Eine Patientin kommt mit einem Zeckenstich in meine Akutsprechstunde. Ich frage, ob sie gegen FSME geimpft wurde. Da zieht Frau Menken zwei Impfpässe aus der Tasche. Einer labberig und grau, der andere gelb. Nun heißt es abgleichen, nachfragen, nachimpfen.
Es ist ein klassischer Vormittag. Die Hütte brennt. Neben der regulären Terminsprechstunde kommen auch sehr viele Patienten mit akuten Beschwerden. Eine davon ist Frau Menken. Sie kommt in mein Sprechzimmer und zieht ihr T-Shirt ein wenig hoch. Da sitzt sie: eine dicke, fette Zecke. Wie ich diese Biester hasse. Nachdem ich die Zecke entfernt habe, kläre ich sie über die möglichen Erkrankungen auf, die Zecken übertragen können.
„Sind Sie denn gegen FSME geimpft?“, frage ich Frau Menken.
„Ach, Frau Doktor, das weiß ich doch nicht“, antwortet sie und zückt ihren Impfausweis.
Ich bin wirklich erfreut, dass sie ihn dabei hat, denn das ist selten der Fall.
„Ich dachte, Sie können hier ja mal ganz schnell drüber gucken. So über alles. Wo ich schon mal da bin.“
Nun bin ich nicht mehr so erfreut, denn eine ausführliche Impfberatung braucht Zeit und wir sind in der Akutsprechstunde. Eigentlich müsste ich sie für einen ausführlichen Termin neu einbestellen, doch jetzt sitzt sie nun mal freundlich lächelnd vor mir und ich finde das Thema Impfen wichtig.
Sie hält mir einen zerfledderten Impftausweis in zartgrau mit verblichener Schrift sowie einen neuen gelben Ausweis vor die Nase. Ich versuche mich zu orientieren. Generell gilt: Nicht dokumentiert ist nicht geimpft und wird nachgeholt. Eine Impfung zuviel ist besser als keine.
Impfungen im Erwachsenenalter
Tetanus, Diphtherie und Polio, diese Impfungen hat sie in ihrer Kindheit erhalten. Die letzte Auffrischung von Tetanus, die man alle zehn Jahre durchführen muss, erhielt sie vor fünf Jahren, so steht es in ihrem neuen Ausweis. Soweit so gut. Ich springe zwischen den beiden Ausweisen hin und her und suche Grundimmunisierung und Auffrischung.
Gegen Masern wurde sie nicht geimpft. „Frau Menken, hatten sie in ihrer Kindheit Masern?“
Sie bejaht. Also müssen wir diese Impfung nicht nachholen. Es gilt, dass auch Erwachsene zweimal gegen Masern geimpft sein sollten. Wenn jemand vor 1971 geboren wurde, geht man von einer durchgemachten Erkrankung im Kindesalter aus und kann in diesem Fall von einer Auffrischung absehen. Für alle anderen gilt: Der zweite Pieks sollte sein.
Es geht weiter: Pertussis. Kaum jemand weiß, dass eine Keuchhustenimpfung im Erwachsenenalter einmal aufgefrischt werden sollte. Denn auch bei durchgemachter kindlicher Infektion kann die Erkrankung im späteren Leben noch einmal auftreten. Sollten Erwachsene über mehrere Wochen an quälenden Husten leiden, muss auch daraufhin untersucht werden. Bei Frau Menken finde ich im Impfausweis keine Hinweise auf eine Auffrischung der Impfung. Auf einem Notizzettel notiere ich mir: Pertussis.
Die Patientin wurde nicht gegen Hepatitis B geimpft. Da sie aber beruflich keinen Kontakt zu infektiösen Materialien hat, nur innerhalb von Deutschland verreist und sich nach eigenen Angaben in einer stabilen Partnerschaft befindet, sehe ich von der Impfung erst einmal ab.
Die Hepatitis B Impfung empfiehlt sich für alle Mitarbeiter mit beruflichem und nicht-beruflichem Expositionsrisiko, das heißt also für Mitarbeiter im Gesundheitswesen, für chronisch kranke Menschen (z.B. Diabetes mellitus, Dialyse-Patienten, HIV) und für Patienten, die ins Ausland reisen. Auch Personen mit wechselnden Sexualpartnern sollten sich durch eine Impfung schützen.
Inzwischen werden alle Kinder im Rahmen der Sechsfach-Impfung gegen Hepatitis B geimpft.
Ich finde in Frau Menkens Ausweisen keine Hinweise auf eine Impfung gegen FSME. Ist es zu einem Zeckenstich gekommen, kann keine sogenannte postexpositionelle Impfung durchgeführt werden, da der Impfstoff mit FSME-Antikörpern im Jahr 2003 abgeschafft wurde, denn Studien könnten keinen Nutzen einer postexpositionellen Immunisierung nachweisen. Eine Impfung könnte eventuell sogar die weiterführende Diagnostik erschweren, daher empfehle ich ihr eine Impfung in vier Wochen. Ich notiere also: FSME in vier Wochen.
Frau Menken ist über 60 Jahre alt und leidet unter Diabetes. Für alle Patienten über 60 Jahren empfiehlt sich eine Impfung gegen Lungenentzündung durch Pneumokokken sowie gegen Influenza. Ich rate meiner Patientin, sich im kommenden Herbst gegen die Grippe impfen zu lassen, die Pneumokokken-Impfung sollte sie vorher durchführen lassen. Es gibt gerade zu den Pneumokokken verschiedene Impfschemata, je nach Alter und Krankheitsvorgeschichte. Sie kann auf den Seiten des RKI nachgelesen werden.
Nun bin ich sehr froh, dass Frau Menken nicht auch noch verreisen möchte. Denn dann müsste ich mir noch Gedanken machen, ob sie eine Gelbfieber –, eine Tollwut –, eine Typhus und die Hepatitis-Impfung braucht.
Eine routinemäßige Auffrischung von Polio wird in Deutschland übrigens nicht empfohlen, es sei denn, die Patienten sind Flüchtlinge aus Afrika oder Pakistan und leben in Gemeinschaftsunterkünften. Auch Mitarbeiter von Gemeinschaftsunterkünften oder in der Flüchtlingshilfe sollten die Impfung erhalten. Ferner gilt für Reisende nach Pakistan, dass eine zweimalige Impfung erfolgen sollte.
Impfabstände, Lebend- und Totimpfstoff
Das Robert-Koch-Institut empfiehlt keine besonderen Impfabstände bei sogenannten Totimpfstoffen. Totimpfstoffe, zu ihnen gehören alle Impfstoffe außer Gelbfieber, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, Herpes zoster und die orale Typhusimpfung, können alle simultan gegeben werden und verstärken sich sogar ein bisschen in der Wirkung. Die Impfreaktionen können ein wenig stärker ausfallen.
Ebenso ist bei gleichzeitiger Impfung von Lebend- und Totimpfstoffen kein Abstand einzuhalten. Bei zwei Impfungen empfiehlt sich die Gabe in unterschiedliche Arme, doch auch an verschiedenen Stellen im gleichen Oberarmmuskel kann geimpft werden.
Wenn Lebendimpfungen nicht simultan gegeben werden können, dann sollte ein Abstand von vier Wochen eingehalten werden.
Echte und falsche Kontraindikationen
Frau Menken wird nun also zuerst die Impfung gegen Pneumokokken sowie die Pertussis-Impfung erhalten. In vier Wochen, wenn keine FSME aufgetreten ist, erhält sie die erste Schutzimpfung gegen FSME, welche nach 2–4 Wochen, nach 6–12 Monaten und dann nach 3–5 Jahren (je nach Alter und Hersteller) aufgefrischt werden muss.
Kontraindikationen gegen das Impfen gibt es wenige. Oft wird aus Sorge vor Impfreaktionen sehr zurückhalten gehandelt. Echte Kontraindikationen sind schwere Erkrankungen mit Fieber über 38,5 °C, Allergien gegen die Inhaltsstoffe und bei Lebendimpfungen eine bekannte Immunschwäche (angeboren, erworben oder medikamentös). Totimpfstoffe können und sollten bei Abwehrschwäche gegeben werden, die Ansprechrate ist dann allerdings niedriger, sodass eine Kontrolle des Impferfolgs vonnöten ist.
Falsche Kontraindikationen sind leichte Erkrankungen, Fieber unter 38,5 °C, eine mögliche Ansteckung mit einer Infektrionskrankheit, Hautausschläge, Ekzeme, Behandlung mit Antibiotika und Fieber- oder Krampfanfälle in der Familie. In allen diesen Fällen kann geimpft werden.
Frau Menken ist nun dank Zeckenstich wieder auf den neusten Impfstand. Ich würde mir wünschen, dass Patienten von Zeit zu Zeit ihren Impfausweis nehmen und dem Hausarzt vorlegen, damit ein lückenloser Impfschutz gegeben ist und in Akutsituationen kein Chaos herrscht. Am liebsten in der Terminsprechstunde.
Bildquelle: Lämpel, wikimedia