Bei der Reprogrammierung von Körperzellen zu hiPS-Zellen, die für Therapiezwecke eingesetzt werden, könnten „springende Gene“ eine Gefahr für die genomische Integrität bedeuten. Sie könnten sogar einen Risikofaktor für die Tumorentstehung darstellen.
Humane induzierte pluripotente Stammzellen haben das Potenzial, in alle Zelltypen des menschlichen Organismus umgewandelt zu werden und bieten damit viele Anwendungsmöglichkeiten in der Biomedizin. Unter anderem sollen von hiPS-Zellen abgeleitete Zellen in der regenerativen Medizin für autologe Zelltherapien eingesetzt werden. Dabei werden Körperzellen eines Patienten entnommen, zu hiPS-Zellen reprogrammiert, danach in den gewünschten therapeutisch relevanten Zelltyp differenziert und schließlich dem Patienten zugeführt. Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Prof. Gerald Schumann, Abteilung Medizinische Biotechnologie des Paul-Ehrlich-Instituts, hat in Kooperation mit den Arbeitsgruppen von Prof. Geoffrey Faulkner (Mater Research Institute-University of Queensland, Australia) und Prof. Jose Garcia-Perez (Pfizer/University of Granada and Andalusian Regional Government Center for Genomics and Oncology) nachgewiesen, dass sowohl während der Reprogrammierung als auch während der nachfolgenden Kultivierung der hiPS-Zelllinien Mobilisierung und Neuinsertionen transponierbarer Elemente stattfinden. Bei diesen Elementen handelt es sich um LINE-1 (L1), Alu- und SVA-Elemente, die auch als springende Gene bezeichnet werden, denn sie duplizieren und verteilen sich über einen Copy & Paste-Mechanismus im Genom. Humane pluripotente Stammzellkolonie angereichert mit LINE-1 Proteinen (rot), die zur Mobilisierung springender Gene im Stammzellgenom führen. Zellkerne sind blaugrün angefärbt. © Klawitter S et al.: Nature Communications Für ihre Untersuchungen verwendeten die Forscher eine neuartige Hochdurchsatz-Sequenziermethode („Retrotransposon Capture Sequencing“). Mit ihr verglichen sie die Genome von acht hiPS-Zelllinien mit denen ihrer differenzierten Vorläuferzellen, aus denen sie durch Reprogrammierung hervorgegangen waren. Dabei stellten die Wissenschaftler fest, dass in vier der acht untersuchten hiPS-Zelllinien sowohl während der Reprogrammierung als auch während der nachfolgenden Kultivierung Mobilisierung und Neuinsertionen im Genom der Zellen stattfanden.
Pro hiPS-Zelle ereignete sich durchschnittlich eine solche Neuinsertion eines springenden Gens. Durch die Mobilisierung endogener L1-Elemente waren zudem neue funktionelle L1-Kopien entstanden, die wiederum in der Lage sind, sich weiter auszubreiten und durch Neuinsertionen weitere neue Genmutationen zu verursachen. Das Springen und die Neuinsertion solcher potenziell mutagenen transponierbaren Elemente könnte die Funktion dieser Zellen beeinflussen oder sogar ein erster Schritt zur Umwandlung in Krebszellen sein. „Die durch L1-Aktivität vermittelte Mobilisierung endogener transponierbarer Elemente kann die genomische Integrität von pluripotenten Stammzellen beeinträchtigen. Dies wirft Fragen bezüglich der Sicherheit von Zelltherapien auf, bei denen differenzierte Zellen zum Einsatz kommen, die sich von solchen hiPS-Zellen ableiten“, erläutert Schumann die Bedeutung dieser Ergebnisse. Die Beantwortung dieser Fragen will die Forschergruppe im nächsten Schritt in Angriff nehmen. Aus regulatorischer Sicht könnten Sicherheitstests vor einer Anwendung solcher Zellen am Menschen entsprechende Risiken reduzieren. Originalpublikation: Reprogramming triggers endogenous L1 and Alu retrotransposition in human induced pluripotent stem cells Sabine Klawitter et al.; Nature Communications, doi: 10.1038/ncomms10286; 2015