„Wir werden jetzt die Effekte der 70er und 80er Jahre sehen, in denen Bräune schick war,“ sagt ein Hautarzt. Nur die wenigsten Menschen verhalten sich richtig, wenn sie in die Sonne gehen. Was macht die Generation H falsch?
Die einen sitzen mit Lichtschutzfaktor 50 auf der Haut im Schatten, die anderen braten stundenlang in der Sonne. Ob man einen Sonnenbrand eher als Vorboten schöner Bräune oder als Gefahr für die Haut sieht, ist womöglich eine Frage der Generation. „Wir werden jetzt die Effekte der 70er und 80er Jahre sehen, in denen Bräune schick war“, sagte Dirk Schadendorf, Hautarzt am Uniklinikum Essen, bei der Tagung der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft im Mai. Für die nächsten 30 Jahre rechnen Schadendorf und seine Kollegen jedenfalls mit einem starken Anstieg aller Hautkrebsarten in Deutschland. Ist das realistisch?
Die Zahl der Hautkrebsdiagnosen steigt tatsächlich mit zunehmendem Alter rasant an, wie der Hautkrebsreport 2019 der Techniker Krankenkasse (TK) in Zusammenarbeit mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Universität Bremen zeigt. Besonders betroffen sind Menschen im Alter von 65 bis 90 Jahren. Der Status Quo sieht folgendermaßen aus: Zwischen 2009 und 2015 nahm die Zahl an Melanomen um über 50 Prozent zu. Bei den Basaliomen oder Spinaliomen („heller Hautkrebs“) waren 30 Prozent mehr betroffen als am Beginn des untersuchten Zeitintervalls.
Maligne Melanome treten heute öfter auf als früher, heißt es auch in einem Bericht der Barmer GEK aus dem Jahr 2014: Zwischen 2005 und 2012 wurde bei Diagnosen des bösartigen Melanoms ein Anstieg von 60 % festgestellt, bei den anderen bösartigen Neubildungen der Haut waren es sogar 79 % mehr. Zum Teil ließ sich dieser Anstieg mit der Einführung des obligatorisch angebotenen Hautkrebs-Screenings der Krankenkassen im Jahr 2008 erklären – aber nicht nur. Denn auch seit der Einführung ist die Häufigkeit der Diagnosen weiter gestiegen.
Doch wer sagt, dass es nur um die „Kinder der 70er“ geht und der Trend nicht auch darüber hinaus anhalten wird? Ein gebräunter Teint ist damals wie heute schick. Der einzige Unterschied zwischen älteren und jüngeren Generationen ist die Verwendung von Sonnencreme, die damals bei weitem nicht so verbreitet war wie heute. Mittlerweile ist man vorsichtiger geworden: In Drogeriemärkten wird das Regal mit Sonnenschutzmitteln immer breiter, der Lichtschutzfaktor der Produkte immer höher. Die Food and Drug Administration (FDA) forderte Anfang des Jahres sogar, den Maximalwert auf einen LSF von 60 zu erhöhen. Die Einstellung zu Sonnenschutz habe sich in den letzten Jahren aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse weiterentwickelt, argumentierte sie.
Fakt ist: Sonneneinstrahlung, genauer gesagt das UV-Licht, erzeugt eine Bräunung der Haut. Dabei kann es dazu kommen, dass sich aus den pigmentbildenden Zellen maligne Melanome entwickeln. Dieses Problem ist auch dann nicht aus der Welt, wenn man Sonnencreme benützt: Ob beziehungsweise wie gut die richtige Anwendung von Sonnenschutzmitteln Erkrankungen der Haut vorbeugen kann, darüber wird in der Wissenschaft seit Jahren diskutiert, denn trotz der Menge an Studien mangelt es an aussagekräftigen Arbeiten.
Untersuchungen auf dem Gebiet sind mit vielen Stolpersteinen verbunden: Wie kontrolliert man etwa, ob Probanden sich wirklich einschmieren und ob sie es oft und gründlich genug tun? Welcher Lichtschutzfaktor soll getestet werden? Die Teilnehmer sind unterschiedlichen Hauttypen zuzuordnen und halten sich unterschiedlich oft und lange in der Sonne auf. Egal, wie so eine Studie durchgeführt wird, sie wird Schwächen aufweisen.
Noch ein weiteres Problem sollte an der Stelle thematisiert werden: „Verführt der Einsatz einer Creme mit einem hohen Lichtschutzfaktor nicht eher dazu, noch länger als eigentlich gut ist, in der Sonne zu verweilen?“ fragte eine Userin aus unserer Community an anderer Stelle. Schließlich sind extrem lange Sonnenbäder bei tropischen Temperaturen auch eingecremt nicht sicher. „Die Vermeidung starker Sonnenexposition ist die wichtigste Sonnenschutzmaßnahme und hat die höchste Priorität,“ machen die Autoren der S-3-Leitlinie zur Prävention von Hautkrebs deutlich. Als Maßnahmen nennen sie in erster Linie Drinnenbleiben (vor allem mittags) und das Aufsuchen schattiger Plätze. Nur wer von exzessiver Dauerbestrahlung absieht, vermeidet einen Sonnenbrand. Und dass der nicht gesund ist, darüber können sich wohl alle einig werden.
Bleibt noch eine Frage, die immer wieder für Diskussionen sorgt: Was ist mit dem Vitamin D? Viele Menschen befürchten, dass dicke Sonnencremeschichten mit LSF 50 auf der Haut die Bildung des Hormons hemmen oder sogar verhindern. Wer Vitamin D zuliebe einen Sonnenbrand in Kauf nimmt, kann das tun. Nötig oder gar klug ist das aber nicht. Laut RKI reicht es, sich zwischen März und Oktober zwei bis drei Mal pro Woche ohne Sonnenschutz der Sonne auszusetzen – und zwar ziemlich kurz. Ausreichend ist „die Hälfte der Zeit, in der sonst ungeschützt ein Sonnenbrand entstehen würde.“ Das wären je nach Hauttyp der deutschen Krebsgesellschaft zufolge zwischen 5 und 20 Minuten – und nicht mehrere Stunden am Stück. Bei längeren Aufenthalten in der Sonne rät das RKI, „unbedingt Sonnenschutzmaßnahmen zu treffen“.
Bildquelle: Chris Hoare, flickr