Die Nachtschicht beginnt. Ich suche Fr. Dr. Moml auf, meine Kollegin, die ich gleich ablösen werde. Moml sitzt in der Aufnahme mit leicht irrem Blick, die Papiere von mindestens drei verschiedenen Patienten um sich gestapelt.
Es ist 20 Uhr. Die Stationen würden bald durchdrehen, sagt Moml, aber sie käme nicht von der Notaufnahme weg. Der Plan lautet also: Moml nimmt ihre drei Patienten vollends auf. Ich werde solange einen Trip zu allen internistischen Stationen machen.
Und los geht es:
Treffe Moml im Stationszimmer der letzten Station, wo sie gerade abgeklärt hat, dass man einen Patienten, den weder sie noch ich kennen, nicht mehr reanimieren wird, im Fall der Fälle. Bin froh, dass Moml das geklärt hat.
21 Uhr
Moml übergibt mir das vergangene Tagesgeschehen und entflieht.
Jetzt bin ich allein.
In der Aufnahme wartet Schwester Margarita mit drei neuen Patienten.
Herr Klumpz hat hohen Blutdruck gehabt, jetzt aber nicht mehr. Wobei nun, wo ein Arzt sein Kubikel betritt, doch wieder, weil: Ärzte machen ihn nervös.
Herr Klumpz hat eine große Tüte voller Medikamente dabei. Ich baue mehrere Türme damit auf der Ablage, um zu sortieren, was er jetzt wie einnimmt.
„Moment. Nein, das nicht, das ist das Medikament meiner Frau und das hier auch. Habe einfach alles mal in die Tüte mitgenommen, haha.“ Herr Klumpz wird nicht unbedingt unnervöser.
Mache mit Herrn Klumpz, der beschwerdefrei ist, selbst wenn der Blutdruck hoch ist, einen Plan zur häuslichen Einstellung und ggf. weiteren Abklärung. Eine Blutdruckeinstellung in einem Haus voller Ärzte, die seine Nervosität anstacheln, macht eher keinen Sinn.
22 Uhr
Schwester Margarita zieht mich weiter.
Mimo ist ungefähr drei Wochen alt und trinkt seit vier Tagen nichts. Ich protestiere, dass ich gar kein Kinderarzt wäre und dieses Klinikum auch keine Kinderabteilung hat, aber egal. Irgendjemand müsse das Baby jetzt anschauen und „äh das macht am besten der Internist“. Soso.
Mimo ist zum Glück, anders als Herr Klumpz, nicht nervös, wenn der Arzt da ist. Ich ziehe eine möglichst professionell aussehende Untersuchung ab. Das Kind scheint unbeeinträchtigt, bewegt sich, schaut umher, macht fröhliche Babygeräusche; die Schleimhäute sind feucht. „Naja“, sagt Papa Mimo nun, „also sie trinkt schon. Aber halt nicht so viel. Und wir machen uns da Sorgen.“
Ich empfehle einen Besuch beim Kinderarzt am Folgetag, füge aber noch an, dass wir hier nicht die kinderärztlichen Experten wären.
Familie Mimo beschließt daher zur Sicherheit, noch ins eine Stunde entfernte Uniklinikum rechts von Beteigeuze zu fahren. Das hat nämlich eine Kinderabteilung.
Moml ruft an. Sie hat vergessen, ein EKG auf Station zu überprüfen. Das müsse man noch machen.
23.00 Uhr
Patient 3: Frau Gu-Biller. Seit zwei Wochen habe sie Bauchschmerzen. Nun halte sie es nicht mehr aus. „Hmmm“, denke ich, „hätte sie vielleicht auch am Morgen zum Hausarzt gehen können. Aber gut aussehen tut sie auch nicht.“ Mache zur Sicherheit einen Ultraschall. Frau Gu-Biller hat eine Fetzen-Divertikulitis. Entzündungswerte im dreistelligen Bereich. Frau Gu-Biller bleibt stationär und wird mit einem Plan voller Antibiotika und Schmerzmittel auf Station gebracht.
Telefonat mit der Station. Eine Kopfschmerztablette angeordnet.
Ein Ultraschall für den Neurologen gemacht.
EKG von Moml überprüft.
00.00 Uhr
Patient 4: Herr Bimim hat eine Radtour gemacht. Jetzt hat er Schmerzen im Brustkorb und Angst einen Herzinfarkt zu haben. Herr Bimim hat zum Glück keinen Herzinfakt. Nachdem ich dies mithilfe ausführlicher Untersuchung festgestellt habe, darf Herr Bimim wieder heim. Er hat eine Muskelverspannung vom vielen Fahrradfahren. Ich schreibe einen Brief.
Neben mir sitzt der Psychiater und liest laut Angebote einer Internetseite vor, welche Angebote für Zahnersatz vergleicht. Zahnersatz ist ganz schön teuer. Der Psychiater sagt, er sei privatversichert und habe eine Zahnersatzzusatzversicherung.
Herr Bimim geht erleichtert mit Brief in der Hand.
Mache eine kurze Pause und gehe aufs Klo. Chancen muss man nutzen, wenn sie auftreten.
01.00 Uhr
Patient 5: Herr Häusl-Heuß hat genau das gleiche wie Herr Bimim mit dem Unterschied, dass Herr Häußl-Heuß am Vortag seinem Bruder beim Umziehen geholfen hat. Gleiches Vorgehen, gleiches Ergebnis. Herr Häußl-Heuß hat keinen Herzinfarkt, nur Muskelverspannungen und darf wieder gehen.
Damit ist die Notaufnahme leer.
Ich schaue auf allen Stationen ein weiteres Mal vorbei. Die Patienten schlafen friedlich.
02.00 Uhr
Möchte nun auch friedlich schlafen und ziehe mich ins Dienstarztzimmer zurück. Ahh.
02.30 Uhr
Patient 6 erreicht die Notaufnahme. Herr Alweis wohnt alleine zu Hause und fühlt sich unwohl. Da habe er den Blutdruck gemessen und der war sehr hoch und dann habe er den Blutdruck ein weiteres Mal gemessen und daraufhin sei dieser noch mehr angestiegen. „Hmhm“, sage ich, aktuell ist der Blutdruck schon wieder fast normal. Nehme Herrn Alweis trotzdem auf, dessen Angst davor, alleine mit dem Blutdruckmessgerät in seiner leeren Wohnung zu sein, fast mit Händen greifbar ist. Herr Alweis sinkt dankbar in ein Krankenhausbett. Weiß nicht, ob das jetzt die Superlösung war, aber so mitten in der Nacht fällt mir nichts Cooleres ein.
03.30 Uhr
Beschließe nochmals das mit dem Schlafen zu versuchen.
Döse mit kurzen Unterbrechungen:
Telefonische Beratung des Chirurgen, was für Medikamente er seinem Patienten bei Sodbrennen geben kann.
Telefonische Beratung Station 21, ja Lercanidipin ist der Wirkstoff von Carmen. Ja, das haben wir im Haus. Schon lange.
04.30 Uhr
Station 21 ruft nochmals an. Ein Patient ist verstorben. Erwartet. Taumle aus dem Bett und auf Station. Schaue den Patienten an und lese seine Akte. Telefoniere mit den Angehörigen.
Nach Ausfüllen des Todesformulars mit 10 Durchschlägen ruft Station 31 an.
Einer Patientin geht es sehr schlecht, ich soll ganz schnell kommen.
Frau Hermzopf hat ein Lungenödem. Ich verabreiche die Standard-Anti-Lungenödem-Medikation, rede beruhigend auf Frau Hermzopf ein. Wir ziehen die Patientin samt Bett und Sauerstoffflasche in ein Zimmer mit Überwachungsmonitor.
Wenn es nicht schnell besser wird, muss meine Patientin auf die Intensivstation. Im Ultraschall sieht man große Ergüsse voller Flüssigkeit im Pleuraspalt, die die Lunge zusätzlich am Entfalten stören.
Schwester Margarita besorgt mir Punktionszubehör aus der Notaufnahme und ich steche den größeren der beiden Ergüsse an. Nachdem ein ganzer Liter Flüssigkeit abgelaufen ist, geht es Frau Hermzopf langsam besser. Auch die Medikamente wirken. Frau Hermzopf schläft erschöpft ein. Ich bleibe noch eine Weile auf Station, bis ich sicher bin, dass sich Frau Hermzopfs Zustand nicht wieder verschlechtert.
06.00 Uhr
Die Stationen melden die ersten Morgenprobleme. Neue Kanülen. Ein Patient hat Fieber bekommen und soll doch heute Chemotherapie bekommen. Kläre alles ab.
08.00 Uhr
Übergabe in der Internistenmorgenbesprechung. Erzähle die Nachtereignisse und entfliehe dem Haus.
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