CME-Punkte kassieren, ohne eine Fortbildung zu besuchen – das versprechen jetzt Smartphone-Spiele. Schleichwerbung darf dabei natürlich nicht fehlen.
Der Polyp duckt sich ins umliegende Gewebe, er ist fast versteckt. Die laparoskopische Zange schiebt sich ins Bild und knipst ihn raus, Aufgabe erfüllt. Doch plötzlich blutet die Wunde. Sofort wird die Zange gegen den Laser getauscht, die offene Stelle ist schnell kauterisiert. Der Operateur atmet auf – und schaut nach, ob er den Highscore für diesen Patientenfall geknackt hat.
Die OP ist Teil des Smartphone-Games Gastro Ex®, produziert von Level Ex®. Die Firma wirbt damit, Spiele für Ärzte zu machen. Wofür das Ganze? Es geht darum, Eingriffe zu trainieren, schneller und routinierter zu werden. Zur Zeit gibt es vier solcher Spiele für iOs und Android. Jedes davon richtet sich an eine andere medizinische Fachrichtung. Die neueste Ergänzung der Reihe ist ein Spiel für Kardiologen.
Quelle: Level Ex ®, Youtube (Screenshot)
Sam Glassenberg, Videospiel-Entwickler und Gründer von Level Ex®, erinnert sich gut an den Anfang: „Damals, 2012, sagte mir mein Vater, ein Anästhesiologe an der Northwestern in Chicago, ich sollte diesen ganzen ‚Videospiel-Quatsch’ vernünftig einsetzen und ihm einen Simulator für fiberoptische Intubationen bauen, für seine Kollegen […]. ‚Ich will nicht jeden ins Simulationszentrum zerren’, hat er gesagt. ‚Mach mir was, das auf ihren iPads laufen wird.’“
Glassenberg baute eine App und lud sie für seinen Vater und dessen Kollegen im App Store hoch. Dann die Überraschung: „Wir hatten 100.000 Downloads von Ärzten, Schwestern und Paramedics weltweit. Offensichtlich erfüllte [das Spiel] einen großen Bedarf in der medizinischen Community.“
Ein wichtiger Part ist das Punktesystem der Spiele. Besonders beim Kardiologie-Game spielen Parameter wie Geschwindigkeit und Genauigkeit der Behandlung, Gewebetraumata, Blutverlust und natürlich das Überleben des Patienten eine wichtige Rolle.
Die Variante für Kardiologen kommt in bunter, technisierter Aufmachung daher. Im Trailer entseht der Eindruck, dass der Fokus besonders auf den spielerischen Aspekten liegt.
Das ist laut Entwickler Absicht und zum Teil der Art kardiologischer Eingriffe geschuldet – aber auch der Zielgruppe selbst. „Kardiologen sind grundsätzlich sehr technisch orientiert”, sagt Glassenberg. Einer von vier interventionellen US-Kardiologen spiele bereits eins der anderen Spiele von Level Ex®.
Dem Firmenchef fällt vor allem eines oft auf: „Wir sind immer wieder schockiert darüber, dass die Videospiel-Industrie im Hinblick auf visuelle Qualität und Realismus konstant 10-20 Jahre vor der Technik liegt, die in der medizinischen Ausbildung aktuell verwendet wird.“
Aus reinem Altruismus stellt Level Ex® die Spiele natürlich nicht zur Verfügung. Die Apps kommen ohne Werbebanner aus, sammeln dafür aber in großem Umfang Daten zum Spielverhalten und Vorgehen der User. Diese werden an Partnerfirmen, zum Beispiel im Bereich der Pharmaindustrie, weitergegeben. Zusätzlich können Firmen ihre Produkte in einzelnen Leveln unter ihrem realen Namen anbieten. Die Spieler testen innerhalb des Spiels so auch neue Geräte und Medikamente. Eleganter lässt sich massive Werbung wohl kaum verpacken.
Und auch in einem anderen Punkt verwischen in den Level Ex®-Spielen die Grenzen zwischen realer Welt und Simulation: Ärzte können mit den Apps CME-Punkte sammeln. Das ist allerdings nur durch das Spielen besonders komplexer Abschnitte möglich. „Das sollten die ‚Boss’-Fälle in Videospielen sein – die CME-Fälle, wo etwas richtig Schwieriges zu tun ist“, erklärt Eric Gantwerker, praktizierender Chirurg und Medical Director bei Level Ex®. Die Firma arbeitet dabei unter anderem mit der American Heart Association zusammen.
Unabhängig vom Schweregrad der spielbaren Levels gilt: Alle beruhen auf echten Patientenfällen. „Wenn ihr nun also einem schwierigen oder interessanten Fall begegnet, könnt ihr ihn an ein Journal schicken oder auf eine Konferenz mitbringen, oder ihn bei uns einreichen und, innerhalb von Wochen, können hunderttausende eurer Kollegen ihn spielen und um das beste Ergebnis wetteifern“, sagt Glassenberg.
Ob die im Spiel verdienten CME-Credits in Deutschland anerkannt werden, muss laut Entwicklern mit den jeweiligen Medical Boards geklärt werden. Es handelt sich um Credits mit der Einstufung AMA PRA Category I – wenn ein Board üblicherweise CME-Credits von US-amerikanischen Konferenzen annimmt, werde es die erspielten Credits auch akzeptieren, teilte das Team von Level Ex® auf Anfrage mit.
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