Harn- und Gefäßkatheter, die zu spät gezogen werden, sind eine häufige Ursache für Infektionen – und dazu kommt es, weil Ärzte und Pflegekräfte nicht richtig miteinander reden. So lautet zumindest das Fazit einer aktuellen Studie. Sehe ich anders.
Unlängst wurde eine Studie veröffentlicht, die an der University of Michigan School of Nursing durchgeführt wurde. Es ging um „kontextuelle Hindernisse für die Kommunikation zwischen Ärzten und Krankenschwestern über die angemessene Verwendung von Kathetern“.
Hintergrund hierbei war wohl, dass verweilende Harn- und Gefäßkatheter eine der häufigen Ursache von Infektionen sind. „Eingriffe zur Reduzierung des Kathetergebrauchs können unwirksam sein, wenn sie nicht in den Arbeitsablauf und die Kommunikationsströme vielbeschäftigter Ärzte integriert sind“ – so war zu lesen. Die Vermutung der Autoren, dass es eventuell an Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Ärzten und Krankenschwestern lag, bestätigte sich nach Angaben der Studie.
Mehrere Hindernisse für die Kommunikation zwischen Ärzten und Krankenschwestern trugen der Studie zufolge zur unangemessenen Verwendung und verzögerten Entfernung von Kathetern bei: „Eine fehlerhafte Ausrichtung der Arbeitsabläufe zwischen Klinikern war ein Hindernis für die Komplexität der Organisation, Probleme mit elektronischen Patientenakten und Pager waren mit kognitiver Komplexität verbunden, und gespannte Beziehungen zwischen Klinikern und starren Hierarchien waren mit sozialer Komplexität verbunden.“ Die Schlussfolgerung, die gezogen wurde, war: Verbessert sich die Kommunikation zwischen Arzt und Pflegepersonal, wird alles wieder gut. „Eine angemessene Verwendung von Kathetern erfordert möglicherweise Innovationen, damit das Infektionsrisiko sinkt!“
Es gibt so Studien, die lassen mich ratlos zurück. Ganz naiv übersetzt würde es ja bedeuten: Wenn Arzt und Pflegepersonal vernünftig und immerzu miteinander sprechen und Anweisungen sofort und auf der Stelle umgesetzt werden würden, gäbe es kein Infektionsrisiko. Wenn die Sonne untergeht, wird es dunkel. Soweit – so spannend.
Ich habe gelernt: Alles, was in einen Menschen von außen hineingeht, ist ein Infektionsrisiko. Punkt. Das ist die sensible Stelle. Mangelnde Hygiene – aus welchen Gründen auch immer – lässt das Risiko einer Infektion steigern.
Das scheint über „dem großen Teich“ ganz anders zu sein. Da steigt das Risiko, wenn nicht zeitnah gezogen wird. In den Krankenhäusern, in denen ich arbeitete, gab und gibt es Visiten, bei denen angegeben wird, wann was wie und wo gezogen werden soll. Sollte das Pflegepersonal nicht bei den Visiten anwesend sein, können sie es nachlesen, wenn sie die Visite „ausarbeiten“. Und dann kommt es auf die To-Do-Liste und wird erledigt. Im besten Falle in der selben Schicht noch. Der Studie nach zu urteilen, müssen in Amerika dafür scheinbar Wochen vergehen. Anders erklärt sich ein gesteigertes Infektionsrisiko für mich nicht. Selbst die schlimmsten Graben-/Fachabteilungskämpfe, die ich miterlebt habe, konnten den Prozess des Entfernens von „irgendwas“ nicht derart verzögern, dass es einen vernünftigen Grund für eine Steigerung eines Infektionsrisikos gegeben hätte.
Dazu kommt noch, dass das Pflegepersonal im besten Fall durchaus einen Überblick über all die zu betreuenden, liegenden Katheter der Patienten hat und die Zeichen einer beginnenden Entzündung zu deuten weiß. Vorausgesetzt, sie können ihrer Arbeit in Ruhe und der nötigen Sorgfalt nachkommen.
Denn hier liegt das Dilemma in Deutschland mit seinem derzeit gravierenden Pflegenotstand. Sollte es hier zu Infektionen kommen, dann eher weniger, weil man nicht miteinander spricht, sondern weil einem möglicherweise die Zeit für grundlegende hygienische Maßnahmen fehlt. Jeder, der jetzt gequält aufstöhnt, weil: „Das darf ja nicht sein…“, kann selbst nachrechnen: Auf einer Station mit 30 Patienten und – in einer guten Besetzung zwei Pflegekräften (Auszubildende nicht mitgerechnet) – können wir alle mal geschmeidig nachrechnen, wieviel Zeit jede der Pflegenden damit verbringen würde, wenn er vor/danach und zwischen jedem Patientenkontakt tatsächlich die 30 Sekunden für die Händedesinfektion einhalten wollen würde. Ich sage nur: Stunden. Und dann war noch keiner auf der Toilette oder bekam einen Verband gewechselt.
Vielleicht sind die Probleme in Deutschland tatsächlich auch nicht mit denen in Amerika zu vergleichen. Dort werden im Schnitt 5,3 Patienten auf eine Pflegekraft gerechnet – in Deutschland ist es mit 13 Patienten mehr als das Doppelte.
Sicherlich würde hierzulande das mögliche Risiko einer nosokomialen Infektion beträchtlich sinken, wäre der Betreuungsschlüssel von Pflege zu Patienten ein ähnlich guter wie im internationalen Vergleich. In Deutschland werden Patienten höchstens deshalb krank(er), weil das knappe Personal Hygienestandards nicht einhalten kann – auch wenn es will.
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