Viele Menschen sind von einer psychischen Störung betroffen – auch schwangere Frauen. Das stellt mich als Gynäkologin oft vor eine große Herausforderung.
Psychische Erkrankungen sind häufig. Sie schränken das Leben der Betroffenen oft stark ein und es besteht ein großer Optimierungsbedarf in der Behandlung. Gerade während der Schwangerschaft kann das aufgrund der medikamentösen Therapie eine Herausforderung für die behandelnden Ärzte darstellen, die sich aber in einer guten kollegialen Zusammenarbeit meistern lässt. Besonders wichtig ist, dass die Ära der gesellschaftlichen Stigmatisierung psychisch kranker Menschen endgültig der Vergangenheit angehört.
In einer Studie von Jacobi et al. als Teil der DEGS-Studie des Robert-Koch-Instituts wurde die 12-Monatsprävalenz psychischer Störungen bei Frauen durchschnittlich mit 33,5 % angeben. Angststörungen liegen mit 21,4 % auf Platz eins, gefolgt von Depressionen mit 20,8 % (unipolar: 11,3 %, major: 9,5 %). Von Zwangsstörungen sind laut Studie 4,0 % der Frauen betroffen, bei psychotischen Störungen sind es 3,1 % und bei bipolaren Störungen (Manie/Hypomanie) 1,7 %. Alle Werte sind Durchschnittswerte.
Häufig verschweigen Patientinnen aus Scham eine psychische Erkrankung und geben erst nach ausdrücklichem Nachfragen Diagnose und medikamentöse Therapie an. Spätestens aber beim Erstgespräch in der Schwangerenbetreuung sollte dies geschehen, da die Konsequenzen für Mutter und Kind weitreichend sein können.
Aktuelle Studien zeigen, dass Schwangere mit psychischen Erkrankungen häufiger per Sectio ohne klare medizinische Indikation entbunden werden. Als mögliche Ursache werden ein geringeres Selbstvertrauen und eine niedrigere Schmerzschwelle beobachtet, was wiederum zu einem prolongierten Geburtsverlauf und zu einer häufigeren Geburtsbeendigung per Kaiserschnitt führt.
Des Weiteren werden Zusammenhänge nahegelegt zwischen unbehandelten mütterlichen Depressionen oder Angststörungen und erhöhten Frühgeburtenraten, neben kindlichen Wachstums- und Entwicklungsverzögerungen gezeigt. Die Prävalenz einer postpartalen Depression liegt bei 10–15 % und wird oft nicht erkannt.
Prof. Christof Schaefer von der Charité in Berlin ist Mitherausgeber des Standardwerkes „Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit“. Zusammen mit anderen Kollegen kritisiert er im Fachmagazin Der Gynäkologe den Automatismus, Psychopharmaka in der Schwangerschaft einfach abzusetzen.
„Bei den meisten Medikamenten wird man unter Nutzen-Risiko-Abwägung (Risiko einer Destabilisierung versus Risiko durch die Medikation) keine Umstellung vornehmen. Bei Polytherapie sollte aus psychiatrischer Sicht überprüft werden, ob sich die Zahl der Medikamente oder vielleicht auch die Dosis reduzieren lässt“, so Schafer.
Einige Medikamente sind in der Schwangerschaft problematisch und müssen umgestellt werden. Unter einigen dieser Arzneimittel sollten Frauen auf keinen Fall schwanger werden. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die betreuenden Gynäkologen die Medikation ihrer Patientinnen kennen. Zum einen, um mögliche Interaktionen mit Kontrazeptiva zu vermeiden, zum anderen, um eine nötige Umstellung bereits in der Kinderwunschphase mit dem behandelnden Psychiater zu besprechen.
Valproinsäure, die in der Epilepsiebehandlung und auch bei bipolaren Störungen (Manien), eingesetzt wird, ist solch ein Präparat. Das Antidepressivum Fluoxetin verursacht durch eine sehr lange Halbwertszeit bei Neugeborenen langanhaltende Anpassungsstörungen und sollte deshalb eher umgestellt werden.
Bei Lithium gibt es gesicherte teratogene Wirkungen. Benzodiazepine sind bei Langzeitanwendung oder unter der Geburt problematisch, da kritische Anpassungsstörungen beim Neugeborenen zu erwarten sind. An der Universität Montreal ergab eine groß angelegte Analyse eine doppelt so häufige Fehlgeburtenrate bei Benzodiazepin-Anwenderinnen.
Bezüglich der Medikamenteneinnahme von psychisch kranken Schwangeren ist eine enge Zusammenarbeit zwischen betreuendem Psychiater und Gynäkologen dringend erforderlich. Wichtige Hilfestellung leistet auch Embryotox, ein Auskunftsportal der Charitè zur Arzneimittelsicherheit in der Schwangerschaft. Im Zweifelsfall lieber einmal zu viel nachfragen, als ungeprüft ein Medikament in der Schwangerschaft weiter einnehmen lassen. Bei Umstellungsfragen ist selbstverständlich der nervenärztliche Fachkollege zuständig.
Ein interessantes Modelprojekt ist „Mind:Pregnancy“. Es handelt sich um ein systematisches Screening und Behandlungsprogramm für Schwangere in Baden-Württemberg unter Leitung der Universitätsfrauenklinik Heidelberg. In einem Modellversuch wird seit Januar dieses Jahres getestet, inwieweit ein erweitertes Vorsorgeprogramm psychisch belastete Schwangere herausfiltert und adäquate Hilfe angeboten werden kann.
Dazu werden Schwangere von den teilnehmenden gynäkologischen Praxen mittels eines Fragebogens gescreent. Auffällig getesteten Schwangeren wird ein psychologisches Erstgespräch in Heidelberg oder Tübingen angeboten. Optional kann dies auch durch eine Online-Video-Sprechstunde erfolgen. Akut gefährdete Patientinnen sollen einer sofortigen ärztlichen Versorgung zugeführt werden.
Kommt der Termin aus verschiedenen Gründen nicht zustande, werden onlinebasierte Achtsamkeitsinterventionen angeboten. Patientinnen lernen hier, depressive Symptome und Ängste, die im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Geburt und Versorgung des Kindes auftreten, zu bewältigen. Bei erfolgreicher Evaluation hat das Modellprojekt gute Chancen, in die Regelversorgung aufgenommen zu werden.
Als Leitfaden ergibt sich für Gynäkologen:
Bildquelle: Luke Porter, unsplash