Eine 60-jährige Frau leidet an schwerem Juckreiz. Seit einem Jahr zieht sie von Arzt zu Arzt, doch niemand kann die Ursache ausfindig machen – bis ein Spezialist den Fall neu aufrollt.
Anfangs ist der Juckreiz so stark, dass die Frau ihre Haut blutig kratzt und sich sogar entzündet. Zwar lassen die Symptome mit topischen und oralen Glucocorticoide allmählich nach. Doch die lange Anwendung der Salben verdünnt ihre Haut so stark, dass sie beginnt, einzureißen. Absetzen ist auch keine Option, denn der Juckreiz kehrt unmittelbar danach zurück.
Der behandelnde Dermatologe kann Allergien oder Ekzeme bei der 60-Jährigen ausschließen. Auch angeforderte Untersuchungen auf mögliche Krebs- und Autoimmunerkrankungen sind ohne Ergebnis. Ein anderer Hautarzt vermutet, dass die Ursache nicht dermatologischer Natur ist und schickt die Patientin zum Hämatologen.
Bis auf erhöhte Werte für alkalische Phosphatase (AP) im Blut kann auch dieser nichts Ungewöhnliches finden. Die Bestimmung der alkalischen Phosphatase dient als Indikator für Erkrankungen der Leber und der Gallenwege sowie für Veränderungen des Knochenstoffwechsels. Wegen der erhöhten AP-Werte verweist der Hämatologe die Frau an einen Gastroenterologen.
Dieser schließt eine Leberzirrhose sowie ein hepatozelluläres Karzinom aus. Er diagnostiziert eine primär sklerosierende Cholangitis und stellt die Prognose, dass die Patientin in ein paar Jahren eine Lebertransplantation benötigen würde. Die Nachricht schockiert die Patientin und stürzt sie in ein tiefes Loch.
Nicht nur leidet sie seit einem Jahr an einem Juckreiz, für den es keine zufriedenstellende Therapie gibt. Nun droht auch noch Leberversagen. Mit dieser Diagnose schickt der Gastroenterologe die Patientin zu einem Spezialisten für Transplantationen.
Dieser Arzt rollt den Fall seiner Patientin nochmal neu auf. Beim Lesen der Krankenakte macht ihn eine fast 10 Jahre zurückliegende OP stutzig: Damals wurde der Frau aufgrund aufgrund von Cholelithiasis die Gallenblase entfernt. Die OP verläuft problemlos, doch nach einer Woche stellt sie sich mit starken Oberbauchschmerzen und Erbrechen erneut in der Klinik vor – ein undichter Gallengang führte zu Flüssigkeitsansammlungen im Bauchraum.
Ein Chirurg vernäht den undichten Gallengang. Doch drei Tage nach der zweiten Entlassung ist sie mit Übelkeit und Erbrechen zurück in der Klinik. Also geht es schon wieder in den OP. Diesmal legt der Chirurg eine temporäre Gallendrainage, die nach 6 Wochen entfernt wird.
Bei der folgenden Aussage des Chirurgen hat der Transplantationsexperte schließlich einen Verdacht: Nach der dritten Operation notiert der Chirurg, dass seine Patientin eine anatomische Besonderheit aufweise. Sie besitze einen zusätzlichen Gallengang, einen sogenannten Luschka-Gallengang. Diesen habe der Chirurg nun vernäht, um einen weiteren Flüssigkeitsaustritt zu verhindern.
Der Transplantationsexperte vermutet, dass der Chirurg fälschlicherweise den rechten Lebergang zugenäht hat. Die von der Leber gebildete Gallenflüssigkeit fließt normalerweise aus der Leber in den rechten und linken Leberweg. Diese vereinigen sich im Ductus hepaticus communis. Dadurch, dass der rechte Leberweg verschlossen war, staute sich offenbar die Galle. So wurden die Abbauprodukte der Leber nicht mehr richtig ausgeschieden und es entwickelte sich der schwere Juckreiz am ganzen Körper.
Der Arzt schlägt vor, den rechten Leberlappen zu entfernen, um den Juckreiz zu stoppen. Und tatsächlich: Einige Wochen nach der Operation ist die Frau endlich von ihrem Juckreiz befreit.
Textquelle: The Washington PostBildquelle: Romina Farías, Unsplash