Die Ebola-Epidemie in der Demokratischen Republik Kongo (DCR) ist die zweitgrößte seit Beginn der Aufzeichnungen. Bisher sind über 1.500 Tode durch die Krankheit bestätigt. Warum also zögert die WHO, eine gesundheitliche Notlage auszurufen?
Etwas wie den Ebola-Ausbruch in der Demokratischen Republik Kongo (DCR) hat die Welt noch nicht gesehen. So schlicht und drastisch beschreibt Tedros Adhanom Ghebreyesus, Leiter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die aktuelle Lage in Afrika. Es ist seit Entdeckung des Virus im Jahr 1976 bereits der zehnte Ausbruch in der DCR.
Es ist allerdings auch eine der bei weitem längsten und größten Ebola-Epidemien im Land. Bisher (Stand: 6. Juli 2019) wurden 2.314 Fälle und 1.531 Tode im Zusammenhang mit Ebola bestätigt. Ein Ende der Krise scheint nicht absehbar, Anschläge und Misstrauen erschweren die Arbeit der Helfer vor Ort.
Dennoch weigert sich die WHO beharrlich, den Fall als Public-Health Emergency of International Concern (PHEIC) zu bezeichnen. Hier kommen also gleich mehrere gravierende Probleme zusammen, die eine Verbesserung der Situation in absehbarer Zeit nahezu unmöglich machen.
Da ist zum einen die Problematik der politischen und geografischen Lage der DCR. Im Nordosten des Landes nahm die aktuelle Epidemie vor fast einem Jahr ihren Lauf. Die beiden betroffenen Provinzen liegen in einem Krisenherd, durch lokale Konflikte kamen seit 1997 über sechs Millionen Menschen zu Tode. Mehr als 20 bewaffnete Gruppierungen, viele davon erbittere Gegner der kongolesischen Regierung, sind hier beheimatet.
Und auch ein zweiter problematischer Aspekt wurzelt in der Region: die fehlende Compliance aus Misstrauen. Denn im vergangenen Dezember verbot Joseph Kabila, ehemaliger Präsident der DCR, den Anwohnern des Gebiets, zur Präsidentschaftswahl zu gehen – aus Angst vor einem unkontrollierten Ausbreiten der Krankheit. Zuvor war von anderen Politikern aber die Nachricht verbreitet worden, Ebola existiere nicht. Regierungsgegner hielten Kabilas Entscheidung daher für politisches Kalkül und nahmen Ebola in erster Linie als Vorwand für Kontrolle und Ausgrenzung wahr.
Entsprechend schlecht sind sie jetzt auf Hilfsorganisationen zu sprechen, die offenbar gemeinsame Sache mit der vermeintlich unterdrückerischen Regierung machen. Und so steigt mit der Zahl der Anschläge und Überfälle auch die Zahl der Infektionen und Tode. Denn infolge der Attacken mussten Hilfsorganisationen wie Ärzte ohne Grenzen ihre Arbeit in den Epizentren der Epidemie einstellen.
Würde die WHO nun aber einen PHEIC ausrufen, könnte das die umliegenden Länder dazu bewegen, ihre Grenzen zu schließen. Das würde wiederum Tausende Menschen daran hindern, vor der alltäglichen Gewalt in den Provinzen der DCR zu fliehen. Zusätzlich würde infolge der Grenzschließung wahrscheinlich der Handel ausgesetzt und die Wirtschaft des ohnehin armen Landes so noch weiter geschwächt werden. Auch die Einreise weiterer Helfer wäre erschwert.
Ein drittes Problem liegt schließlich in der Begrifflichkeit PHEIC selbst. Was macht aus einem medizinischen Notfall eine „Gesundheitliche Notlage mit internationaler Tragweite“ und was bringt ein Wechsel der öffentlichen Bezeichnung?
Die Redaktion des Lancet kommentiert in einem aktuellen Editorial, dass der Ausruf eines PHEIC alles vermitteln könnte, was benötigt wird, um der Situation Herr zu werden. „Der PHEIC könnte […] globale Ressourcen und Gemeinschaften mobilisieren, solidarisch, vorbereitet, vertrauensvoll und lösungsorientiert zu handeln. Weltweite finanzielle und politische Unterstützung wird dringend gebraucht und die Erklärung eines PHEIC hätte das erbringen können“, schreiben die Redakteure. Bedenken zu Einschränkungen im Handel und Tourismus seien zwar verständlich, die Folgen aber vermeidbar. Die positiven Effekte würden in jedem Fall überwiegen.
WHO-Chef Ghebreyesus sieht dagegen vor allem die Gefahr eines offiziellen Bezeichnungswechsels: „Einen PHEIC zur Mobilisierung von Ressourcen zu verwenden, ist gefährlich, weil es dann bereits zu spät ist.“ Er wolle nicht, dass die höchste Alarmstufe als Werbemittel für Spendengelder und Untersützung verwendet werde.
„Man wartet nicht den Sturm ab, bevor man das Dach befestigt“, so Ghebreyesus. Oly Ilunga Kalenga, Gesundheitsminister der DCR, stimmt ihm zu: „Aus meiner Perspektive ist ein PHEIC nicht nötig.“ Bisher sei nur eine Handvoll Menschen mit Ebola ausgereist. Um einen PHEIC zu rechtfertigen, muss eine Krankheit sich aber über mehr als ein Land ausgebreitet haben.
Andere Experten sind entsetzt vom Umgang mit der Situation. Sie sind der Meinung, die WHO hätte aus dem Ebola-Ausbruch in Westafrika Konsequenzen ziehen und lernen müssen. „Ich bin fassungslos. […] Die WHO wurde von allen Seiten für die sechsmonatige Aufschiebung der Erklärung einer gesundheitlichen Notlage in Westafrika kritisiert und jetzt wiederholt sich die Geschichte“, sagte Lawrence Gostin, Spezialist für Gesundheitsgesetzgebung an der Georgetown University in Washington D.C.
Kalenga fasst die Schwierigkeit der Situation treffend zusammen: „Ich vergleiche diesen Ausbruch mit einem Monster mit vielen Köpfen. Wenn man einen abschneidet, taucht ein anderer auf. Man muss auf das Gesicht reagieren, was gerade vor einem ist.“ Für den Kampf gegen das Monster müssen allerdings bis Ende Juli 54 Mio. Dollar zusätzlich an Geldern für Aufklärung, Sensibilisierung, Impfung der Bevölkerung und weitere Maßnahmen aufgetrieben werden. Ob das überhaupt gelingen kann, ist fraglich – egal, ob mit oder ohne PHEIC-Status.
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