Als Apotheker und PTA haben wir nun endlich mehr Freiheiten, dem Rahmenvertrag sei Dank. Allerdings muss ein Arzt jede Entscheidung telefonisch absegnen.
Seit Juli gilt bekanntlich der neue Rahmenvertrag, und der hat es echt in sich. Wir Apotheker und PTA dürfen zwar jetzt relativ viel selbst ändern und brauchen dafür keinen Arztstempel plus Unterschrift mehr, aber dafür gibt es andere Schwierigkeiten.
Wir müssen ab sofort immer, wenn wir etwas abgeben, das den Preisanker übersteigt, beim Arzt anrufen und das abklären. Dieser Preisanker ist der Preis, den der Arzt durch seine Vorauswahl einer Firma setzt. Nun ist es häufig so, dass die Praxen quasi aus Versehen Reimporte verordnen. Die heißen nämlich oft genauso wie das Original, nur die Firma ist eine andere. Statt Pfizer oder Bayer steht da Kohlpharma oder Eurim. Das fällt den MFA nur nicht immer auf.
Oder das einzig lieferbare Medikament ist vielleicht 2 Cent teurer als das verordnete. Bei solchen Verordnungen gibt es dann Probleme, wenn der Patient sein Insulin wie gewohnt vom Originalhersteller haben möchte, denn dann müssen wir jedes Mal zum Telefonhörer greifen. Gefühlt sind wir seit Juli doppelt so häufig am Apparat und ernten von Kunde und MFA absolutes Unverständnis dafür.
Dazu kommen dann, wenn man Pech hat, noch falsche Verordnungen – trotz der versprochenen aktuellen Arztsoftware, die angeblich keine Fehler mehr macht. Keine PZN, keine Dosierung bei Rezepturen, verordnete Arzneimittel die bereits als außer Handel gekennzeichnet sind und dergleichen mehr. Alles Situationen, die nun anrufpflichtig geworden sind, denn wir dürfen zwar alles abändern, aber erst nach Rücksprache.
Diese Situation treibt unschöne Blüten, denn inzwischen gehen manche Arztpraxen gar nicht mehr ans Telefon, wenn aus einer Apotheke angerufen wird. Denn wir sind ja nicht die Einzigen, die Fragen abklären wollen. Das Problem: Wenn man dreimal täglich wegen irgendeines bürokratischen Blödsinns durchgeklingelt hat, und es dann beim vierten Mal aber tatsächlich pharmazeutisch wichtig ist, wird man nicht mehr ernst genommen. So geschehen diese Woche, als nicht mehr ans Telefon gegangen wurde, weil wir eine Rufnummernübermittlung haben.
Es ging um ein akut benötigtes Medikament für einen kleinen Jungen. Es ging ihm nicht gut, doch die Rezeptur war in der verordneten Dosierung unplausibel (weil um den Faktor 10 unterdosiert) und für uns so nicht abgabefähig. Die Praxis des Spezialarztes ist außerdem gut 20 Kilometer entfernt und daher nicht mal eben zu Fuß erreichbar. Da nach mehrmaligem Anrufen niemand abnahm, schalteten wir in unserer Not die Nummernübermittlung aus, um nicht sofort als Apotheke wahrgenommen zu werden.
Die MFA ging dann auch ran und teilte uns mit, dass die Apotheke im Haus diese Rezeptur immer so herstellt und hier noch nie Probleme gemacht hatte, der Arzt sei im Übrigen nicht abkömmlich. Also riefen wir dort zuerst an, um zu erfahren, dass die Rezeptur immer so hergestellt wurde wie wir es uns gedacht hatten, also um den Faktor 10 stärker.
Also folgte wieder der Versuch, in der Praxis anzurufen. Mit Nummernübermittlung wieder sinnlos und als die MFA nach deren Unterdrückung abnahm, legte sie einfach auf, als meine Kollegin unseren Apothekennamen durchsagte. Wir mussten dann die Eltern des schwer kranken Jungen anrufen und sie bitten, in die mehrere Kilometer entfernte Praxis zu fahren, um das Problem selbst zu klären.
Diese Situation ist belastend für uns. Wir kommen schlecht damit klar, jetzt überall nur noch als die nervenden Telefonterroristen wahrgenommen zu werden. Und in solchen Situationen ist das für Kunden und Patienten sogar gefährlich. Wir nehmen das außerdem alle innerlich mit nach Hause und grübeln viel darüber nach, was wir vielleicht anders machen können.
Eine Idee war, dass wir die Ärzte in der unmittelbaren Umgebung über die Situation informierten und sie uns quasi einen Blankoscheck unterschrieben, dass wir in einem Bereich von bis zu 10 Euro Preisanker-Überschreitung nicht mehr anrufen müssen und es einfach machen dürfen. Das hilft, den Alltag etwas einfacher zu meistern – bis zur nächsten Reform …
Bildquelle: Annie Spratt, unsplash