Egal, ob TTIP oder DAT-Anträge zur evidenzbasierten Pharmazie: Apotheker klagen über fehlende Möglichkeiten der Mitbestimmung. DocCheck sprach mit Florian Schulze, Vorstandsmitglied im VDPP, über Kritikpunkte und Lösungsvorschläge.
Viel Ärger nach dem Apothekertag: Statt einer Datenbank mit evidenzbasierten Fakten zum Nutzen oder Schaden wichtiger OTC-Arzneimittel stellt sich die ABDA-Spitze einen Newsletter mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen vor. Florian Schulze vom Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP) gibt jetzt Contra. Florian Schulze. Foto: privat DocCheck: Herr Schulze, in einem offenen Brief kritisieren Sie die ABDA-Linie zur Selbstmedikation. Wie kam es dazu? Schulze: Der Apothekertag hat einen Antrag, den wir mit vorbereitet haben, angenommen. Darin wird die ABDA aufgefordert, die vorhandene Evidenz für Selbstmedikationsarzneimittel aufzuarbeiten und in geeigneter, praxistauglicher Form allen Apothekern/innen zur Verfügung zu stellen. Und das tut sie aber nicht. Wir wollten eine echte Hilfestellung für die Offizinpraxis, etwa durch Abrufbarkeit der aufbereiteten Daten über die ABDA-Datenbank. Stattdessen soll nun ein Newsletter geprüft werden oder sogar eine Falldatenbank über Beratungsgespräche in Apotheken. Das kehrt unser Anliegen ins Gegenteil und hat bei uns, aber auch bei den Antragstellern/innen der Allianz Aktiver Apotheker (AAA), einiges Kopfschütteln verursacht. DocCheck: Viele Anträge versanden zwischen den Apothekertagen... Schulze: Der Antrag ist eben nicht an einen Ausschuss überwiesen, sondern schlichtweg angenommen worden. Er bedeutete einen unmissverständlichen Handlungsauftrag. Ich habe mich manchmal gefragt, warum die Vereinsgründerinnen und -gründer des VdPP bei der Namensgebung meinten, dass Pharmazie vor allem demokratisch sein soll. Bei dem Umgang mit diesem Antrag ist es mir klar geworden. Natürlich existieren private Alternativen, wie es sie zum Beispiel im Fachbereich Evidenzbasierte Pharmazie des EbM-Netzwerks gibt. Nachdem sich die Apothekerschaft mit Verabschiedung des Perspektivpapiers Apotheke 2030 und auf Vorschlag der ABDA eindeutig zur wissenschaftlich fundierten Arbeit bekannt hat, ist es jetzt an der Standesvertretung, diesen Anspruch mit Leben zu füllen. DocCheck: Sie sprechen von Demokratie. Auch das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP liegt Kolleginnen und Kollegen schwer im Magen. Schulze: Mit TTIP drohen dramatischer Folgen für unsere Demokratie. Man muss sich bewusst machen: Die Hinterkammer-Vereinbarungen sollen über den vom deutschen oder europäischen Parlament verabschiedeten Gesetzen stehen, also quasi Verfassungsrang erhalten. Bevor eine Koalition im Bundestag also zum Beispiel entscheidet, ob das Mehrbesitzverbot Gemeinwohlbelangen Rechnung trägt, wird geprüft, ob der Freihandel und der Investorenschutz beeinträchtigt werden könnten. Die Gesetzgebung wird unter einen generellen Rechtfertigungszwang des Freihandels gestellt. Eine private Gerichtsbarkeit soll entscheiden, ob das Parlament eine Regelung im öffentlichen Interesse treffen darf oder nicht. Das dreht die Rechtsordnung auf den Kopf und ist jenseits aller Detailfragen unerträglich. DocCheck: Welche Folgen hat TTIP speziell für den Gesundheitsbereich? Schulze: Alle Seiten beteuern, dass es keine Auswirkungen auf den Gesundheitssektor geben wird. Wegen der Geheimniskrämerei der EU-Kommission und der komplett fehlenden Mitgestaltungsmöglichkeiten von gewählten Parlamentariern im Verhandlungsprozess sind wir auf Spekulationen oder Gutgläubigkeit angewiesen. Die Pharmaindustrie steht inzwischen auf Nummer eins der zu TTIP lobbyierenden Wirtschaftsverbände. Das lässt weder für die deutsche Arzneimittel- noch für die Apothekenregulierung Gutes erahnen. Im Übrigen können auch die Verhandlungspartner wie die EU-Kommission, die US-Regierung und schon gar nicht die Bundesregierung, zuverlässig einschätzen, in welche Richtung sich solche Strukturen entwickeln. Schließlich lassen sie sich nicht wie Gesetze einfach wieder verändern. Niemand weiß, wie die Schiedsgerichte in ein paar Jahren entscheiden werden, wenn US-amerikanische Apothekenketten deutsche Regelungen als Handelshemmnis ansehen – auch die Bundesregierung nicht. DocCheck: Neben der Regierung ist auch die ABDA in der Pflicht, pharmazeutische Interessen nach außen zu vertreten. Wie bewerten Sie die Rolle der Standesvertreter? Schulze: Die ABDA hat eine Zwitterrolle zu erfüllen. In ihr sind mit den Kammern öffentlich-rechtliche Körperschaften und privatrechtliche Vereine vertreten, denen auch sozialrechtliche Aufgaben übertragen wurden. Die ABDA hat gleichzeitig Aufgaben mittelbarer Staatverwaltung zu übernehmen und die Erfüllung gesetzlichen Versorgungsauftrags zu gewährleisten. Sie vertritt auch die Interessen der Apothekerschaft gegenüber anderen Organisationen und Politikern. Das wird in der Debatte oft vergessen. Wer erwartet, dass Kammern reine Interessensvertretung sind, stellt ihre Einstufung als Körperschaft und damit auch die Privilegien eines selbstverwalteten Berufsstandes infrage. Wird das gewollt, sollte es auch ausgesprochen werden, damit alle wissen, in welche Richtung sich der Kahn bewegt. Nicht zuletzt wird die ABDA gewählt. Frei nach Joseph Marie de Maistre hat jeder Berufsstand die Standesvertretung, die er verdient. Natürlich muss die ABDA Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, aber der Berufsstand muss die Verantwortung für die ABDA übernehmen – und ihr etwa beim nächsten Apothekertag die Quittung für den Umgang mit dem beschlossenen Evidenz-Antrag servieren. Herr Schulze, vielen Dank für das Gespräch!