Der Zustand eines teilweise gelähmten Patienten verschlechtert sich zusehends. Das MRT zeigt eine neue Läsion an der HWS. Doch was die Ärzte bei der Operation finden, verblüfft sie.
Mit zunehmender Verschlechterung der neurologischen Funktionen seiner Arme und einem allmählichen Verlust seiner Harnblasenfunktion wird ein 38-jähriger Patient in eine neurochirurgische Klinik überwiesen.
Die Anamnese ergibt, dass er im Alter von 20 Jahren eine Frakturdislokation seiner Halswirbelsäule (C5/C6) erlitten hatte. Trotz anschließender Wirbelsäulenfusion und Reha-Maßnahmen blieb damals eine partielle Lähmung seiner Arme sowie eine schwere Lähmung des Rumpfes und der Beine zurück. Um die derzeitig zunehmende Verschlechterung seines Zustandes zu untersuchen, führen die Ärzte eine MRT-Untersuchung bei dem Patienten durch und finden eine Schwellung im Bereich der HWS sowie eine Läsion im Bereich von C4–C7.
3D-Modell der menschlichen Wirbelsäule
Der Patient wird operiert und es zeigt sich eine inhomogene Masse im Rückenmark. Diese ist teilweise solide, infiltriert ins Rückenmark und bildet eine dünne, schleimige Schicht. Die Ärzte führen eine subtotale Resektion durch und entnehmen zahlreiche Proben. Der pathologische Befund ergibt, dass die Proben mit ektoper nasaler Schleimhaut übereinstimmen – der Fund überrascht die Ärzte.
Doch die Krankheitsgeschichte des Patienten kann den Befund klären: Im Alter von 26 hatte sich der Patient einer experimentellen Stammzelltherapie unterzogen, bei der ihm ein Schleimhauttransplantat aus der Nase an die Stelle der Rückenmarksverletzung transplantiert wurde. Stammzellen aus der unteren Nasenmuschel sind leicht zugänglich und können bis ins hohe Alter isoliert und dazu angeregt werden, sich zu spezialisierten Zellen zu entwickeln. Bei dem jungen Mann jedoch brachte die OP nicht den gewünschten Erfolg, denn er litt fortan unter stärkeren Schmerzen als zuvor.
Die Ärzte können den Tumor nicht vollständig entfernen, da das Risiko von weiteren Verletzungen des Rückenmarks zu hoch ist. Um den Tumor am Wachstum zu hindern, muss sich der Patient einer Bestrahlung unterziehen. Ob die Therapie erfolgreich sein wird, ist noch ungewiss. Der Mann steht weiterhin unter Beobachtung.
Die behandelnden Ärzte warnen vor möglichen Folgen einer Stammzelltransplantation. Zwar gibt es mehrere kleine Studien, in denen gezeigt wurde, dass diese Transplantation bei einigen Patienten zu einer Verbesserung der neurologischen Defizite führte. Doch sind die anschließenden Follow-ups nach Angaben der Mediziner oft zu kurz. Denn Läsionen bilden sich häufig erst Jahre später. So ist mindestens noch ein weiterer Fall bekannt, in dem ein Patient nach einer solchen Schleimhauttransplantation die gleichen Symptome aufwies wie im hier beschriebenen Fall. Die Wissenschaftler beklagen außerdem die zunehmende Vermarktung der Stammzelltherapie. Sie weisen darauf hin, dass man sich stets über mögliche Nebenwirkungen bewusst sein und Patienten entsprechend beraten müsse.
Ein Artikel von Natascha van den Hoefel.
Textquelle: Claire F. Woodworth et al / CMAJBildquelle: Darran Shen, Unsplash