Wer einen Arzttermin braucht, kann sich an die gesetzlichen Krankenkassen wenden. Bei dieser Arztvermittlung fehlt jedoch jegliche Qualitätssicherung. Ein Patient berichtet uns von einer katastrophalen Arztempfehlung.
Als verantwortungsvoller Patient geht man regelmäßig zur Hautkrebs-Vorsorge. Nur ärgerlich, wenn kein Dermatologe in der näheren Umgebung neue Patienten aufnimmt. „Deshalb habe ich meine Krankenkasse kontaktiert“, erzählt ein Patient (35), der sich an die DocCheck-Redaktion gewendet hat. Er ist verärgert und verunsichert. Nach seinem Telefonat mit der Techniker Krankenkasse (TK) organisierte diese prompt einen Termin bei einer Dermatologin. Er suchte die Ärztin daraufhin im Internet und stutzte angesichts der schlechten Kommentare auf Arzt-Bewertungsportalen. Trotzdem ging er in die Sprechstunde.
Die empfohlene Ärztin fand so einiges: „Mir wurde nicht nur geraten, etliche Muttermale entfernen zu lassen“, berichtet der 35-Jährige weiter. „Nach Auswertung von Biopsien beim Pathologen sollte ich auch an einer aktinischen Keratose leiden.“ Die Ärztin berichtete sogleich, dass die Krankenkasse bei der Behandlung der aktinischen Keratose nur die Kosten der chirurgischen Exzision übernehme. Sie empfehle allerdings eine Laser-Operation (Kosten: 385 €) oder eine photodynamische Lasertherapie (Kosten: 585 € plus Kosten in der Apotheke für die Creme von 239 €). „Wobei sie mit Nachdruck betonte, der Goldstandard bei der Behandlung sei die photodynamische Lasertherapie", sagt unser Informant.
An dieser Stelle entschied er sich dazu, eine Zweitmeinung einzuholen. Er recherchierte länger nach einer geeigneten Ansprechperson und erhielt schließlich über einen Kollegen mit Hautproblemen eine Empfehlung für eine andere Dermatologin. Die Ärztin dort bestätigte die Hautkrebs-Diagnose nicht. Vielmehr erzählte sie, pro Monat kämen etwa zwei Patienten mit identischer Diagnose aus genau dieser Praxis zu ihr und in den meisten Fällen handele es sich um keine aktinische Keratose. Die Ärztin berichtete weiter, sie verfolge die Masche der Kollegin bereits seit Jahren.
Bei dieser Häufung von falschen Diagnosen kann man wohl nicht mehr von unglücklichen Zufällen reden. Gibt es vielleicht einen Deal zwischen der Dermatologin und dem Pathologen? Der Verdacht steht zumindest im Raum. Unsere Redaktion will diesen Fall weiter verfolgen. Noch gibt es aber keine Beweise.
Doch wie konnte diese Ärztin empfohlen werden?
Unser Informant war zunächst erleichtert, dass die Diagnose „aktinische Keratose" nicht bestätigt werden konnte. Trotzdem wollte er klären, wie es dazu kommen konnte, dass seine Versicherung ihm diese Ärztin empfohlen hatte – eine Ärztin, der anscheinend schon seit Längerem ein schlechter Ruf vorauseilt.
Er kritisierte via TK-Website die Zustände – und erhielt tatsächlich einen Rückruf aus dem Bereich Beschwerdemanagement. Die Mitarbeiterin erklärte, man organisiere Termine, spreche aber keine qualitativen Empfehlungen aus. Aus Sicht unseres Informanten liegt genau hier das Problem: „Wenn die eigene Krankenkasse einen Termin vermittelt, gehe ich davon aus, dass es ein Termin bei einem guten Arzt ist. Bei der Kasse sitzen ja die Profis, denen man vertraut, die würden einem ja keinen Termin bei einem Quacksalber vermitteln.“ Dass es in der Realität aber nur eine organisatorische Diensteistung sei, werde nicht ausreichend kommuniziert – und sorge somit für Missverständnisse.
„Als Versicherter hatte ich die Grundannahme: Wenn mir meine Krankenversicherung einen Termin vermittelt, dann sucht sie auch nach einem guten Arzt, macht also den Qualitätssicherung-Check“, sagte unser Informant. Doch genau das sei eben nicht der Fall, entgegnete ihm die Mitarbeiterin. Ob Sperrvermerke für schlechte Ärzte in der Datenbank möglich seien, bleibt im Gespräch offen.
Screenshot: DocCheck
Nutzerbewertung: Muster ohne Wert
Weitere Nachfragen bei der TK zeigen, wo die Schwächen im System liegen. Allen Interessierten bietet die TK ein Online-Tool zur Praxissuche an. „Der TK-Ärzteführer nutzt die Datenbank unseres Vertragspartners Stiftung Gesundheit (Arztauskunft)“, erklärt eine Pressereferentin. Hier handele es sich um das „umfassende Verzeichnis aller in der Patientenversorgung tätigen niedergelassenen Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, leitenden Klinikärzte und Notfalleinrichtungen in ganz Deutschland“.
Patienten können auch ihren Arzt bewerten. Auf die Frage, wie man sicherstelle, dass es sich nicht um Fakes handele, antwortet die Sprecherin: „Am Ende der Bewertung ist vom Beurteiler im Rahmen eines Captcha eine Rechenaufgabe zu lösen, bei der die Zahlen teilweise in Buchstaben dargestellt sind.“ Damit werde verhindert, dass Bots die Bewertungen abgeben könnten.
Mit dieser Methode kann man vielleicht Bots ausschalten, aber keine Fake-Kommentare von Patienten. Angesichts des immensen Aufwands zur Qualitätssicherung von Kommentaren, den beispielsweise Jameda betreibt, mag man sich über diese Antwort nur wundern. Willkommen im Web 1.0.
Bei der Einschätzung von Ärzten mögen Bewertungsportale ein wenig hilfreich sein, doch sie spiegeln subjektiv die Wahrnehmung von Patienten wider. Bekommt Patient X keine Krankschreibung oder weigert sich der Arzt, Patient Y das Rezept über Oxazepam-Schlaftabletten auszustellen, rächen sich die beiden online mit einem saftigen Kommentar.
Patientenkritik mag in manchen Fällen zutreffen, wie bei dem oben beschriebenen Fall mit der Dermatologin. Sogenannte „Hater“ machen Ärzten aber zunehmend das Leben schwer. Und Laien können medizinische Aspekte kaum beurteilen. Selbst eine Checkliste der Bundesärztekammer („Wie erkenne ich eine gute Praxis“) bleibt hinsichtlich ihrer Kriterien eher allgemein. Sie nennt vorrangig soziale und kommunikative Aspekte.
„Verlässlicher Beitrag zur Arztwahl“?
Bei anderen GKVen sieht die Sache nicht besser aus. Ein Beispiel: „Mit dem AOK-Arztnavigator wollen wir einen Beitrag zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen leisten und eine verlässliche Orientierungshilfe für die Arztwahl von Patienten und Versicherten schaffen“, erklärt eine AOK-Pressereferentin auf Nachfrage. „Die Arztsuche soll dem Informationsinteresse der Patienten dienen, aber auch dem Interesse der Ärzteschaft an einer fairen und belastbaren Befragungsmethodik gerecht werden.“
Was auf den ersten Blick recht vollmundig klingt, entpuppt sich in der Praxis als problematisch. In die Online-Abfrage würden alle niedergelassenen Ärzte und Zahnärzte, die in regelmäßigem persönlichen Kontakt mit Patienten stünden, einbezogen. Niedergelassene Privatärzte kämen noch hinzu. Daten kämen von der Arzt-Auskunft der Stiftung Gesundheit. Diese setzt verschiedene Maßnahmen zur Aktualisierung ein. So werde zum Beispiel jede Praxis einmal pro Jahr angeschrieben. „In Zusammenarbeit mit Call-Centern und Dienstleistern finden kontinuierliche Aktualitätsprüfungen sämtlicher Adressdaten statt“, ergänzt die Pressereferentin.
„Zudem werden täglich alle Tageszeitungen in Deutschland auf Neuniederlassungen, Praxisaufgaben, Praxisübergaben etc. ausgewertet.“ Doch all das sagt noch lange nichts über die Qualität der Ärzte aus. Die Frage nach Kriterien zur Qualitätssicherung in medizinischer Hinsicht bleibt auch hier offen.
Schnell wird klar: Krankenkassen erwecken den Anschein, Patienten bei der Arztsuche zu unterstützen, arbeiten jedoch nur mit beliebigen Datensätzen von Dritten und ohne jede Selektion.
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