Die Abtreibungsdebatte ist seit Aufhebung des Urteils gegen Kristina Hänel wieder voll im Gange. Es geht um § 219a, aber eigentlich um viel mehr. Medizinische, ethische und juristische Sichtweisen spalten die Ärzteschaft. Wo ich als Gynäkologin stehe.
Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland nach § 218 StGB strafbar. Es gelten Ausnahmeregelungen, die Straffreiheit gewähren, aber immer noch den Tatbestand der Rechtswidrigkeit darstellen. Dazu gehört die Abtreibung im Rahmen der sogenannten Beratungsregelung. Sie kann bis zur vollendeten 12. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden. Voraussetzung hierfür ist eine Schwangerschaftskonfliktberatung und eine anschließende dreitägige Bedenkzeit. Über 96 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland fallen in diese Kategorie.
Straffrei und rechtmäßig ist ein Abbruch in Deutschland dann, wenn er aus kriminologischer Indikation, zum Beispiel nach einer Vergewaltigung, stattfindet. Auch hier gilt die Frist von zwölf Wochen, eine Beratung ist nicht obligat. Der zahlenmäßige Anteil ist sehr gering.
Ebenfalls straffrei und rechtmäßig ist ein Abbruch aus medizinischer Indikation. Voraussetzung ist, dass eine Gefahr für das Leben der Mutter besteht, beziehungsweise eine schwerwiegende Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren droht, die nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
Hierunter fallen insbesondere auch kindliche Behinderungen wie Trisomie 21. Es gibt kein zeitliches Limit, sogenannte Spätabbrüche bedürfen aber immer einer medizinischen Indikation. Die Schwangere muss ärztlicherseits beraten werden und zwischen Diagnose und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen.
Das statistische Bundesamt in Wiesbaden hat für 2018 folgende Zahlen zum Thema Abtreibung veröffentlicht:
Die Bundesärztekammer schreibt allgemein zum Werbungsverbot für Ärzte:
„Ausgehend von den allgemeinen Grundsätzen der Sachlichkeit und Angemessenheit untersagt § 27 Abs. 3 MBO-Ä berufswidrige Werbung und verweist beispielhaft auf anpreisende, irreführende oder vergleichende Werbung.“
Der § 219a hat spätestens seit der Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel wegen illegaler Abtreibungswerbung für Aufsehen gesorgt. Um Klarheit zu schaffen, wurde das Gesetz im März um einen Absatz ergänzt. Abtreibungswerbung, die des „Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ geschieht, ist weiterhin verboten. Aber ein Hinweis auf Schwangerschaftsabbrüche, die gemäß § 218a StGB durchgeführt werden, ist zulässig.
Dementsprechend wurde das Urteil gegen Kristina Hänel vergangene Woche aufgehoben. Weiterhin wird die Bundesärztekammer in Zukunft eine Liste führen, in der sich Ärzte eintragen lassen können, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Diese soll dann monatlich aktualisiert im Internet veröffentlicht werden.
Erstmals nach der Neuregelung des umstrittenen § 219a wurden jetzt im Juni zwei Ärztinnen wegen illegaler Werbung verurteilt. Sie hatten auf eine Abtreibungsmethode, die sie anbieten, hingewiesen. Das sei weiterhin verboten, so die Urteilbegründung. Die Ärztinnen wollen notfalls vor das Bundesverfassungsgericht gehen.
Giovanni Maio, Professor für Medizinethik an der Universität Freiburg, fasst in seinem Standardwerk Mittelpunkt Mensch: Ethik in der Medizin das ganze Dilemma folgendermaßen zusammen:
„Der Schwangerschaftsabbruch ist ohne Zweifel eine der größten ethischen Herausforderungen der Medizin.“
In der Abtreibungsdebatte treffen verschiedene Sichtweisen aus Medizin, Humanbiologie, Ethik und Philosophie aufeinander. Darüber hinaus gibt es juristische Vorgaben, die der Gesetzgeber regeln muss.
Dreh- und Angelpunkt der Abtreibungsdebatte ist die Frage, wann menschliches Leben beginnt. Julian Baggini, ein britischer Autor, bringt es in seinem Buch Die großen Fragen der Ethik auf den Punkt: „Befürworter der Abtreibung sind sich weitgehend darin einig, dass der Embryo in den ersten vierzehn Wochen nicht ausreichend entwickelt ist, um ihm den gleichen Schutz zuzuerkennen wie einem Kind.“
Dem hält Prof. Erich Blechschmidt, Professor für Anatomie und Begründer der Humanembryologie, entgegen: „Der Mensch entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch […]. Humanembryologisch lässt sich keine Zäsur in der Entwicklung feststellen, die es rechtfertigen könnte, einen bestimmten Zeitpunkt als den einer endgültigen Bestimmung auf Menschsein anzunehmen.“
Ein weiterer wichtiger Punkt, der die unterschiedlichen Sichtweisen in der Abtreibungsdebatte deutlich macht, ist der Fokus auf verschiedene Prioritäten. Abtreibungsbefürworter legen den zentralen Argumentationspunkt auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau und sehen hauptsächlich die Not ihrer individuellen Lebenssituation. Abtreibungsgegner sehen darüber hinaus das Lebensrecht des Embryos oder Fetus, der von sich aus keine Schutzmöglichkeit besitzt.
Schwangerschaftskonflikte gehören zu den schwierigsten Situationen in einer ärztlichen Praxis. Als Gynäkologin bin ich meist die erste Anlaufstelle für die Patientin. Sensibilität und Empathie sind gefordert, genügend Zeit ist nötig. Es geht darum, die Schwangere in ihrer Not aufzufangen, ihr die gesetzlichen Vorgaben zu erklären und herauszufinden, wohin ihr persönlicher Weg geht.
Rein praktisch wird zunächst die Schwangerschaft festgestellt und Pathologien werden ausgeschlossen. Da es fast immer um einen Abbruch nach der Beratungsregelung geht, bekommt die Patientin Flyer von den Beratungsstellen der näheren Umgebung. Dort findet je nach Situation ein etwa einstündiges Gespräch statt, in dem sämtliche Hilfen und Unterstützungen angeboten werden. Wird ein Abbruch gewünscht, bekommt die Schwangere dort eine Adressliste ausgehändigt, auf der alle Ärzte im Umkreis aufgeführt sind, die einen Abbruch durchführen.
Individuelle Werbung müsste, zumindest nach meiner Erfahrung, gar nicht stattfinden. Nach drei Tagen kann der Eingriff entweder operativ oder medikamentös (bis zum 63. Tag postmenstruell) vorgenommen werden. Eine Kontrolluntersuchung findet in der Praxis statt.
Eigentlich habe ich schon alles erlebt: Frauen, die in sehr schwierigen Situationen doch ein Ja zu ihrem Kind gefunden haben und darüber sehr glücklich sind. Andere, die nach einem langem Entscheidungsprozess einen Abbruch als einzige Möglichkeit für sich erkennen konnten.
Aber auch Frauen, deren Schwangerschaftsabbruch lange zurückliegt und die die psychische Belastung immer noch kaum aushalten. Es gibt Begründungen, die für mich unverständlich bleiben und andere, die ich gut verstehen kann. Aber wir sehen in der Praxis auch viele Tränen der Verzweiflung und unerwartete Lösungen.
Mir ist aufgefallen, dass die Männer bei der ganzen Situation oft wegfallen, weil sie keinerlei Entscheidungsrechte besitzen. Kürzlich kam ein zutiefst erschütterter Mann in die Praxis, der entgegen seiner Partnerin ein Ja zum Kind gefunden hatte und sehr unter dem Abbruch litt.
Weiterhin fällt mir auf, dass in Abtreibungsdebatten oft die Ausnahmefälle wie Schwangerschaft nach Vergewaltigung oder Lebensgefahr der Mutter in den Vordergrund gerückt werden. Eigentlich geht es aber in über 96 % der Fälle um die Beratungsregelung.
Neben einer guten Betreuung im Konfliktfall, sehe ich als Gynäkologin die effektive Antikonzeptionsberatung als eine Hauptaufgabe an. Gute Aufklärungskampagnen in der Öffentlichkeit und die Bereitstellung kostengünstiger oder kostenfreier Methoden für einkommensschwache Paare stellen die beste Prophylaxe für Schwangerschaftskonflikte dar.
Abtreibung ist ein sehr komplexes Thema, da es den eigenen Wertekodex berührt. Jeder muss seine individuelle Einstellung entwickeln. Gefragt nach meiner persönlichen Sichtweise, würde ich in den meisten Fällen den Argumenten für das Leben mehr Gewicht geben.
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