Umfassende 3D-Karten können die räumliche Organisation des Erbguts von embryonalen Stammzellen der Maus bis hin zu voll entwickelten Neuronen zeigen. Diese Karten könnten künftig helfen, an Erbkrankheiten beteiligte Gene aufzuspüren.
Verschiedene Zellen unseres Körpers tragen die gleiche Erbinformation, niedergeschrieben in der Abfolge der genetischen Buchstaben auf der DNA. Seit langem erforschen Wissenschaftler intensiv, wie die auf dem langen DNA-Faden angeordneten Gene gesteuert werden. Denn welche Gene in einer Zelle abgelesen werden, entscheidet darüber, ob aus einer Zelle zum Beispiel eine Haut-, Herz- oder Nervenzelle wird. Dadurch können Fehler bei der Genregulation zu Krankheiten führen.
Dabei ist klar geworden, dass die lineare Abfolge der DNA-Buchstaben allein nicht ausreicht, um das Genom zu verstehen. „Die dreidimensionale Anordnung der DNA ist ebenfalls sehr wichtig“, sagt Ana Pombo, Leiterin der Arbeitsgruppe Epigenetische Regulation und Chromatinstruktur am Max-Delbrück-Centrum (MDC). Der DNA-Faden, in Mäusen auf 20 Chromosomenpaare aufgeteilt, ist im Zellkern dicht gepackt. Doch dieses Packen ist nicht zufällig. „Die komplexe räumliche Faltung der DNA der Chromosomen steuert die Aktivität von Genen“, erläutert die Wissenschaftlerin. Tatsächlich gab es während des letzten Jahrzehnts große Fortschritte bei der Bestimmung der dreidimensionalen Architektur der Chromosomen. So ist mittlerweile bekannt, dass diese in topologische Domänen unterteilt sind, das heißt in DNA-Abschnitte, die mehr interne Kontakte haben als zu ihren genomischen Nachbarn. „Bislang wurde jedoch nur die räumliche Struktur in und um diese Domänen bestimmt“, sagt Markus Schüler, einer der Erstautoren der Studie. „Es fehlte uns ein vollständiges Bild, wie diese Domänen miteinander interagieren und ob diese Domän-Domän-Interaktionen mit der Genfunktion in Zusammenhang stehen.“
Die Forscher haben sich im Detail angesehen, wie die gesamte DNA der Chromosomen gefaltet ist und welche Regionen dabei bevorzugt miteinander interagieren. Als Modell diente ihnen dabei die Entwicklung der Nervenzellen der Maus von embroyonalen Stammzellen über einen Vorläufer bis hin zu ausdifferenzierten Nervenzellen. Für diese drei Zelltypen haben die Forscher Interaktionskarten (Hi-C-Daten) ausgewertet: Daten dazu, welche Regionen sich innerhalb der Chromosomen jeweils berühren. Auf diese Weise konnten die Forscher für alle Chromosomen in allen drei Zelltypen eine Matrix der Kontakte aufstellen. Dabei haben sie herausgefunden, dass sich die Domänen in den Chromosomen zu größeren Meta-Domänen gruppieren. Dabei, und das ist entscheidend, ist die Faltung nicht zufällig. „Verschiedene Regionen auf einem Chromosom finden zusammen, weil sie etwas gemeinsam haben“, sagt Ana Pombo. „Regionen mit ähnlichen funktionellen Eigenschaften treten miteinander in Kontakt, zum Beispiel Gene, die aktiv sind oder die über denselben Mechanismus reguliert werden.“
Die Forscher konnten diese Interaktionen als eine baumartige Hierarchie von Domänen repräsentieren, die zeigt, wer mit wem in Kontakt steht. Beim Vergleich der Baumdiagramme von den embryonalen Stammzellen, Vorläufern und Nervenzellen beobachteten sie, dass bei der Ausdifferenzierung viele der weitreichenden DNA-Kontakte bestehen bleiben. Andere formieren sich dagegen neu, orientieren sich aber wieder an Gemeinsamkeiten. „Veränderungen der Genaktivität korrelieren mit Veränderungen in der räumlichen Organisation“, so Schüler. Die Wissenschaftler glauben, dass die Karte der Kontakte zukünftig helfen könnte, die genetischen Ursachen einiger Krankheiten zu finden. Zum einen könnten damit Translokationen ausfindig gemacht werden, die beispielsweise bei Krebs eine Rolle spielen. Zum anderen könnten die für Erbkrankheiten verantwortlichen Gene identifiziert werden. In den letzten Jahren gab es unzählige genomweite Studien, die Mutationen mit verschiedenen Erkrankungen in Verbindung gebracht haben. Bei vielen dieser genetischen Varianten ist allerdings nicht klar, wie sie die jeweilige Krankheit verursachen, zum Beispiel weil sie nicht ein einzelnes Gen treffen, sondern die Interaktion zwischen verschiedenen Genen beeinflussen. „Unsere Karten erweitern jetzt den Pool der Regionen auf der DNA, die von einer einzelnen Mutation betroffen sein könnten“, sagt Ana Pombo. Für eine Genvariante kann jetzt nachgesehen werden, mit welchen anderen Bereichen auf der DNA sie in Kontakt steht. Die Berliner Forscher wollen als nächstes solche Zusammenhänge für neurologische Erkrankungen wie Autismus und für Skeletterkrankungen untersuchen. Originalpublikation: Hierarchical folding and reorganization of chromosomes are linked to transcriptional changes in cellular differentiation James Fraser et al.; EMBOpress, doi: 10.15252/msb.20156492; 2015