Der mythologische Hades ist virtuell geworden. In schwer zugänglichen Online-Nischen, dem Darknet, tummeln sich dubiose Händler. Sie bieten BtMs, Steroide und Benzodiazepine an oder verhökern paketweise sensible Daten. Ermittlungsbehörden sind machtlos.
Spektakuläre Ermittlungserfolge gab es zuletzt im Wochentakt: Mitte Dezember zerschlug die Zollfahndung ein Untergrundlabor für Anabolika. Kurz zuvor stellten Ermittler mehr als 100.000 gefälschte Potenzpillen sicher. Schmuggelaktionen in großem Stil sind nur ein Weg, um an illegale Stoffe zu kommen. Immer häufiger beziehen Konsumenten diverse Medikamente aus dem Internet. Ihre illegale Einkaufsmeile: das Darknet.
Wer jetzt an dubiose Online-Apotheken jenseits der europäischen Grenzen denkt, irrt sich gewaltig. Anbieter haben technisch massiv aufgerüstet. Sie arbeiten heute mit geschlossenen Rechnernetzen innerhalb vorhandener Infrastrukturen. Nur wenige, handverlesene Personen haben tatsächlich Zugriff. Anonymisierungsdienste wie Tor helfen Betreibern und Kunden, ihre eigene Identität zu verschleiern. Der Browser verteilt Anfragen weltweit an zufällige Knotenpunkte. Mit dieser Strategie gelingt es, IP-Adressen zu verschleiern. Gleichzeitig lassen sich über Tor versteckte Websites mit der Endung .onion aufrufen, die Google Chrome, Mozilla und Co. nicht anzeigen. Virtuelle Brieftaschen dürfen auch nicht fehlen. User arbeiten auf Krypto-Marktplätzen mit Bitcoins. Ihre Zahlungen erfolgen über gesicherte Netzwerke von Rechnern (peer to peer), ohne dass Banken im klassischen Sinne eine Rolle spielen. Damit bleiben Verkäufer oder Käufer im Verborgenen. Wer zahlt, trägt gleichzeitig das Risiko: Kein Bitcoin-Transfer lässt sich widerrufen.
Soviel zur Theorie. In der Praxis betreiben Händler große Portale, wie man sie aus der legalen Welt kennt. AlphaBay gilt bei Insidern als größter Marktplatz für Pharmaka, Betäubungsmittel, Daten oder Waffen. Wir haben über Tor die Website http://pwoah7foa6au2pul.onion/ besucht. Unter „Drugs and Chemicals“ befinden sich mehr als 51.000 Einträge. Darunter tauchen Benzodiazepine (4.160 Einträge), verschreibungspflichtige Medikamente aller Art (3.145 Einträge), Steroide (1.483 Einträge) und Opioide (4.097 Einträge) auf. Ähnlich funktionieren beziehungsweise funktionierten Agora, Abraxas, Evolution, East Indian Company, Nucleus Market oder Silk Road. Wie von Ebay oder Amazon bekannt, hinterlassen Kunden für jede Transaktion eine Bewertung, wenn auch anonymisiert. Dadurch gelinge es, Stores mit schlechten oder gestreckten Medikamenten das Wasser abzugraben, heißt es in einem Forum mit Fragen und Antworten (FAQs). Screenshot: DocCheck Aus apothekerlicher Sicht verwundert die Argumentation. Verunreinigungen zeigen ihre Wirkung vielleicht erst nach Monaten oder Jahren. Zahlreiche Händler liefern auch in die EU – durchaus mit Erfolg, wie Einträge in User-Foren zeigen: Gerade Kleinmengen an Arzneimitteln, die zusammen mit wertlosen Waren aller Art in Sendungen transportiert werden, gehen Zollbeamten durch die Lappen. Besonders offensiv werben dubiose Händler damit, BtMs und Benzodiazepine nach Deutschland zu versenden. Bei uns scheint es einen entsprechenden Markt zu geben. Viele Apotheker und Ärzte achten auf abhängige Patienten und verweigern die Abgabe beziehungsweise Verschreibung. Es geht aber auch um Chemikalien zur Durchführung von Straftaten wie γ-Hydroxybuttersäure, bekannt als K.o.-Tropfen.
Kryptomärkte beschränken sich nicht nur auf illegale Substanzen oder Waffen. Besonders einträglich ist das Geschäft mit Daten, falls sich damit Geld machen lässt. Nach einem digitalen Angriff auf Seitensprung-Portale gelang es Cyber-Räubern, Millionen Klardaten zu erbeuten. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden sie versuchen, User zu erpressen. Genau hier kommen Medizin und Pharmazie in das Spiel – es gibt kaum sensiblere Informationen als Gesundheitsdaten. Besonders fatal: Um bei Health Professionals fündig zu werden, benötigen Kriminelle keine ausgefeilten Techniken. Arztpraxen, Apotheken und Blisterzentren tauschen eigenen Recherchen zufolge ihre Daten teilweise noch mit Windows-XP-Maschinen aus. Bereits seit April 2014 stellt Microsoft keine Sicherheitspakete mehr zur Verfügung – ein gefundenes Fressen für Hacker. Die traditionsreichen Faxgeräte sind keinen Deut besser. Auch hier können Daten abgefangen werden. Nicht nur Cyber-Kriminelle verdienen daran. Einer aktuellen Studie zufolge stieg das durchschnittliche Jahresgehalt von IT-Spezialisten um zehn Prozent auf mehr als 70.000 Euro. Arbeitslos werden Experten wohl kaum: Ende 2015 haben sich der EU-Ministerrat und Unterhändler des Parlaments auf eine Richtlinie zur Internetsicherheit verständigt. Im Dokument werden Pflichten für Anbieter essentieller Dienstleistungen, unter anderem aus dem Gesundheitsbereich, definiert. Öffentlich-private Partnerschaften zur Cybersicherheit sollen folgen. Gegen Plattformen mit illegalen Medikamentenbörsen kann die EU wenig ausrichten. Hier bleibt nur Aufklärungsarbeit durch Ärzte und Apotheker: ein mühsames Unterfangen.