Im Kampf gegen altersbedingte Krankheiten soll die Sirt-Diät helfen. Sie basiert auf dem Verzehr von Nahrungsmitteln, die im Körper Sirtuine aktivieren. Diese „Anti-Aging-Enzyme“ sind Gegenstand zahlreicher Studien. Welches medizinische Potenzial steckt wirklich in ihnen?
Arzneien zu finden, die Krebs, Alzheimer, Parkinson und Diabetes heilen, gegen Übergewicht helfen und das Leben verlängern, daran arbeitet die Forschung unentwegt. Die sogenannte Sirt-Diät soll laut Laienmedien die Lösung sein. Sirt ist die Abkürzung für Mitglieder der Sirtuin-Proteinfamilie. In der Laienpresse werden diese schon als Wundermittel gegen verschiedene Krankheiten und „Anti-Aging-Enzyme“ betitelt.
So banal wie das klingt, ist es aber nicht. Sirtuine sind Enzyme, die Stoffwechsel- und Alterungsprozesse steuern. Sie spalten an ausgewählten Stellen lebenswichtiger Proteine Acetylgruppen ab. Diese Deacetylierung hat eine Signalwirkung für zahlreiche Vorgänge in lebenden Zellen, etwa für die Erzeugung neuer Proteine aufgrund (epi-)genetischer Informationen oder für den Abbau von Nährstoffen. Die Deactelyierung von Histonen beispielsweise führt zur Stilllegung von Chromatinbereichen und wird ebenfalls von Sirtuinen reguliert. Dadurch kommt es zur Verringerung von Chromosomenaktivitäten wie Transription und Replikationen. Das scheint für die Verlängerung der Lebensspanne essentiell zu sein. Eine Erhöhung der Sirtuinaktivität ging bei Würmern mit einer lebensverlängernden Wirkung einher. Bisher wurden sieben humane Sirtuine (SIRT1–SIRT7) identifiziert. Basierend auf phylogenetischen Analysen werden diese in vier Unterklassen eingeteilt. Der Name Sirtuin leitet sich vom Gen Sir2 (silent mating type information regulation 2) ab. Sirtuine kommen in allen Lebewesen vor, von Bakterien und Viren, über Hefen, Tieren bis zu uns Menschen.
Einem internationalen Forschungsnetzwerk unter Leitung des Biochemikers Prof. Dr. Clemens Steegborn ist es gelungen, das Enzym Sirtuin 6 (SIRT6) pharmakologisch zu aktivieren. Bisher waren lediglich Substanzen bekannt, die SIRT1 aktivieren. Die neu entdeckten Substanzen docken an SIRT6 an und steigern dadurch dessen Aktivität. Die neuen Forschungsergebnisse ermöglichen die Entwicklung von Wirkstoffen, die beim Kampf gegen altersbedingte Erkrankungen helfen können. SIRT6 soll laut Studien nämlich mit der Entstehung von Morbus Alzheimer aber auch Morbus Parkinson in Zusammenhang stehen. Dazu passt die Erkenntnis von Subedi et al., dass SIRT6 in Neuroinflammationen und Hirnalterung eingebunden ist. Mithilfe von Steegborns 14 synthetisierten Substanzen scheint es künftig möglich zu sein, SIRT6 nicht nur zielgerichtet zu aktivieren, sondern auch ein Feintuning der dadurch verursachten Stoffwechsel-Prozesse zu erreichen. „Die von uns hergestellten Substanzen und die neuen Erkenntnisse zu ihrer Interaktion mit SIRT6 bieten einzigartige Voraussetzungen für ein zielgerichtetes Design von Wirkstoffen", so Steegborn. Nach einer Studie von Yin et al. ist SIRT3 vermutlich ebenfalls in die Neuroprotektion involviert. Die SIRT3-Spiegel waren im entorhinalen Kortex, im mittleren temporalen Gyrus und im oberen frontalen Gyrus von Alzheimer-Patienten im Vergleich zur nicht auffälligen Kontrollgruppe reduziert. Diese Reduktion war mit schlechteren Testergebnissen der neuropsychologischen Evaluation und der Schwere der Tau-Pathologie verbunden. Weitere Studien mit der Genmanipulation von SIRT3 zeigten, dass Beta-Amyloid durch die Modulation von SIRT3 die Gesamtmenge an Tau-Proteinen erhöhte. Diese Daten legen nahe, dass die Reduktion von SIRT3 in der Pathogenese von Alzheimer entscheidend beteiligt ist.
Sirtuine sind nicht nur in neurodegenerative Prozesse eingebunden, sondern auch in die Pathogenese metabolischer Erkrankungen. SIRT1 reduziert den Aufbau von weißem Fettgewebe. Seine Aktivität wird wiederum von SIRT7 reguliert. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung konnten an Mäusen zeigen, dass ein Fehlen von SIRT7 zu einer übermäßigen Aktivierung von SIRT1 führt. Die Folge ist ein Abbau des Fettgewebes. Wäre ein SIRT7-Inhibitor also das ideale Mittel gegen Adipositas? Bei einer chronischen Überaktivierung von SIRT1 magerten die Tiere jedoch stark ab. Die beiden Sirtuine stellen deshalb einen Anknüpfpunkt dar, um Übergewicht zu bekämpfen oder bei krankhaftem Fettabbau im Alter eingreifen zu können.
Ein Team japanischer Forscher unter der Leitung von Hiroshi Inoue von der Kanazawa University hat das Enzym SIRT2 als Schlüsselfaktor bei der Regulierung der hepatischen Glucokinase identifiziert. Die Glucokinase ist das erste Enzym des Glukosestoffwechsels, der Glykolyse. Dies legt nahe, dass dieser Mechanismus ein potenzielles therapeutisches Ziel für Typ-2-Diabetes sein kann. SIRT1-Aktivatoren verbessern die Ganzkörper-Glukosehomöostase und die Insulinsensitivität in Fettgewebe, Skelettmuskeln und Leber. Daher ist die SIRT1-Aktivierung ein vielversprechender neuer therapeutischer Ansatz zur Behandlung von Typ-2-Diabetes. Vermutlich regulieren altbekannte Medikamente aber schon längst die Sirtuin-Aktivität. Die Studie von Khowailed et al. belegte, dass das Antidiabetikum Metformin den SIRT1-Spiegel ansteigen lässt. Die bisherige Annahme über den Wirkmechanismus von Metformin lautet: Metformin korrigiert eine Hyperglykämie und eine Hyperinsulinämie vorwiegend durch Verstärkung der insulinvermittelten Suppression der hepatischen Glukoseproduktion und Steigerung der Insulin-stimulierten Glukoseaufnahme. SIRT1 reguliert vermutlich auch die Insulinsekretion, die Produktion von Adiponectin, Entzündungsreaktionen, Gluconeogenese und oxidativen Stress. All diese Faktoren begünstigen eine Insulinresistenz. Sirtuin-Aktivatoren und -inhibitoren werden auch als mögliche Zytostatika in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht. Für den Sirtuin-Inhibitor Sirtinol konnte erstmals in vivo nachgewiesen werden, dass er einer Standardchemotherapie überlegen ist. Die Ergebnisse gelten für Pankreaskarzinomzellen und wurden in einem Mausmodell mit lediglich 19 Tieren in der Karzinomgruppe getestet. Dennoch ein Signal, dieses Target weiter zu verfolgen.
Erfolgversprechend wäre es natürlich, die Superenzyme einfach durch die Nahrung zu beeinflussen. Aidan Goggins und Glen Matten sind Ernährungsmediziner und Bestsellerautoren und haben die eingangs erwähnte Diät entwickelt. Bestimmte Polyphenole in pflanzlichen Lebensmitteln sollen dabei gezielt auf die Sirtuine einwirken. Beispielsweise zählen Äpfel zum SIRT-Food, da das Flavonoid Phloretin antioxidativ wirkt und die Aktivität der Thrombozyten beeinflusst. Auberginen, Heidelbeeren und Himbeeren enthalten Anthocyan, welches zellprotektiv wirkt. Grapefruit enthält Naringenin und wirkt positiv auf Blutzucker, Blutdruck und Cholesterin. Dunkle Schokolade, Grüner Tee, Knoblauch und Olivenöl enthalten Mikronährstoffe, die auf Sirtuine wirken sollen. Unbestritten sind dies alles gesunde Lebensmittel mit einem hohen Gehalt an Antioxidantien. Ein Beweis, dass die Polywirkstoffgemische der Nahrungsmittel wirklich auf die „Superenzyme“ wirken, fehlt meist. Auch ist fraglich, ob die Inhaltsstoffe die Aktivität „nützlicher“ Sirtuine steigern und „schädlicher“ hemmen. Und darüber hinaus ist noch gar nicht geklärt, was „gute“ und was „schlechte“ Sirtuine sind.
Für bestimmte isolierte Inhaltsstoffe liegen in der Tat Daten zur Wirkung auf Sirtuine vor, beispielsweise für Resveratol. Dieser polyphenolische Alkohol ist in vielen Beeren aber auch in Erdnüssen enthalten. Besonders hoch ist der Gehalt in der Schale Roter Weintrauben, weshalb auch Rotwein gewisse protektive Eigenschaften nachgesagt wird. In Studien wurde nachgewiesen, dass Resveratol epigenetisch aktiv wirkt und in in-vitro-Studien tumorhemmende Eigenschaften besitzt. Resveratrol fördert die Expression der Sirtuin-Gene wie Sirt2. Dadurch wurde bei verschiedenen Versuchstieren eine lebensverlängernde Wirkung beobachtet. Außerdem bietet die Substanz aufgrund seiner Struktur viele Möglichkeiten für eine chemische Modifikation. Hierdurch könnte ein neues antitumorös wirksames Therapeutikum bei gleichzeitig guter Verträglichkeit für nicht-maligne Zellen entwickelt werden. Das alles ist jedoch spekulativ und es fehlen in-vivo-Studien an Menschen.
Der Ernährungswissenschaftler Emer Delaney sieht die SIRT-Diät durchaus kritisch. Nicht nur, weil in den ersten Tagen die Kalorienmenge auf 1.000 kcal begrenzt ist. Die Lebensmittel, die reich an Sirtuinen sind, beurteilt der Experte als gewöhnlich. Diese stehen wohl auf jeder Liste für gesunde Lebensmittel. Er empfiehlt, die Produkte als Teil einer ausgewogenen Ernährung zu betrachten. Man darf gespannt sein, welche neuen Erkenntnisse Forscher durch die Sirtuin-Forschung in Zukunft gewinnen werden und ob Sirtuin-modifizierende Medikamente in der Zukunft Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Diabetes heilen oder verhindern können.