Kann der Verzicht auf Alkohol Vorhofflimmern verhindern? In vielen Fällen lautet die Antwort Ja. Das legen zumindest die Ergebnisse der ersten randomisierten kontrollierten Studie zu dieser Fragestellung nahe.
Kann Alkoholverzicht präventiv gegen Vorhofflimmern wirken? Das Wissenschaftlerteam um Axel Voskoboinik von der Universität von Melbourne ging dieser Frage nach. Die Ergebnisse präsentierte Voskoboinik auf dem ACC-Herzkongress, der im März dieses Jahres in New Orleans stattfand. Den Forschern zufolge handelt es sich um die erste randomisierte kontrollierte Studie mit dieser Fragestellung. Die noch unveröffentlichte Arbeit hatte keinen kommerziellen Sponsor und wurde bisher noch nicht publiziert.
An der Studie nahmen 140 Probanden mit entweder paroxysmalen, oder persistierenden Vorhofflimmern teil. Während der Studienlaufzeit von sechs Monaten wurde das EKG der Teilnehmer in regelmäßigen Abständen via implantierten Herzschrittmacher sowie Langzeitmessung durch mobile EKG-Rekorder überwacht.
Die Teilnehmer konsumierten im Durchschnitt rund 16 alkoholische Getränke pro Woche, meist in Form von Wein. Die Kontrollgruppe behielt die üblichen Trinkgewohnheiten bei, während die Abstinenz-Gruppe keinen Alkohol trinken sollte. Ob dies auch gelang, kontrollierten die Forscher durch Metaboliten-Messungen im Urin. Dabei kam heraus: Ein beachtlicher Teil schwächelte. Nur circa 60 Prozent aus der Abstinenz-Gruppe schafften es, gänzlich auf Alkohol zu verzichten. Insgesamt verringerte sich der Konsum um 88 Prozent auf etwa zwei Drinks pro Woche.
Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass das Risiko für rezidivierendes Vorhofflimmern bei der Abstinenz-Gruppe um 53 Prozent sank. Phasen ohne Vorhofflimmern verlängerten sich bei Verzicht auf Alkohol um 37 Prozent. Bei moderatem Alkoholkonsum trat an 118 Tagen Vorhofflimmern auf, abstinent waren es nur 86.
Alkoholverzicht zeigte sich auch bei den Auswirkungen des Vorhofflimmerns. Unter Abstinenzlern gab es mehr Personen, die symptomfrei blieben oder nur leichte Symptome erlitten. Außerdem mussten Mitglieder der Abstinenz-Gruppe nur etwa halb so oft wegen Vorhofflimmern in einer Klinik behandelt werden. Weniger Alkoholkonsum hatte darüber hinaus positive Auswirkungen auf weitere Risikofaktoren: Die abstinenten Probanden verloren Körpergewicht und der Blutdruck sank.
Wie lassen sich die Ergebnisse erklären? Voskoboinik erläutert in seiner Präsentation auf dem ACC-Kongress, dass Alkohol arterielle Entzündungen, oxidativen Stress und einen höheren Blutdruck bewirken kann. Durch diese Faktoren könnte sich auch das Vorhofflimmer-Risiko erhöhen.
Voskoboiniks Fazit: Durch Alkoholabstinenz lassen sich neue Arrhythmie-Episoden vorbeugen. Wer auf Alkohol verzichte, reduziere nicht nur das Risiko für Vorhofflimmern, sondern lindere darüber hinaus auch die Symptome. Der Kardiologe empfiehlt daher, die Reduktion des Alkoholkonsums in die ärztlichen Empfehlungen für Betroffene aufzunehmen.
Was sagen andere Experten?
Prof. Andreas Goette ist Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie und Chefarzt der Kardiologie im Vincenz-Krankenhaus Paderborn. Seit 2003 ist er Mitglied im Lenkungsausschuss des deutschen Kompetenznetzes Vorhofflimmern und seit 2015 gewähltes Mitglied des Vorstandes. Voskoboiniks Ansicht teilt Goette nur bedingt und weist auf Schwächen der Studie hin.
Voskoboinik betont, in seiner Studie Vorhofflimmern bei Menschen mit moderatem Alkoholkonsum zu untersuchen. Doch Einschlusskriterium bei den Teilnehmern waren zehn Drinks pro Woche. Ein Drink enthielt etwa 12 Gramm Alkohol. Bei durchschnittlich 16 alkoholischen Getränken in der Woche, kam somit ein Proband auf etwa 27 Gramm Alkohol pro Tag. Kann man bei dieser Menge von einem moderaten Alkoholkonsum sprechen? Goette meint Nein. Zum Vergleich: Maximal 10 Gramm Alkohol pro Tag für Frauen und 20 für Männer nennt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) tolerierbar.
Schwachpunkte der Studie
Die Studie beweist Goette zufolge nichts Neues. Dass Alkohol in großen Mengen schlecht für das Herz ist und Vorhofflimmern begünstigt, ist bekannt. Goette erwähnt das gut erforschte „Holiday Heart Syndrom“, bei dem Vorhofflimmern als Folge von Trinkexzessen auftritt. Interessanter wäre die Forschungsarbeit gewesen, so Goette, wenn die Probanden in der Regel wenig Alkohol, das heißt zwei bis drei Drinks pro Woche, getrunken hätten. Wenn sich nach Abstinenz in dieser Patientengruppe eine verringerte Vorhofflimmerlast gezeigt hätte, könnte man daraus eine striktere Verhaltensweise beim Alkoholkonsum schlussfolgern.
Doch wie viel Alkohol trinken Deutsche überhaupt im Schnitt? 96,4 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren trinken Alkohol. Nach Berechnungen der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen DHS trank im Jahr 2016 ein deutscher Verbraucher ab dem Alter von 15 Jahren im Schnitt 10,6 Liter reinen Alkohol. Pro Woche wären das 0,2 Liter reinen Alkohol, das entspricht 160 Gramm reinen Alkohol. Zum Vergleich: In der Studie tranken die Teilnehmer anfangs 16 Getränke pro Woche, wobei ein Getränk 12 Gramm Alkohol enthält, das macht dementsprechend wöchentlich 192 Gramm. Die DGE-Empfehlung lautet 70 bis 140 Gramm pro Woche.
Soll heißen: Auch wenn Goette die Trinkmenge der Studienprobanden für übertrieben hält – so weit ist der durschnittliche Konsum der Deutschen gar nicht davon entfernt.
Goette weist noch auf andere Schwachpunkte der australischen Studie hin. Dazu gehören die eher kleine Probandengruppe und das kurze Follow-up von sechs Monaten. Paroxysmales Vorhofflimmern zu untersuchen sei ohnehin schwierig. Denn die Störung tritt mit großen Schwankungen auf, so kann in einer Studie schnell ein Effekt gefunden werden, wo eigentlich keiner ist.
Sollten Patienten mit Vorhofflimmern also auf Alkohol verzichten? „Ich sehe nach der derzeitigen Studienlage keinen Grund, Patienten komplett vom Alkohol abzuraten. Ein gelegentliches Glas muss nicht unbedingt Vorhofflimmern auslösen“, sagt Goette. Patienten sollen selbst ausprobieren, ob sie kleine Mengen vertragen oder nicht. Dabei komme es oft auch auf die Art des Getränks ein. So wirken Perlwein oder Rotwein häufig stärker auf das Vorhofflimmern als Bier oder Weißwein.
Bleibt die Frage, ob Alkohol kardioprotektiv wirken kann. Das ist zunächst eine Frage des Maßes: „Ein Schwellenwert für die Zufuhr, ab dem schädliche Wirkungen von Alkohol mögliche positive Effekte übertreffen, kann nicht angegeben werden, da immer wieder auch mit individuell unterschiedlichen Risiken zu rechnen ist“, schreibt die DGE.
Doch auch unabhängig von der Alkoholmenge ist noch nicht sicher, ob Wein und Co. tatsächlich dem Herzen zugute kommen können. Forscher haben herausgefunden, dass moderater Alkohol-Genuss unter Umständen das Risiko für Herzinfarkte, Koronare Herzkrankheit und Herzinsuffizienz verringern könnte. Doch es handelt sich lediglich um Beobachtungsstudien. Zudem ist unklar, ob es der Alkohol selbst oder der Lebensstil der Weintrinker ist, der das Herz gesund erhält.
Andreas Goette bestätigt, dass noch Fragen offen sind. So ist beispielsweise nicht abschließend geklärt, welcher Bestandteil vom Wein es ist, der antioxidativ und damit möglicherweise kardioprotektiv wirken könnte. Goette verbietet seinen Patienten Alkohol zwar nicht per se, dennoch würde er Trinken auch nicht empfehlen. Doch der Kardiologe betont, dass Alkohol nur einer von mehreren Faktoren ist. In großen Mengen können auch anregende Substanzen wie sie in Energy Drinks enthalten sind, Vorhofflimmern auslösen.
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