Jetzt ist ein Gutachten der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) nach Umsetzung eines entsprechenden Bescheides durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) rechtsverbindlich geworden. Die EMA kommt hierbei zu dem Ergebnis, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis von Omega-3-Fettsäure-haltigen Präparaten als Sekundärprophylaxe nach Herzinfarkt als nicht positiv einzustufen ist und entsprechende Fach- und Gebrauchsinformationen anzupassen seien.
Wie kommt es zu diesem mutigen Statement?
Lange Zeit war die objektive Datenlage zu den Omega-III-FS ja eher etwas dünn, bis sich letztes Jahr die Forscher der weltberühmten Cochrane Library dieser Thematik mit einem Review der verfügbaren Studien (insgesamt 79 randomisierte Studien mit 112.059 Teilnehmern) zum Thema Omega-III-Nahrungsergänzung angenommen haben. Am Ende ihres 700 Seiten starken Berichts kamen die Forscher zu dem nüchternen wie enttäuschenden Ergebnis, dass herkömmliche Fischölpräparate KEINEN Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt, Schlaganfall und Co. haben.
Und als ob das noch nicht genug gewesen wäre, wurden kurze Zeit später zwei weitere große Blockbuster-Studien hochrangig publiziert: Die ASCEND-Studie, die an 15.000 Diabetikern, und die VITAL-Studie, die an 25.000 gesunden Menschen > 50 Jahren ebenfalls KEINEN signifikanten Effekt von Omega-III-FS-Präparaten auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebsentstehung zeigen konnte ...
Kaum hatte ich gedacht, ich könnte das Thema Omega-III endgültig abhaken und meinen Patienten endlich eine beinharte, eindeutige Empfehlung in Bezug auf ihre Fischölkapseln geben, folgte kurz vor Jahresende der nächste Paukenschlag. Auf dem Jahreskongress der American Heart Association wurde Ende 2018 die REDUCE-IT-Studie präsentiert: An > 8.000 Menschen mit erhöhtem Herz-Kreislauf-Risiko (Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankung und erhöhte Triglyceridspiegel von > 150 bis < 500 mg/dl und recht niedrigem LDL von 41 bis 100 mg/dl) konnte hochdosierte und hochaufgereinigte Ethyl-Eicosapentaensäure 2 x 2 g täglich eingenommen nach 4,9 Jahren mittlerer Beobachtungszeit den gemeinsamen Studienendpunkt, bestehend aus nicht-tödlichen Herzinfarkten, Schlaganfällen, Herz-Kreislauf-Sterblichkeit oder notwendiger Revaskularisation, von 22 % in der Placebogruppe auf 17,2 % in der Interventionsgruppe senken! Die EPA-Zufuhr hatte in dieser Studie also eine signifikante Risikoreduktion um 25 % erreichen können, das entspricht einer NNT von nur 21.
Seither ist die Omega-III-Diskussion aufs Neue entbrannt, allen voran die Frage nach den Gründen für diese auf den ersten Blick so widersprüchlichen Ergebnisse.
Zunächst einmal werden hier meiner Meinung nach Äpfel mit Birnen verglichen. In den meisten vorausgegangenen Omega-III-Studien wurden Mischpräparate aus den Omega-III-FS DHEA (Docosahexaensäure) und EPA (Eicosapentaensäure) in einer Dosis von zusammen meist unter 1 g täglich eingenommen. In der „erfolgreichen“ REDUCE-IT-Studie wurde hingegen hochaufgereinigte Eicosapentaensäure in einer Dosis von 2 x 2 g an Risikopatienten mit erhöhten Triglyceridspiegeln verabreicht, wohingegen der Plazebogruppe, und dies ist ein kleiner Schönheitsfehler dieser Studie, Mineralöl verabreicht wurde ...
Ob es nun letztendlich an der höheren Dosis, dem Herstellungsverfahren oder der Art der Omega-III-FS (ist vielleicht EPA die eigentlich kardiovaskulär schützende Komponente?) oder der Patientenselektion (Risikopatienten mit erhöhten Triglyceridspiegeln) gelegen hat, ist letztlich alles noch vollkommen unklar.
Eines ist meines Erachtens zum aktuellen Zeitpunkt jedoch klar: Fischöl-Mischpräparate in herkömmlicher Dosierung bieten uns und unseren anvertrauten Patienten keinen verlässlichen Schutz. Ich persönlich teile dies meinen Patienten auch so mit und streiche derartige Präparate von ihrem meist ohnehin schon überfüllten Medikationsplan mit dem Hinweis auf die Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie und möglicherweise in Zukunft für spezielle Patientengruppen erhältliche Hochdosispräparate.
Die in der REDUCE-IT-Studie verwendete hochdosierte und hochaufgereinigte Ethyl-Eicosapentaensäure, Handelsname Vascepa®, ist bei uns aktuell noch nicht erhältlich, ob sich das in naher Zukunft ändern wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin verwende ich Omega-III-Fettsäuren, auch nach Rücksprache mit einem befreundeten Kollegen aus der Lipidsprechstunde, nur bei ausgewählten Patienten mit hohen Triglyceridspiegeln, die dadurch wirksam abgesenkt werden können. Meine anderen Patienten freuen sich meist über etwas mehr Übersichtlichkeit in ihrer Medikamentenbox ...
Unberührt von sämtlichen Studienergebnissen bleibt meine Empfehlung zum Verzehr von 1-2 Fischgerichten pro Woche, denn wir wissen ja von vielen Nahrungsbestandteilen, dass sie ihre schützende Wirkung vor allem im sogenannten natürlichen Verbund, sprich im Naturprodukt, entfalten.
Und damit uns auch in Zukunft nicht der Gesprächsstoff und die Diskussionsgrundlage ausgehen, sind natürlich auch schon die nächsten großen Omega-III-Studien in der Pipeline. Gespannt sein dürfen wir z.B. auf die Ergebnisse der STRENGTH-Studie mit > 13.000 Risikopatienten, deren Ergebnisse im September 2020 erwartet werden. Glücklicherweise erhielt die Kontrollgruppe hier kein Mineral- sondern Maisöl ...
Liebe Kollegen,was empfehlt ihr euren Patienten in Bezug auf Omega-III-Präparate? Ich freue mich auf eine interessante Diskussion und eure bereichernden Kommentare.
Bildquelle: Zbysiu Rodak, unsplash