Der Patient ist panisch: Eine Fledermaus hat ihn gebissen, Verdacht auf Tollwut-Infektion. Die erste Impfdosis hat er über ein Notfall-Depot schon bekommen, es fehlen aber noch vier weitere Dosen. Was tun, wenn die dann nicht vorrätig sind?
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, hat kürzlich etwas gefordert, das sich so mancher Apotheker eigentlich vom eigenen Präsidenten Friedemann Schmitt gewünscht hätte. Schließlich sind Arzneimittel eher das Ressort der Apotheker.
Wie auch immer: Reinhardt wünscht sich den Aufbau einer nationalen Arzneimittelreserve. Angesichts vermehrter Lieferengpässe geht dieser Wunsch fast schon in Richtung Kapitulation vor den herrschenden Verhältnissen. Er scheint aber für eine gesicherte Notfallversorgung unumgänglich.
Im genauen Wortlaut forderte Reinhardt: „Für relevante Medikamente sollte man eine nationale Arzneimittel-Reserve aufbauen, um die Versorgung der Bevölkerung jederzeit gewährleisten zu können (…). Welche Medikamente die Allgemeinheit in welchem Umfang vorhalten sollte, das könnten zum Beispiel Krankenversicherungen, Ärzte, Politik und Pharmaindustrie gemeinsam festlegen.“
Aus der Praxiserfahrung ist es besonders dringlich, Impfstoffe zur Behandlung potentiell tödlicher Erkrankungen notfallmäßig vorrätig zu haben. Ein Beispiel ist da schnell gefunden: In der Apotheke erreichte uns kürzlich der Anruf eines verzweifelten Patienten, der von einer Fledermaus gebissen wurde. Er verbringt beruflich viel Zeit im Wald und wurde in diesem Zusammenhang vom einzigen Tier gebissen, das in Deutschland noch unter dem Verdacht steht, mit dem Tollwut-Virus infiziert zu sein.
In diesem Fall sieht das Robert-Koch-Institut (RKI) folgendes Impfschema vor:
Quelle: RKI
Eine postexpositionelle Prophylaxe wird bei Kontakt zu Fledermäusen hier empfohlen, „da sie ein Reservoir für die meisten Lyssaviren darstellen, (…) potenzielle Überträger auf den Menschen sind (und) aufgrund der geringen Überwachungsintensität (…) das Vorkommen von Fledermaustollwut nirgendwo ausgeschlossen werden“ kann.
Somit benötigte der Mann eine passive Impfung mit Tollwut-Immunglobulin, die er auch über ein Notfall-Depot mit der ersten aktiven Immunisierung erhielt. Die vier weiteren Impfstoffe für die aktive Immunisierung sollte er sich dann mit einem Rezept in der Apotheke besorgen.
Aufgrund der Lieferengpässe ist jedoch Rabipur® zurzeit nicht lieferbar und der Patient wurde nach zahlreichen Absagen in den von ihm angerufenen Apotheken schon beinahe panisch. Über das Notfall-Depot der Landesapothekerkammer konnte er gerade noch versorgt werden, doch besonders hoch sind die Vorräte dort auch nicht mehr. Einige Impfstoffe sind sogar bereits ausgegangen, wie man anhand der Bestückungsliste der Landesapothekerkammern Hessen und Rheinland-Pfalz gut ersehen kann.
Zusammen mit den Arzneimitteln und Medizinprodukten, die in Apotheken und Krankenhäusern vorrätig gehalten werden müssen, sollte die Versorgung der Bevölkerung zwar ein bis zwei Wochen sichergestellt sein, aber was gilt für die Zeit darüber hinaus?
Bei einigen Anfragen zur Lieferfähigkeit von Medikamenten kommt von den Herstellerfirmen nur die Ansage, sie seien „voraussichtlich“ erst im Jahr 2020 wieder zu bekommen. So lange sich das Warenlager der Pharmaindustrie nur noch auf der Straße befindet, wird sich das vermutlich auch nicht ändern.
Man kann also, wie der Ärztepräsident es fordert, ein nationales Depot aufbauen, wenn man die Bevölkerung sicher versorgt wissen möchte. Oder man müsste die Medikamentenhersteller genauso in die Pflicht nehmen, bestimmte Arzneimittel in festgelegten Mengen für den Notfall bereit zu halten, wie es auch von Apotheken oder Krankenhäusern verlangt wird.
Kranken oder von einer Erkrankung bedrohten Menschen sollte nicht zugemutet werden, in ihrem Zustand zeitraubende und aufwändige Anstrengungen zu unternehmen, um ihre Medikamente zu erhalten. Doch genau das ist in Deutschland inzwischen leider zum Alltag geworden.
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