Den Satz „Ich fühle mich einsam“ hört man selten. Und doch geht es einer Umfrage zufolge jedem Zehnten so. Braucht Deutschland einen Einsamkeitsbeauftragten?
Niemand gibt gerne zu, sich einsam zu fühlen. Das macht die Sache mit der Einsamkeit so problematisch. Denn die Betroffenen treten selten in Erscheinung. Am ehesten noch wählen sie die Nummer der Telefonseelsorge, um darüber zu sprechen. Im schlimmsten Fall kann dieses Gefühl in einem Suizid enden. Damit es gar nicht erst so weit kommt, dass Menschen vereinsamen, ergreift man in anderen Ländern wie Großbritannien oder Dänemark Präventionsmaßnahmen. Und bei uns? Da fängt man gerade erst an, dem Thema das Gewicht beizumessen, das es verdient.
SPD-Politiker Karl Lauterbach sagte am Wochenende in einem Interview mit der Bild am Sonntag, dass ihm das Thema Einsamkeit am Herzen liege. Schon im Mai twitterte er: „Einsamkeit ist eine Epidemie geworden“. Im selben Monat stellte die FDP eine Kleine Anfrage zur Einsamkeit, in der sie auf andere Länder wie Großbritannien, Dänemark und auch Australien hinweist, die bereits mit verschiedensten Maßnahmen versuchen, das Problem anzupacken.
Dass Einsamkeit in der Politik wieder verstärkt thematisiert wird, ist wichtig. Denn „das Gefühl von Einsamkeit ist weiter verbreitet als bislang gedacht“, wie etwa die Autoren der Gutenberg-Gesundheitsstudie (GHS) der Universitätsmedizin Mainz in ihrer Arbeit aus dem Jahr 2017 betonen. Ihren Ergebnissen zufolge gab etwa jeder zehnte Studienteilnehmer im Alter von 35 bis 74 Jahren an, unter Einsamkeit zu leiden. Auf die deutsche Bevölkerung hoch gerechnet wären das mehr als acht Millionen einsame Menschen.
Man kann an dieser Stelle nicht oft genug betonen, dass einsam nicht dasselbe bedeutet wie allein. Soziale Isolation kann ein Auslöser für Einsamkeit sein, aber das Gefühl kann sich auch dann einstellen, wenn man viele soziale Kontakte pflegt.
Wie gefährlich dieses Gefühl sein kann, fasst Studienleiterin Dr. Ana Nanette Tibubos in einem Fazit zusammen: „Unter den Menschen, die extrem unter Einsamkeit litten, hatten über die Hälfte auch Depressionen und 40 Prozent litten unter allgemeinen Ängsten. Von den Menschen, die nicht einsam waren, berichteten sechs Prozent über Selbstmordgedanken. Bei den extrem einsamen Menschen waren es hingegen 42 Prozent. Selbst unter statistischer Berücksichtigung des sozioökonomischen Status der Befragten, ihrer Angst und ihrer Depression, war ihre Neigung an Suizid zu denken, immer noch um signifikante 30 Prozent erhöht.“
Nicht nur in Hinsicht auf das Selbstmordrisiko ist Einsamkeit schädlich. Wie erwähnt, geht das Gefühl auf lange Sicht mit Depressionen einher, doch es gibt noch weitere gesundheitliche Risiken, die mit der Einsamkeit in Verbindung stehen: Einer britischen Studie zufolge ist sie ein Risikofaktor für koronare Herzerkrankungen und Schlaganfälle. In einem Review wird ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und einem erhöhten Risiko für Bluthochdruck, Lungenkrankheiten, Übergewicht, Diabetes und Krebserkrankungen hergestellt.
Darüber hinaus hat Einsamkeit ansteckende Eigenschaften, wie John Cacioppo et al. von der Universität Chicaco herausfanden. Das Risiko, sich selbst einsam zu fühlen, sei erhöht, wenn ein Freund oder sogar nur ein Freund eines Freundes einsam sei, so das Ergebnis.
In einem Interview mit dem Weser-Kurier gibt Peter Brockmann Aufschluss darüber, wie Menschen in Deutschland über das Thema Einsamkeit sprechen. Er betreut die Telefonseelsorge Bremen. „Es ist eher heikel, das Thema Einsamkeit anzusprechen, weil es zu den Tabuthemen der Gegenwart zählt. […] Wir bekommen zu hören, dass wir die Einzigen sind, an die man sich mit einem bestimmten, oft schambesetzen Thema zu wenden wagt“, erzählt er. Das gelte nicht nur für Bremen und nicht nur um die Weihnachtszeit. Einsamkeit sei „ganzjährig und bundesweit“ eines der „Top-Themen bei den Anrufen“, so Brockmann.
Wenn man sich etwa auf der Website des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) über das Thema informiert, fällt auf: Im Fokus stehen Hochaltrige. Das Ministerium unterstützt deshalb aktuell bundesweit 540 Mehrgenerationenhäuser, um der Einsamkeit bei alten Menschen entgegenzuwirken. Doch Einsamkeit ist ein Problem, das alle Altersgruppen betrifft – auch junge Menschen, besonders End-Zwanziger, wie Lee at al. in ihrer Arbeit betonen.
Was soll also in Deutschland passieren, um die Bevölkerung weniger einsam zu machen? Als Vorreiter und Vorbild auf dem Gebiet der Einsamkeitsbekämpfung ist Großbritannien zu nennen- Dort gibt es seit 2018 einen Minister of Loneliness. Was Präventionsmaßnahmen betrifft, ist man auf der Insel sehr engagiert. Ein Beispiel ist die Aktion „Let's talk more“ im Rahmen der „Campaign to End Loneliness“, die von der Regierung unterstützt wird.
Auch in Australien wird der Schrei nach einem eigenen Einsamkeitsministerium immer lauter. Auf dem Kontinent wurde 2017 von der britischen Kampagne inspiriert die „Australian Coalition to End Loneliness“ ins Leben gerufen. In Dänemark gibt es das Projekt „Ventilen“, das zwei Mal wöchentlich Treffen für junge Menschen organisiert.
Bei uns sucht man Aktionen und Angebote dieser Art vergeblich. Braucht Deutschland einen Einsamkeits-Beauftragten? Wir sind gespannt auf das Ergebnis unserer Umfrage auf Twitter und auf das Feedback in den Kommentaren oder per Mail an feedback_news@doccheck.com.
Bildquelle: Jehyun Sung, unsplash