Wer hat eigentlich das Sagen, wenn es um die Betreuung eines Patienten geht? Als Hausarzt kennt man seine Patienten am besten, aber macht einen das zum „Chefarzt“? Manchmal muss schließlich ein Spezialist übernehmen.
Mein Mann und ich kochen gern, manchmal auch mit Freunden zusammen. Jeder hat seine Spezialitäten und Lieblingsgerichte. Es gibt aber eine einfache Regel: Einer ist der Chefkoch, der Rest arbeitet ihm zu. Das vermeidet Chaos in der Küche und Streitigkeiten. Um das direkt klarzustellen: Man kann auch als Chefkoch bestimmen, dass derjenige, der am besten mit dem Wok umgehen kann, das Gemüse anbrät und man selbst stattdessen alles vorher kleinschneidet oder schon mal die Sauce vorbereitet. Aber einer muss den Überblick behalten und im Zweifelsfalle auch entscheiden, was wie gemacht werden soll, wenn es mehrere Möglichkeiten gibt.
Warum dieser Exkurs in die Kochwelt? In der Medizin ist es ähnlich: Es muss einen Arzt geben, der die Behandlungen eines Patienten in einem gewissen Zeitraum koordiniert. Die anderen Ärzte arbeiten diesem Arzt zu und übernehmen Teilaspekte. Natürlich kommt direkt die Frage auf: Wer ist denn der Chefarzt in der Patientenversorgung? Muss es der Hausarzt sein?
Kommt drauf an, würde ich sagen. Da ich meine Patienten meistens am besten kenne, liegt es nahe, dass ich bei den längerfristigen Dingen den Überblick behalte. Vor allem in Bezug auf Medikamente und deren Neben- und Wechselwirkungen. Aus Erfahrung muss ich leider sagen, dass sich nicht alle Spezialisten immer eine Medikamentenliste und das Labor zeigen lassen, bevor sie ein neues Medikament verordnen. Und Schwupps, bekommt der Patient plötzlich Kombinationen, bei der man auf der Hut sein muss. Auf einen gut eingestellten Blutdruck Tamsulosin zu nehmen, weil jetzt auch noch die Prostata Probleme macht, kann gutgehen, kann den Patienten aber auch ziemlich hypoton machen und damit Stürze verursachen. Gerade bei älteren Patienten natürlich nicht ungefährlich.
Es gibt aber auch Situationen, in denen ich als Hausarzt das Ruder sehr gern zeitweise abgebe. Vor allem bei akuten onkologischen Fragestellungen. Ich bin nun mal Hausarzt und habe keine Zeit, mir immer die neuesten Chemotherapie-Schemata zu merken und das ist auch nicht meine Aufgabe. In diesem Fall arbeite ich dem Onkologen zu. Meistens bedeutet das, dass wir die regelmäßigen Laborkontrollen abnehmen und dem Onkologen schicken. Oder Sonographien durchführen oder Portnadeln nach Chemo entfernen. Gerade weil unsere Landpatienten sonst sehr lange Wege auf sich nehmen müssen, profitieren sie sehr davon.
Das geht natürlich nur, wenn man sich gut abspricht und miteinander arbeitet. Befunde müssen zeitnah übermittelt werden – ein häufiges Problem. Den Befund vier Wochen später zu übermitteln, ist allenfalls für Routinekontrollen akzeptabel, nicht für akute Krankheitsbilder. Und man sollte unbedingt darauf achten, dass das, was in dem Brief steht, stimmig ist. Erst vor kurzem hatten wir wieder einen Krankenhausbrief aus einem etwas entfernten Krankenhaus, in dem allen Ernstes als Diagnose „Akutes Nierenversagen, GFR bei Entlassung 27ml/min“ und bei Medikation „Metformin 1000 1-0-1“ stand. Wie bitte? Nach Rücksprache mit dem Krankenhaus (leider stimmte die GFR, nicht die Medikation) habe ich die Medikation umgesetzt. Aber sowas kostet beide Seiten unnötig Zeit. Zeit, die wir alle nicht haben.
Natürlich hat das niemand mit Absicht gemacht, sondern im Stress einfach übersehen, das ist mir klar. Aber hätte ich das einfach so übernommen, ohne darüber nachzudenken, hätte das für den Patienten eine lebensbedrohliche Laktatazidose bedeuten können. Also entbindet einen auch die Zusammenarbeit natürlich nicht vom selbstdenken. Im Zweifelsfall Nachfragen.
Wichtig ist dabei der Umgangston: Wir als Allgemeinmediziner haben in vielen Bereichen ein bisschen Wissen, aber natürlich nicht in dem Ausmaß wie ein Spezialist über sein Gebiet Bescheid weiß. Dafür hat der Spezialist manchmal bei allem Detailwissen über „sein“ Organ den Blick für das große Ganze verloren, den haben wir als Allgemeinmediziner stärker. Deswegen freue ich mich, wenn mich meine Kollegen bei Rückfragen ernst nehmen und ich nicht ein etwas herablassendes „Das brauchen Sie ja nicht zu wissen, da kümmern wir uns schon drum“ zu hören bekomme. Und auf unserer Seite lohnt sich ein freundliches „Könnten Sie mir das bitte erklären, ist das nicht soundso?“.
Die Zusammenarbeit mit unserem lokalen Krankenhaus läuft beispielsweise sehr gut. Wenn wir als Niedergelassene Anmerkungen haben, werden diese übernommen (z.B. in der Gliederung der Arztbriefe) und glücklicherweise erreicht man auch immer jemanden, der sich zuständig fühlt, das finde ich bei größeren Krankenhäusern häufig schwieriger. Und auch wir werden bei schwierigen Konstellationen angerufen, das finde ich klasse. So spart man Frust, unnötige Telefonate und wir minimieren die Gefahr für den Patienten.
Bei den niedergelassenen Spezialisten haben wir in den letzten Jahren ein gutes Netzwerk aufgebaut, das man bei komplexen oder sehr akuten Fragestellungen aktivieren kann. Zum Beispiel, wenn ich sehr dringend einen Termin für einen Patienten brauche. Vor ein paar Wochen hatte ich einen jungen Patienten, dessen Hausarzt in Urlaub war. Ich hatte also keinerlei Unterlagen und konnte auch keine anfordern. Der Patient hatte einen akuten Atemwegsinfekt (wohl eine spastische Bronchitis) gehabt und vom Hausarzt neben dem Antibiotikum Salbutamol erhalten. Jetzt hatte er eine massive Extrasystolie. Das EKG bei uns war unauffällig. Da der Patient aber am späteren Vormittag kam, konnte ich kein quantitatives Troponin machen. Einweisen zum Ausschluss einer Myokarditis? Oder ging es hier doch nur um die Nebenwirkung des Salbutamols? Ein schneller Anruf beim Kardiologen, EKG rübergefaxt und Patienten besprochen, nachmittags konnte der Patient sich direkt dort vorstellen. Absolut super!
Natürlich dürfen wir Hausärzte das nicht missbrauchen. Ich hörte von einer früheren Kollegin, die sich inzwischen als Gastroenterologin niedergelassen hat, dass bei ihr die Hausärzte keinerlei Bauch-Ultraschalluntersuchungen mehr selber machen, sondern die Patienten zu ihr schicken. Das verstopft das System: Sie hat keine Zeit mehr für jene Untersuchungen, die nur sie als Gastroenterologin machen kann und ist stattdessen mit Untersuchen beschäftigt, die der Hausarzt übernehmen kann.
Auch hier wieder: Mithilfe eines Telefonats lassen sich viele unnötige Vorstellungen vermeiden. Was ich teilweise sehr schwierig finde, sind hämatologische Fragestellungen. Beispiel: Makrozytose, im Verlauf zunehmend, B12 und Folsäure normwertig, Alkoholkonsum wird verneint. Zu welchem Zeitpunkt muss der Patient vom Hämatologen gesehen werden?
Bei Grenzfällen haben wir mit unseren Hämatologen inzwischen die Abmachung, dass wir die Werte faxen, später dann anrufen und besprechen, wie es weitergehen soll. Je nach Konstellation und genauer Fragestellung kann es sein, dass der Hämatologe den Patienten direkt sehen will, erst noch um bestimmte Untersuchungen bittet oder sagt, dass es reicht, wenn wir die Blutwerte im Abstand von x Monaten kontrollieren.
Deswegen an dieser Stelle ein riesiges Dankeschön an die Kollegen, die sich mit uns um gute Zusammenarbeit bemühen. Der kollegiale Austausch macht Spaß, man kocht nicht nur sein eigenes Süppchen, sondern sieht mal über den Tellerrand. Außerdem spart man allen Beteiligten Zeit, dem Gesundheitssystem Geld und dem Patienten eine Menge Aufwand. Mehr kann man sich nicht wünschen.
Bildquelle: Zeitschrift Deutscher Hausschatz, Wikimedia Commons