Sonntag, 8:00 Uhr morgens. Dienstbeginn. Ich sehe bei der Übergabe schon, dass in der Notaufnahme drei internistische Patienten warten. Ich ahne es, der Dienst wird anstrengend, wenn morgens schon die Notaufnahme gefüllt ist. Ich gehe in die Notaufnahme zu den Patienten, die etwas genervt sind, da sie eine habe Stunde schon warten. Ausführliche Anamnese, Dokumentation, Medikamente abtippen, körperliche Untersuchung. Pro Patient bin ich mind. eine halbe Stunde beschäftigt. Bis das Labor fertig ist, gehe ich auf die Station, denn da warten ca. 15 Blutabnahmen auf mich. Zwischendrin kommt immer wieder eine Schwester auf mich zu, der Patient xy braucht eine neue Nadel. Ich habe ordentlich zu tun auf der Station. Ich schaue mir zwischendurch die Laborwerte meiner Patienten aus der Notaufnahme an und sehe am PC, dass die Notaufnahme sich immer mehr und mehr füllt. Ich schaue auf die Uhr. Später Vormittag. Die Patientin sind ausgeschlafen und schlagen langsam den Weg zur Notaufnahme ein. Ich bin immer noch mit den Blutabnahmen beschäftigt und werde im Gang von Angehörigen angesprochen. Sie wollen wissen, wie es dem Patienten geht, wann er entlassen wird, ect ect. Ich sage freundlich, dass ich der Dienstarzt bin und sie am Montag mit den zuständigen Stationsärzten sprechen sollen. Der Angehörige ist unzufrieden und lässt seinen Unmut bei mir aus. In diesem Moment klingelt das Telefon. Meine Rettung aus dem Gespräch. Ein Chest Pain (Herz-Notfall) kündigt sich an, eintreffen in 10 min. Ich bekomme Angst. Ich bekomme immer Angst, wenn es Chest pain oder Schockraum heißt. Das bedeutet Lebensgefahr. Und ich fühle mich nicht gut ausgebildet, um die Verantwortung in so einer Situation zu tragen. Ich bin erst seit drei Monaten Assistenzärztin. Nach vier Wochen haben wir bereits den ersten Dienst alleine in der Notaufnahme. Ich kann nicht einmal Ultraschall machen... denn für die Ausbildung gibt es keine Zeit, aus Personalmangel... Ich eile mit zittrigen Knien in die Notaufnahme. Inzwischen sind fünf neue Patienten dazugekommen. Der Notfall hat Vorrang. Ich versorge ihn. Panik breitet sich in mir aus. Ich sage immer wieder zu mir selbst: Schritt für Schritt. Durchatmen. Zum Glück sind erfahrene Schwestern in der Notaufnahme, die mehr wissen als ich. Sie führen mich. Es ist Nachtmittag. Keine Zeit zum Essen. Mein Magen knurrt. Ich habe nicht einmal Zeit, um ein Schluck Wasser zu trinken. Wieder Telefon. Ich soll mehrere Nadeln legen für die 14 Uhr Antibiose. Ich komme nicht dazu, denn: Notruf im Haus. Eine 93 jährige Patientin aus der Unfallchirurgie. Ich lasse alles liegen und stehen und renne quer durch die Notaufnahme über den Gang, durchs Treppenhaus in den 5.Stock. Der Pfleger hat schon angefangen zu reanimieren. Ich löse ihn ab und drücke weiter. Das Rea-Team trifft ein. Die Pflegekräfte suchen hektisch in den Unterlagen, ob eine Patientenverfügung vorliegt. Nein. Wir versuchen die Angehörigen zu erreichen, vergeblich. Wir spüren nach einer halben Stunde einen schwachen Puls und verlegen die Patientin auf die Intensivstation. Zurück in die Notaufnahme. Ich arbeite nach und nach meine Patienten ab. Muss mich immer wieder rechtfertigen, warum es „so lange“ dauert. Anruf auf der Station. Eine demente Patienten ist gestürzt. Ich eile auf die Station und versorge die Patientin. Kopfanprall unter blutverdünnende Medikamente. Ich ordne ein cCT an.In der Zwischenzeit mache ich in der Notaufnahme weiter. Es ist 17 Uhr. Mein Mittagessen wartet immer noch auf mich. Aber ich schaffe es kurz, wenigstens ein Schluck Wasser zu trinken. Das Telefon klingelt heute ununterbrochen. Ein Patient hat aufgefiebert. Ich lasse die Patienten in der Notaufnahme stehen und gehe auf die Station. Ich nehme Labor und Blutkulturen ab, lege eine Nadel, informiere den Hintergrund, hänge Antibiotika an. Ein Anderer Patient hat Durchfälle. Wir müssen ihn isolieren. Das Haus ist fast voll. Eine Herausforderung, aus dem 3-Bett-Zimmer jetzt ein Einzelzimmer zu machen. Anruf aus der Notaufnahme. Erneuter Chest Pain. In wenigen Minuten treffen sie ein. Auf dem Weg zur Notaufnahme bleibe ich für einen Augenblick im Treppenhaus stehen. Ich fühle mich schwach, maßlos überfordert, mein Magen knurrt immer noch, meine Knie zittern, mir wird schwarz vor Augen. Mir strömen plötzlich Tränen über beide Augen. Ich kann nicht mehr. Ich frage mich, was ich hier mache. Aber keine Zeit zum nachdenken. Ich hole tief Luft, wische mir die Tränen weg und eile in die Notaufnahme. Das Telefon wieder: die Nadeln warten noch. Das hatte ich vergessen. Ich kann jetzt nicht. Die Nadeln müssen warten. Ich laufe in die Notaufnahme und will noch schnell zwei Patienten entlassen, die Beschwerden abklären lassen wollten, die sie schon seit 2-3 Wochen haben. Sie dachten, Sonntag wäre ein guter Tag dafür. Ich schaffe leider nur einen zu entlassen, der andere muss noch warten wg dem Notfall. Als ich anschließend zu ihm gehen will, ist er schon weg. Er hat weder den Arztbrief noch seine Laborwerte abgewartet/ mitgenommen. Ich gehe auf die Stationen, um Blut abzunehmen, Troponin-Kontrollen, die ich vor einer Stunde hätte abnehmen sollen. Meine To-do-Liste in meiner Kitteltasche wird nicht kürzer. Es ist inzwischen 20 Uhr. 12 Stunden Dienst geschafft. Übergabe. Ich übergebe dem Nachtdienst 5 wartende Patienten in der Notaufnahme. Der ist nicht begeistert, warum die Patienten seit drei Stunden keiner gesehen hat und er jetzt die ganze Arbeit hat. Nach der beendeten Arbeitszeit gehe ich auf die Stationen und lege die Nadeln vom Nachmittag. Endlich. Ich verlasse die Klinik um 21 Uhr. Mit einem unguten Gefühl: dem Gefühl der Leere, der Erschöpfung, des Versagens. Liegt es an mir, oder am System? Bin ich zu langsam? Zu schlecht? Was hätte ich anders tun können/sollen? Der Dienst wird übrigens nicht bezahlt. Die Arbeitszeit landet auf dem Überstundenkonto, bei anderen 180 Überstunden in drei Monaten. Und es wird mir eine Pause von 45 Minuten abgezogen, ob ich sie einhalte oder nicht, interessiert niemanden. Mein Mittagsbrot nehme ich wieder mit nach Hause. In der dunklen Ecke im Bus kann ich jetzt meine Tränen nicht mehr zurückhalten.