Das Erinnern vergangener Ereignisse scheint schneller vonstattenzugehen als bisher gedacht. Das episodische Erinnern erfordert demnach nur zwischen 0,1 und 0,2 Sekunden. Ein Verhindern dieser Reaktivierung könnte einen Eingriff in traumatische Erinnerungen ermöglichen.
Bislang ging man davon aus, dass das episodische Gedächtnis, also die Erinnerung an persönliche Erlebnisse, ein relativ langsamer Prozess ist, der rund eine halbe Sekunde dauert. In dem Prozess reaktiviert das Gehirn Sinnesinformationen, die während des ursprünglichen Erlebnisses wahrgenommen wurden, zum Beispiel werden die Areale des Sehsinns auf bestimmte Weise aktiv. Die aktuelle Studie ergab, dass die Reaktivierung der Sinnesinformationen während des episodischen Erinnerns nur zwischen 0,1 und 0,2 Sekunden erfordert. Das fanden die Neurowissenschaftler mittels EEG heraus. Des Weiteren zeigte das Team, dass der Prozess entscheidend für das erfolgreiche Erinnern einer Episode ist. Verhinderten die Forscher die Reaktivierung von eingespeicherten Informationen des Sehsinns durch transkranielle Magnetstimulation, störte das den Abruf der Erinnerungen.
„Die Ergebnisse könnten helfen, psychische Störungen zu verstehen, bei denen Menschen unter wiederkehrenden traumatischen Erinnerungen leiden“, sagt Dr. Gerd Waldhauser, früher in Konstanz, heute an der Ruhr-Universität Bochum tätig. „Es wäre hilfreich, wenn man in den Abruf dieser traumatischen Erinnerungen eingreifen könnte. Aber natürlich erfordert das weitere Studien.“ Im Gegensatz zum semantischen Gedächtnis, das Fakten speichert, ist jede episodische Erinnerung einzigartig und an einen bestimmten Ort und Zeitpunkt gebunden. „Man hat gedacht, dass das Gehirn eine Weile braucht, um im Hippocampus [...] danach zu suchen“, erklärt Dr. Simon Hanslmayr von der University of Birmingham. „Unsere Ergebnisse rütteln an dieser Vorstellung, denn sie zeigen eine sehr schnelle Reaktion des Gehirns.“ Originalpublikation: Episodic memory retrieval functionally relies on very rapid reactivation of sensory information Gerd Waldhauser et al.; Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.2101-15.2016; 2016