Das erste Mal ist mir HIV zu Beginn meines Studiums begegnet. Ich saß in einem Vortrag von einem der Virus-Entdecker. Die Krankheit galt unter Medizinern als Schreckgespenst. Heute habe ich Hoffnung, dass wir HIV besiegen können.
Meine erste Begegnung mit dem HI-Virus fand zu Beginn meines Medizinstudiums Mitte der 80er Jahre statt. Ich war bei einem Vortrag von Robert Gallo, einem der Entdecker des Erregers. Erstmalig in Afrika registriert bestand anfangs eine große Unsicherheit bezüglich der Übertragungswege des Virus. Von einer möglichen Therapie war man weit entfernt.
HIV galt auch unter Medizinern als großes Schreckgespenst, dem man am besten aus dem Weg ging. Eine Famulatur in Afrika war damals schon lange mein großer Wunsch, trotz HIV. Aber ich hatte Angst und hatte einen großen Koffer voller Einmalhandschuhe im Gepäck, damals ein kleines Vermögen wert. AIDS ist mir in Afrika dann nur am Rande begegnet, es überwogen die vielen spannenden Erfahrungen. Die Handschuhe, dort Mangelware, konnte ich trotzdem gut gebrauchen.
1996 wurde die antiretrovirale Kombinationstherapie eingeführt. Sie bestand aus mindestens drei Substanzen und wurde im Laufe der Zeit immer weiterentwickelt. Mittlerweile kann damit die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesenkt und das Risiko einer Progression von AIDS verringert werden. Die Ansteckungsgefahr für HIV-negative Sexualpartner oder für das Kind während Schwangerschaft und Geburt ist nach neuster Studienlage gleich null.
Das Robert Koch Institut macht zur HIV Infektion in Deutschland folgende Angaben: „Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland sowie bei Menschen deutscher Herkunft, die sich im Ausland mit HIV infiziert haben, wird für das Jahr 2017 auf 2.600 geschätzt und nimmt damit gegenüber 2016 (nach aktualisierter Schätzung 2.800 Neuinfektionen) ab. Die Zahl der Menschen, die sich mit HIV infiziert haben, jedoch noch nicht diagnostiziert wurden, steigt seit 2011 leicht an und hat sich von etwa 10.800 am Ende des Jahres 2011 auf geschätzte 11.200 am Ende des Jahres 2017 erhöht. Insgesamt wird geschätzt, dass Ende 2017 etwa 86.000 Menschen mit einer HIV-Infektion in Deutschland lebten.“
Im Lancet wurde im Mai 2019 eine groß angelegte Observationsstudie publiziert. Untersucht wurde das Risiko einer möglichen HIV-Übertragung bei diskordanten Paaren, die keine Kondome verwendeten. Der HIV-positive Partner erhielt eine antiretrovirale Therapie, die die Viruslast unter die Nachweisgrenze supprimierte. Es fanden keine Prä- oder Postexpositionsprophylaxen des HIV-negativen Partners statt. Die Multicenter-Studie wurde an 75 Orten in 14 europäischen Ländern durchgeführt.
In der Studienphase 1, die von September 2010 bis Mai 2014 dauerte, wurden heterosexuelle und homosexuelle diskordante Paare untersucht. In der 2. Studienphase, die im April 2018 beendet wurde, waren nur homosexuelle Paare eingeschlossen. Es fand in beiden Gruppen ungeschützter Sexualverkehr statt und der HIV-positive Partner erhielt eine antiretrovirale Therapie.
Gemessen wurde die Viruslast des HIV-positiven Partners unter der antiretroviralen Therapie und es wurde der HIV-Status des vermeintlich negativen Partners überprüft. Wenn eine Serokonversion beim HIV-negativen Partner auftrat, wurden genaue Untersuchungen veranlasst, um die stattgefundene Transmission zu identifizieren. Im Zeitraum von September 2010 bis Juli 2017 wurden nahezu 800 diskordante homosexuelle Paare untersucht. Das mittlere Alter des infizierten Partners betrug 40 Jahre. 288 (37 %) der 777 HIV-negativen Partner hatten außerdem kondomlose Sexualkontakte mit weiteren Partnern. Es kam zu 15 Neuansteckungen. Bei phylogenetischen Untersuchungen konnte allerdings gezeigt werden, dass die Ansteckung nicht durch das Virus vom ursprünglichen Partner erfolgt war. Die Übertragungsrate aus den untersuchten eigentlichen Partnerkollektiven betrug null.
Ergebnis: Es wurde ein ähnliches Resultat für homosexuelle Paare wie zuvor bei heterosexuellen Paaren erhoben. Dies bedeutet, dass sowohl in hetero- als auch homosexuellen diskordanten Partnerschaften die Übertragungswahrscheinlichkeit bei ungeschütztem Sexualkontakt tatsächlich bei null liegt, vorausgesetzt der HIV-positive Partner wurde antiretroviral therapiert und die Viruslast war ausreichend supprimiert. Dieses Ergebnis unterstreicht die enorme Bedeutung einer frühzeitigen Testung und Therapie von HIV.
Prof. Alison J. Rodger, Co-Autorin der Studien, fasst das Ergebnis gegenüber dem Guardian folgendermaßen zusammen: „Diese gewaltige Nachricht kann dazu beitragen, dass die HIV-Pandemie beendet wird, indem einer HIV-Übertragung vorgebeugt wird. Außerdem können sowohl die Stigmatisierung als auch eine Diskriminierung vieler HIV-infizierter Menschen bekämpft werden.“
Das Schreckensgespenst ist keines mehr
Begegnungen mit HIV/AIDS finden in meinem Berufsalltag hin und wieder statt. Mittlerweile sehen die Mutterschaftsrichtlinien für jede schwangere Patientin eine HIV-Testung als Kassenleistung vor. Dieses Angebot wird zu nahezu 100 % angenommen. Bei einem positiven Test wird die Patientin unverzüglich an ein Zentrum zur antiretroviralen Therapie weitergeleitet. Damit kann das Übertragungsrisiko für das Kind auf nahezu null reduziert werden. Selbst eine Spontangeburt wäre dann möglich.
In den Deutsch-Österreichischen Leitlinien zur HIV-Therapie in der Schwangerschaft steht folgende erfreuliche Aussage: „In Europa wurden vor Einführung der medikamentösen Transmissionsprophylaxe in einer nicht stillenden Population ca. 15–25 % der Kinder HIV-positiver Mütter mit HIV infiziert. Durch die heutige antiretrovirale Kombinationstherapie konnte bei Schwangeren mit bekannter HIV-Infektion die Mutter-Kind-Transmissionsrate auf < 1 % reduziert werden.“ Eine Stillempfehlung wird in den Industrienationen weiterhin nicht ausgesprochen, da man die verlängerte HIV-Medikamenten-Exposition für das Kind kritisch sieht.
Fazit: Kontrollierbarer Schrecken
HIV hat aus medizinischer Sicht mit der Entwicklung der antiretroviralen Therapie definitiv an Schreckenscharakter verloren. Die Ansteckungsgefahr ist unter einer adäquaten Therapie gleich null. Hauptgegner eines endgültigen Sieges über HIV/AIDS ist die leider noch sehr hohe Dunkelziffer der ungetesteten Infizierten. Wer sich nicht testen lässt, kann auch nicht therapiert werden und bleibt somit Ansteckungsherd für andere. Dagegen helfen nur Aufklärungskampagnen, leicht zugängliche subventionierte Testverfahren und das Verantwortungsbewusstsein jedes einzelnen. Dann könnte das einstige Schreckgespenst der 1980er Jahre schon bald nur noch ein Randthema sein. Zu hoffen wäre es.
Bildquelle: Luis Del Río Camacho, unsplash