Adipöse Patienten könnten bald mithilfe eines Nahrungsergänzungsmittels abnehmen und ihre Stoffwechselwerte verbessern – ohne Sport oder neuen Essplan. So die Ergebnisse einer aktuellen Pilotstudie. Was ist dran?
Die Zufuhr eines Darmbakteriums, das bei übergewichtigen Menschen nur in geringer Menge vorhanden ist, wirkte sich in einer Pilotstudie positiv auf das Körpergewicht und zahlreiche Stoffwechselparameter aus. Abnehmen mit Nahrungsergänzungsmittel, das klingt verlockend. Doch ist das nicht zu viel versprochen?
Die Forscher aus Wageningen und Brüssel waren vor einigen Jahren darauf aufmerksam geworden, dass Akkermansia muciniphila bei adipösen und diabetischen Mäusen deutlich seltener vorkam. Wenn die Tiere die Bakterien als Probiotika bekamen, verbesserte sich ihr Stoffwechselprofil. Die Behandlung mit A. muciniphila machte die Effekte der durch eine fettreiche Ernährung hervorgerufenen Stoffwechselstörungen rückgängig. Ob das Nahrungsergänzungsmittel beim Menschen ähnliche Vorteile haben würde wie im Tierversuch, haben die Forscher nun in einer Pilotstudie getestet.
Für die Studie musste das Team jedoch erst einmal ein geeignetes Kultivierungsverfahren entwickeln, um das Bakterium in großen Mengen zu produzieren und sicherzustellen, dass die Präparate für den menschlichen Verzehr geeignet sind.
In der randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierte Studie wurden 40 Personen mit Insulinresistenz und Übergewicht bzw. Adipositas untersucht. Sie nahmen zunächst über drei Monate hinweg täglich 1010 lebende oder pasteurisierte A. muciniphila bzw. ein Placebo oral ein. Die Teilnehmer wurden gebeten, sich wie gewohnt zu ernähren und ihre körperliche Aktivität nicht zu verändern. 32 von ihnen haben die Studie abgeschlossen, in der eine gute Verträglichkeit beobachtet wurde und das Darmmikrobiom der Probanden unbeeinträchtigt blieb.
Interessanterweise waren die Effekte mit pasteurisierten Bakterien besonders groß. Eine Einnahme von täglich 1010 pasteurisierten Bakterien führte dazu, dass – im Vergleich zum Placebo – Lipopolysaccharid (LPS) im Blut um durchschnittlich 117,36 ± 8,81 Prozent, das Leberenzym GGT um 24,1 ± 5 Prozent und Gesamtcholesterin um 8,7 ± 2,3 Prozent gesenkt wurden. Die Insulinsensitivität steigerte sich durch die Behandlung um 28,6 ± 7 Prozent, und trotz unveränderter Lebensweise sanken das Körpergewicht um durchschnittlich 2,3 ± 0,9 Kilogramm, der Bauchumfang um 1,6 ± 0,8 Zentimeter und die Körperfettmasse um 1,4 ± 0,8 Prozent.
Die Wissenschaftler erklären: „Pasteurisierte A. muciniphila verbesserten den Insulinsensitivitätsindex signifikant um etwa 30 Prozent im Vergleich zur Placebogruppe.“ Im Gegensatz dazu wurde bei den Teilnehmern, die randomisiert Placebo erhalten hatten, eine Verschlechterung der Insulinresistenz und Hypercholesterinämie beobachtet.
Die Aussagekraft lässt bei einer derart kleinen Probandenmenge natürlich zu wünschen übrigt. Da die klinische Studie nur mit wenigen Teilnehmern durchgeführt wurde, lässt sie also noch keine endgültigen Rückschlüsse auf die Stoffwechselparameter zu: „Obwohl die meisten primären Endpunkte erreicht wurden, fanden wir keine signifikanten Veränderungen der viszeralen Adipositas und des BMI“, so die Wissenschaftler. Immerhin konnte die Proof-of-Concept-Studie die Verträglichkeit beim Menschen belegen. Und das reicht Herstellern offensichtlich: Obwohl noch weitere größer angelegte Studien zur Bestätigung der Ergebnisse fehlen, wird bereits der Verkauf des Supplements geplant – die Bakterien als Nahrungsergänzungsmittel sollen ab 2021 erhältlich sein.
Und das, obwohl das Bakterium nicht unumstritten ist: Es wurde vermehrt bei Menschen mit multipler Sklerose und Typ-1-Diabetes gefunden und steht im Verdacht, diese Erkrankungen voranzutreiben. Bei Ratten wurden Zusammenhänge zwischen einer höheren Anfälligkeit für Darmkrebs und der Häufigkeit von A. muciniphila im Darmmikrobiom beobachtet. Dass diese Bakterien Immunantworten des Wirtes verändern können, zeigt sich auch daran, dass eine Immuntherapie bei Krebspatienten am besten anschlug, wenn A. muciniphila häufiger im Darm vertreten war. Unter diesem Aspekt erscheint es bedeutsam, dass das Darmmikrobiom der Probanden in der Pilotstudie unverändert blieb und der Einsatz pasteurisierter Bakterien möglich ist.
Bei der heutigen Prävalenz von Adipositas und Diabetes würden Nahrungsergänzungsmittel mit A. muciniphila sicherlich zum Verkaufsschlager werden. Ob sich die hohen Erwartungen aber tatsächlich erfüllen, ist eine andere Frage.
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