Das Wort Jobrotation ist jedem Arzt ein Begriff. Man kann es machen wie Kollege Steffen, der Diabetes und Divertikulitis behandelt, während er ein EKG liest. Oder man macht es gar nicht. Beides finde ich problematisch.
In meiner Weiterbildung zur Unfallchirurgin und Orthopädin rotierte ich in der Phase des Common Trunks (Basischirurgie) von der Station in die Notaufnahme, weiter auf die Privatstation, in den OP und auf die Intensivstation. Im Dienst war ich auch für die allgemeinchirurgischen Aufnahmen zuständig und hin und wieder verirrte sich auch ein gefäßchirurgischer Patient zu uns. Die halbjährliche Jobrotation war abwechslungs- und lehrreich. Diese Rotationen habe ich im Nachhinein ziemlich genossen und profitiere von diesen unterschiedlichen Erfahrungen bis heute.
In den Jahren nach dem Common Trunk war meine Weiterbildung leider nicht mehr ganz so klar aufgebaut. Die Struktur musste ich mir weitestgehend selbst erarbeiten. Der leitende Oberarzt einer Klinik führte mich zwar in die unterschiedlichen unfallchirurgischen Operationen ein, aber der Wechsel aus der Unfallchirurgie in die Sektion der Wirbelsäulenchirurgie und Schmerztherapie sowie in die Sektion der Orthopädie und Endoprothetik musste ich schon selbst planen. Ich fand es in allen Sektionen spannend, auch wenn mir das eine mehr als das andere lag. Für meine Verhältnisse habe ich die Gebiete der Rheumachirurgie und der kindlichen orthopädischen Chirurgie zu wenig kennen gelernt, aber nach drei unterschiedlichen Kliniken wollte ich nicht noch einmal wechseln. Als Fachärztin wollte ich aber zumindest einmal alle Bereiche meines Faches gesehen haben. So war mein Gedanke.
Ich habe die Jobrotation als etwas sehr Positives erlebt. Sie macht meine Arbeit abwechslungsreich, ich bleibe motiviert und der frische Input in den Teams tut allen gut. Seit ich in den letzten Zügen der Weiterbildung bin, verliere ich die Abwechslung etwas. Leider nicht deshalb, weil ich mich nun endgültig für eine Sektion entschieden habe, sondern weil keine Zeit mehr für Rotation ist.
Durch den Nachwuchsmangel ist unsere Abteilung unterbesetzt. Die Rotation auf die Intensivstation für den Kollegen im zweiten Jahr musste dieses Halbjahr ausfallen und die Sektion der Wirbelsäule operiert nur noch mit den Oberärzten. Ich werde als Mädchen für alles tageweise dort eingesetzt, wo es in den Sektionen am dringlichsten fehlt. Die tägliche Rotation ist dann doch eine etwas zu schnelle Variante der Rotation, die mir nicht besonders gefällt. Kurz vor dem Ende der Facharztzeit toleriere ich diesen Zustand jedoch, weil ich so jederzeit zu allen Themen eine Antwort parat haben muss. Irgendwie muss man sich das ja schön reden.
Dass die Rotationen nicht mehr überall so wie geplant durchgeführt werden können, führt meiner Meinung nach dazu, dass die Qualität der Ärzte in der Weiterbildung sinkt. Den Umgang mit Menschen, aber auch die Begrenzung medizinischer Maßnahmen lernt man nun mal am besten auf der Intensivstation – ein nicht zu vernachlässigender Aspekt, der bei vielen Ärzten einer zwingenden Anpassung bedürfe.
Das halbe Jahr dauerhaft in der Notaufnahme eingeteilt zu sein, macht einen fit für die Nachtdienste und bringt einem viel Sicherheit in der Diagnosefindung und Priorisierung seiner ärztlichen Aufgaben. Die Stationsarbeit ist meist lästiges Beiwerk, aber nur hier lernt man, seine ärztliche Tätigkeit maximal effizient auszuführen. Ein Unfallchirurg und Orthopäde, der niemals einen akuten Bauch beurteilen musste oder einen Patienten mit Aortendissektion gesehen hat, übersieht manchmal das Offensichtliche. Ohne Rotation leidet die Weiterbildung massiv und die Fehlerquellen steigen.
Natürlich kann man es auch übertreiben. So wie Kollege Steffen zum Beispiel. Ein unglaublicher Mann mit unendlich vielen Jobrotationen. Er kann einen Blutdruck einstellen, den Diabetes behandeln, offene Füße, eine Sigmadivertikulitis und Hämorrhoiden. Zur Not führt er das Echo eines Patienten selbst durch und beurteilt das EKG fachkundig wie ein Anästhesist. Steffen hat ein breites Spektrum an medizinischem Fachwissen. Er hat einige Jahre in der Anästhesie gearbeitet, ein paar Jahre in der Inneren Medizin, in einer Reha-Klinik, in der Allgemeinchirurgie und in der Urologie.
Als Arzt in Weiterbildung hat er die Chance genutzt, in verschiedene Bereiche zu rotieren und sich die unterschiedlichen Fachdisziplinen anzusehen. Eine wunderbare, abwechslungsreiche, lehrreiche Zeit, die mit Ende 40 allerdings dazu führt, dass er bis heute keinen Facharztitel hat und in unserer Abteilung auch nicht zum Facharzt für Unfallchirurgie wird. Diese Variante der Jobrotation ist vielleicht dann doch etwas zu viel des Guten. Außer man hat vor, Allgemeinmediziner zu werden.
Trotzdem ist auch außerhalb des eigenen Fachgebietes eine Rotation sicherlich lehrreich. Persönlich halte ich ohnehin sehr viel davon, einmal vom geraden Kurs abzugehen und auf einem Umweg etwas frischen Wind in den eigenen Lebensplan zu bringen. Allerdings halte ich es – insbesondere als Frau, die schwanger und länger in Elternzeit war als für zwei Monate – für notwendig, ab einem gewissen Zeitpunkt seine beruflichen Ziele zu definieren.
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