Derzeit entwickelt sich der Wirkstoff Alprazolam zur neuen Szenedroge. Nicht nur Rapper lobpreisen ihn in Songtexten, der Name des Medikaments findet sich auch auf Ketten oder T-Shirts von Jugendlichen.
Trends ändern sich mit jeder Generation, so ist es auch bei den Drogen. So taucht in Rap-Texten immer öfter Xanax® auf. In zahlreichen Songtexten wird der Wirkstoff Alprazolam als Lifestyle-Produkt angepriesen. Warum hat es gerade dieses Benzodiazepin geschafft, bei Jugendlichen so beliebt zu werden?
Oxazepam, Midazolam, Diazepam – die Liste der Benzodiazepine ist lang, alle wirken ähnlich. Sedierend bis hypnotisch, anxiolytisch, muskelrelaxierend, spasmolytisch und amnestisch. Ein Grund für die Verbreitung als Szenedroge mögen die pharmakologischen Eigenschaften sein. Alle Benzodiazepine weisen dieselben pharmakodynamischen Eigenschafgen aus. Sie binden an GABA-Rezeptoren im ZNS. Daraus resultiert unter anderem ein angstdämpfender Effekt.
In einer Übersicht warnen Ait-Daoud et al. vor dem Sucht- und Missbrauchspotenzial. Es ergibt sich aus seinen einzigartigen pharmakokinetischen Eigenschaften. Alprazolam wird rasch resorbiert, weist eine geringe Lipophilie auf und hat eine kurze Halbwertzeit – auf den ersten Blick für ein Arzneimittel positive Eigenschafgen. Nicht aber, wenn man das Risiko einer Suchtauslösung betrachtet.
Im Vergleich zu Diazepam ist Alprazolam weniger lipophil, hat ein geringeres Verteilungsvolumen und ist mit 68 Prozent weniger proteingebunden. Beim Diazepam bleiben 98 Prozent in der Plasma-Eiweiß-Bindung. Die Halbwertzeit von Diazepam beträgt 22 bis 72 Stunden, die seines aktiven Metaboliten bis zu 300 Stunden. Diazepam und seine Metaboliten kumulieren im Körper. Verzichtet ein Konsument ein bis zwei Tage auf die Einnahme, treten keine Entzugserscheinungen auf, weil ein steter Blutspiegel dies verhindert.
Alprazolam hingegen ist erheblich rascher eliminiert. Bleibt eine Einnahme aus, kommt es zu Entzugserscheinungen. Hinzu kommt, dass die Affinität von Alprazolam zum Rezeptor erheblich größer ist: 1 mg Alprazolam entspricht etwa 10 mg Diazepam. Bei Überdosierungen ist Alprazolam deutlich toxischer als andere Benzodiazepine und sollte bei Patienten mit erhöhtem Suizidrisiko oder bei Patienten, die Alkohol, Opioide oder andere sedierende Medikamente verwenden, vermieden werden.
Grundsätzlich ist die therapeutische Breite der Benzodiazepine groß. Vielfach wird vor einer Atemdepression gewarnt, das ist pharmakologisch falsch: Opiate greifen im Atemzentrum an und lösen einen verminderten Atemantrieb aus. Benzodiazepine vermindern durch ihre muskelrelaxierende Wirkung lediglich die Atemhilfsmuskulatur. In Kombination mit Alkohol und/oder Opiaten können Benzodiazepine die Atmung in der Tat gefährlich beeinflussen.
Unter Jugendlichen besonders beliebt
In einer indischen Studie wurde die Auswirkung einer 14-tägigen Gabe von 0,5 mg Alprazolam auf mehrere Aufmerksamkeits- und Gedächtnisparameter untersucht. In der Verumgruppe kam es zu anterograder Amnesie und einer negativen Beeinflussung des visuellen Gedächtnisses.
Eine Studie von Hockenhull et al. untersuchte, ob es altersabhängige Unterschiede zwischen der Anwendung von Diazepam und Alprazolam gibt. Die Prävalenz der missbräuchlichen Einnahme von Benzodiazepinen in den letzten 90 Tagen war signifikant unterschiedlich, wenn man sie nach Altersgruppen aufteilt. Zumindest gilt dies für Alprazolam, nicht aber für Diazepam.
„Weitere Forschungsarbeiten sind erforderlich, um die Motivationen von Alprazolam ohne Krankheitsbezug vollständig zu verstehen und zu überwachen, und ob die Popularität von Alprazolam steigen wird“, so die Autoren der Studie. Die Befragten sollten ihre Motivation für den Alprazolamkonsum angeben.
Die Antworten:
Befragt wurden 52.927 britische Erwachsene. Das mittlere Alter betrug 46,1 Jahre.
Daten zur Medikamentenverwendung zeigen, dass die Anzahl der verkauften Tabletten für Diazepam mit knapp 160 Millionen Standardeinheiten 200-mal höher war als für Alprazolam mit 0,79 Millionen Einheiten. Dies deutet darauf hin, dass die legitime Verfügbarkeit von Alprazolam wesentlich geringer ist als die von Diazepam. Von besonderer Bedeutung ist, dass die Prävalenz der missbräuchlichen Anwendung in jüngeren Altersgruppen signifikant höher war als in älteren Kategorien. Dieser Trend wurde für Diazepam nicht beobachtet.
„Unsere Daten deuten darauf hin, dass mehr als 26.000 junge Menschen im Alter von 16–24 Jahren in den letzten 90 Tagen nicht-medizinisch verwendetes Alprazolam verwendet haben“, so die Autoren. Angstzustände und Schlafstörungen werden am Häufigsten als Gründe für den Missbrauch angegeben. Jugendliche konsumieren Alprazolam, um mit dem Alltagsstress besser umgehen zu können.
„Es gibt Befürchtungen, dass junge Menschen die Einnahme von Alprazolam als normal und harmlos empfinden könnten und sich daher einem erhöhten Risiko von Morbidität und Mortalität aussetzen“, so warnen die Autoren. Auf Internetplattformen wie Amazon werden Shirts, Kissen oder sogar Schmuck verkauft, auf denen der Medikamentenname zu lesen ist. Dadurch wird deutlich, was für ein Potenzial das Benzodiazepin in der Szene hat.
Screenshot, Quelle: Youtube
Alprazolam und andere Psychopharmaka können ohne Rezept über das Internet bezogen werden. Ob die Arzneimittel dann auch wirklich geliefert werden und was wirklich enthalten ist, ist fraglich. Wie alltäglich der Umgang mit dem Benzodiazepin ist, zeigt eine kurze Online-Recherche: Im Netz existieren Kochrezepte mit Alprazolam und sogar Anleitungen, Bonbons und Lollis mit dem Benzodiazepin herzustellen. Wie kann man dem entgegenwirken? Wer soll wann, wie und womit vor den Gefahren warnen?
Wenn in Schulen vor Drogen und Arzneimitteln gewarnt wird, wird dies nicht selten mit „dem erhobenen Zeigefinger“ getan. Jugendliche werden aber gerade dann neugierig auf psychotrope Substanzen. Nicht zielführend ist es, Verbote auszusprechen, sondern sachlich vor den Gefahren zu warnen. Und trotzdem ist es notwendig, dass die Nachricht ankommt, dass Benzodiazepine nicht cool sind. Sie können dem Konsumenten zwar Ängste nehmen, aber auch die Atmung und den Verstand.
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