Ein Brustkrebsmedikament zum Preis von 80.000 Euro soll das Leben der betroffenen Patientinnen um sechs Monate verlängern. Wie entstehen solche Arzneimittelpreise?
Im Mai wurde das bislang teuerste Medikament der Welt zugelassen. Mit 2,1 Millionen US-Dollar pro Behandlung sprengte Zolgensma® alle Rekorde (DocCheck berichtete). Und trotz des begrenzten Einsatzbereichs des Mittels fachte der absurd hohe Preis erneut die Diskussion um Arzneimittelpreise und deren vermeintliche Berechtigung an.
Wie viel ist gewonnene Lebenszeit wert? In einem Video fragte zum Beispiel das Deutsche Ärzteblatt, ob sechs Monate Leben 80.000 Euro entsprächen. Denn so viel Zeit sollte Patienten ein Brustkrebsmedikament zu diesem Preis verschaffen. Die Meinungen der Interviewten gingen auseinander, aber ein Punkt war gleich: entscheiden, ob der Preis für das Arzneimittel gerechtfertigt ist, wollte keiner.
Genau das tun Pharmaunternehmen mit der Preisbestimmung, vor allem im Bereich innovative Medikamente. Denn hier dürfen Hersteller nach der Zulassung eines Mittels für ein ganzes Jahr entscheiden, zu welchem Preis sie das Arzneimittel abgeben. Dabei geht es aber nicht allein um die Deckung der entstandenen Kosten. Wolfgang Becker-Brüser, Apotheker und Herausgeber der Fachzeitschrift Arznei-Telegramm, stellt im Gespräch mit Tagesschau.de klar: „Der Preis für ein Medikament hat nichts mit den Produktions- und Entwicklungskosten zu tun. Die Hersteller verlangen, was der Markt hergibt.“
Auch Florian Lanz, Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes, sieht das kritisch. Selbst wenn ein Medikament keinen erwiesenen Zusatznutzen habe, dürfen Pharmahersteller ein Jahr lang praktisch jeden Preis verlangen. „So entstehen oft Mondpreise, die in keinem Verhältnis zum Nutzen des neuen Medikaments stehen“, erklärt Lanz in einem Artikel.
In der Preisfestsetzung seien sie dabei aber nicht völlig frei, so Prof. Wolfgang Greiner, Gesundheitsökonom an der Universität Bielefeld, in einem Interview. Gäbe es viele ähnliche Produkte bereits, werde der Preis für das neue Arzneimittel nicht besonders hoch ausfallen. Bestehe aber ein hoher Zusatznutzen oder sogar die Chance der Heilung, seien Hersteller in einer starken Verhandlungsposition. „Das spiegelt sich in solchen Fällen auch in den Preisen wider“, sagt Greiner. Zu den ethischen Implikationen einer solchen Preisgestaltung sagt er allerdings nichts.
Investitionen in die Forschung werden oft als weiteres Argument für die hoch angesetzten Arzneimittelpreise angeführt. Denn bevor man mit einer Entwicklung Geld verdiene, müsse viel investiert werden und einige Projekte blieben dabei auf der Strecke, weil sie frühzeitig abgebrochen werden. Ist ein Unternehmen nicht erfolgreich, könne es keine Milliarden in die weitere Forschung investieren. So erklärt Dr. Wolfram Schmidt, Geschäftsführer von Biogen Deutschland, die Bildung von Arzneimittelpreisen gegenüber Pharmafakten, einer Online-Plattform deutscher Arzneimittelhersteller.
Die Autoren des Beitrag fassen Schmidts Statement so zusammen: „Wer die Preise von Arzneimittelinnovationen pauschal verdammt und deshalb nach Kürzungen ruft, der könnte die Innovationsdynamik empfindlich stören.“
Wie man die Bedeutung solcher Investitionen auch gewichten mag, Medikamente mit Patentschutz werden teurer. Dabei steigt die Menge der Arzneimittelausgaben deutlich stärker an als das Verordnungsvolumen, was einige Jahre lang sogar rückläufig war. Über die Fairness der hohen Kosten, die durch diese Preisgestaltung entstehen, lässt sich streiten. Denn diese Kosten tragen in letzter Konsequenz nicht die Krankenkassen, sondern die Versicherten über ihre Beiträge.
Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebunds und ehemaliger Präsident der Bundesärztekammer, kritisierte das bereits 2016. Man müsse die Balance halten zwischen dem, was an Geld für Forschung und Entwicklung nötig sei, was der Markt hergebe und was in dem solidarisch finanzierten Kassensystem ethisch vertretbar sei. „Es kann nicht sein, dass nur die Leistungsträger im Gesundheitswesen wie wir Ärzte zu sozialgebundenen Tarifen verpflichtet sind, die Pharmaindustrie aber ausschließlich marktorientiert agiert“, zitiert ihn die Welt.
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