharmaunternehmen Synthetic Biologics aus Rockville/Maryland unterstützt. „Mit diesen Antikörpern wollen wir vor allem den Babys helfen, die noch nicht ausreichend geimpft wurden“, so die Autorin Maynard 2016 in einer Pressemitteilung. „Die Idee hier ist, dass Babys in der Regel bei ihrer Geburt auf Ärzte treffen. Die Ärzte könnten den Neugeborenen eine Injektion mit dem Antikörper verabreichen, wodurch diese dann die ersten vier Lebensmonate [...] geschützt wären. Es wäre also so, als ob sie bei ihrer Geburt immunisiert worden wären.“ Einer der beiden Antikörper wurde an neugeborenen Pavianen getestet: Dafür verabreichten die Wissenschaftler sieben Tieren im Alter von zwei Tagen den Antikörper und infizierten sie anschließend mit Keuchhusten. Anders als in der Kontrollgruppe entwickelte keines der Tiere aus der Antikörper-Gruppe Keuchhusten-Symptome. Als Nächstes wollen die Wissenschaftler ihren Antikörper an Menschen testen.
Eine andere Möglichkeit, die bereits in den USA, Großbritannien, Australien, Belgien und in der Schweiz angewandt wird, ist es, Schwangere gegen Keuchhusten zu impfen. Die Antikörper der Mutter sollen auch nach der Geburt das Neugeborenen vor einer Infektion schützen. Untersucht haben dies beispielsweise Nicola Klein und ihr Team vom Kaiser Permanente Vaccine Study Center (Oakland). In einer retrospektiven Kohortenstudie haben die Wissenschaftler die Daten von knapp 150.000 Neugeborenen ausgewertet. Das Ergebnis: Hatten sich die werdenden Mütter gegen Keuchhusten impfen lassen, verringerte sich das Infektions-Risiko für die Babys in den ersten beiden Lebensmonaten um etwa 91 % und im gesamten ersten Jahr um 69 %. Einen gewissen Schutz schien ebenfalls eine Impfung innerhalb der letzten zwei Jahre vor Eintreten der Schwangerschaft zu bieten. Keinen signifikanten Vorteil dagegen hatten Babys, deren Mütter sich erst nach der Geburt impfen ließen. Eine andere Studie aus dem Jahr 2015 ergab eine adjustierte Schutzwirkung von 93 %, wenn die Mütter während der Schwangerschaft gegen Keuchhusten geimpft worden waren. In Deutschland wird die Impfung während der Schwangerschaft von der Ständigen Impfkomission am Robert Koch-Institut (STIKO) nicht explizit empfohlen. Die derzeitige Empfehlung lautet, dass sich Frauen mit Kinderwunsch gegen Keuchhusten impfen lassen sollten oder – wenn dies versäumt wurde – die Impfung in den ersten Tagen nach der Geburt erfolgen sollte.