Zahnärzte, die intravenöse Sedationen durchführen, gefährden ihre Patienten – so der Berufsverband Deutscher Anästhesisten. Wie ich als angehende Anästhesistin die Sache sehe.
Anästhesisten sind in Aufruhr. Zahnärzte würden zunehmend intravenöse Sedationen selbstständig durchführen, heißt es in einer Pressemitteilung. Dies sei zu riskant, da Zahnärzte das Risiko nicht ausreichend abschätzen und mögliche Komplikationen nicht behandeln könnten. So zumindest äußert sich der Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA). Eine begründete Befürchtung oder bloß die Angst niedergelassener Anästhesisten, ein Stück ihres Kuchens abgeben zu müssen?
Für Patienten sind Nervosität und Angst vor Eingriffen nachvollziehbare Gefühle, die sich mit Medikamenten unterdrücken lassen, wenn gewünscht. Primär kommen Benzodiazepine zum Einsatz. Midazolam oder Lorazepam sind dabei die häufigsten Vertreter, die man als Tablette einnehmen kann.
Doch wenn die Angst überhand nimmt, kann auch eine Sedation helfen. Dabei wird meist Propofol über einen Venenzugang gespritzt und eine Art leichter Schlaf erzwungen. Wird zusätzlich ein Schmerzmittel verwendet, spricht man von einer Analgosedation.
Propofol hat auch angenehme Nebenwirkungen: Euphorie, schöne Träume und auch Erinnerungslücken an die unangenehme Situation. Propofol wird in der Anästhesie sowohl für Narkosen, als auch für diesen leichten Schlaf in Kombination mit einer örtlichen oder regionalen Betäubung verwendet.
Den Unterschied macht einzig die Dosierung des weißen Safts, der schon Michael Jackson in den Schlaf wiegte und schließlich tötete. Gering dosiert schläft der Patient, atmet jedoch selber. Höher dosiert setzen die Schutzreflexe, also Husten und Schlucken sowie die Atmung aus. Der Atemweg muss daher gesichert und die Atmung übernommen werden.
Der Anästhesist legt hierzu einen Tubus oder eine Larynxmaske ein, eine Maschine übernimmt die künstliche Beatmung. Die erforderliche Dosierung für Sedierung oder Narkose hängt von sehr vielen Faktoren ab, darunter Alter, Gewicht sowie Konsum von Drogen oder Medikamenten. Aber auch Begleiterkrankungen, wie zum Beispiel Leber- oder Niereninsuffizienz, spielen eine Rolle.
Dosiert man zu niedrig, ist der Patient unruhig oder hält nicht richtig still. Dosiert man zu hoch, kann sich der Patient verschlucken. Mageninhalt oder Speichel können in die Luftröhre und damit in die Lunge gelangen und eine Entzündung, Sauerstoffmangel und, im schlimmsten Fall, sogar Ersticken auslösen. Auch die Atmung steht dann still.
Eine Beatmung mittels Maske und Beutel ist dabei oft nicht ganz unproblematisch. Hat der Patient einen Bart, sitzt die Maske nicht dicht, und die Luft zischt zwischen den Haaren heraus, anstatt in die Lunge des Patienten zu fließen. Auch bestimmte Gesichtsformen, zum Beispiel ein starker Unterbiss, können die Beatmung erschweren.
Anästhesisten stehen hier zusätzliche Hilfsmittel zur Verfügung, zum Beispiel der Güdel- und der Wendeltubus, welche in Mund oder Nase eingelegt werden und die Beatmung vereinfachen. Baut man mit einem Beatmungsbeutel zu viel Druck auf oder drückt zu viel Luft in den Patienten, geht die Luft in den Magen. Das wiederum kann zur Aspiration führen, wenn der Patient nicht nüchtern ist.
Zu all dem kommen noch – ganz banal eigentlich – die Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen des Medikaments selber. Man muss wissen, wann das Medikament nicht angewendet werden darf und was man beachten muss bezüglich Nebenwirkungen und Lagerung.
Man sieht schon: Auf ein Problem kann immer das nächste folgen. Deshalb werden Sedationen im Operationssaal nur unter fachkundiger anästhesiologischer Aufsicht durchgeführt.
Blutdruck, Puls und Sauerstoffsättigung werden kontinuierlich und engmaschig kontrolliert. Alle möglicherweise erforderlichen Medikamente und Hilfsmittel sind in der Nähe und bei Bedarf sofort verfügbar. Ob Zahnärzte diese Bedingungen ebenfalls erfüllen, sei dahingestellt.
Allerdings muss man an dieser Stelle auch relativieren. Schwere Zwischenfälle sind selten. Propofol wird häufig und sehr sicher eingesetzt, insbesondere bei jungen, gesunden Patienten.
Liegt das daran, dass das Medikament so sicher ist? Oder eben auch daran, dass das Medikament durch geschultes und gut ausgebildetes Personal angewendet wird? Diese Frage lässt sich nicht so einfach beantworten. Wahrscheinlich trägt beides dazu bei.
In seiner Pressemitteilung geht der BDA einen Schritt weiter: Die zahnärztliche Ausbildung erhalte „zu wenig humanmedizinische Kompetenzvermittlung“. Zahnärzte könnten das Risiko nicht ausreichend abschätzen und daher die Sicherheit nicht gewährleisten.
Das mag natürlich sein. Beurteilen kann ich es nicht, schließlich habe ich keine Zahnmedizin studiert. Aber nur weil etwas im Curriculum nicht thematisiert wird, heißt das nicht, dass man es nicht lernen kann. Allerdings kann man auch nicht davon ausgehen, dass alle Zahnärzte flächendeckend dazu in der Lage sind, eine sichere i.v.-Sedierung durchzuführen.
Eventuell bräuchte es dafür einfach eine Regelung, zum Beispiel eine Zusatzausbildung für interessierte Zahnärzte. Auch Vorgaben, welche Bedingungen gegeben sein müssen, damit Zahnärzte Sedierungen durchführen dürfen, scheinen sinnvoll.
Gundsätzlich gilt sicher: Die Anästhesie außerhalb von Kliniken ist auf dem Vormarsch. Mit ambulanten Analgosedationen und Narkosen in HNO-ärztlichen sowie zahnärztlichen und augenärztlichen Praxen lässt sich durchaus Geld verdienen. Sie bieten viele Jobmöglichkeiten mit sehr viel angenehmeren Arbeitsbedingungen als Kliniken dies in der heutigen Zeit tun.
Es besteht also auch ein wirtschaftliches Interesse, allerdings auf beiden Seiten. Denn natürlich möchten Zahnärzte lieber Sedationen selber durchführen und nicht einen unter Umständen teuren Anästhesisten für etwas bezahlen, was sie, zumindest ihrer Meinung nach, auch selbst können.
Praxisärzte sind hier in der Pflicht, für ihre Patienten abzuwägen und die Chancen und Risiken einer i.v.-Sedierung deutlich zu kommunizieren. Für junge, gesunde Patienten besteht oft nur ein geringes Risiko.
Ältere Patienten, solche mit Erkrankungen von Organsystemen wie zum Beispiel Herz, Leber oder Niere, und Patienten, die bereits Komplikationen bei Narkosen erfahren haben, sollten etwas genauer abwägen, ob sie sich vielleicht eher in die erfahrenen Hände eines Anästhesisten begeben.
Bildquelle: Thirteen Of Clubs, Flickr