Ende Juni 2016 läuft die Zulassung für Glyphosat ab. Schon jetzt liefern sich deutsche und europäische Behörden wissenschaftliche Gefechte. Ob das Herbizid krebserregend ist, gilt Experten zufolge als möglich. Trotzdem ist ein Verbot in weite Ferne gerückt.
So manches Forschungsprojekt beginnt mit einem Zufall. Damian Marino von der argentinischen Universidad Nacional de Mar del Plata plante eine Versuchsanordnung, um Glyphosat in der Luft zu bestimmen. Seine Idee war, das Herbizid an Gaze zu binden und später quantitativ zu bestimmen. Doch das Experiment misslang, denn jedes verwendete Baumwollgewebe enthielt Glyphosat. Zusammen mit Kollegen untersuchte Marino Pflaster, OP-Tupfer, Mullbinden, Watte und Tampons. Rund 85 Prozent aller Proben enthielten das Breitbandherbizid, und bei 62 Prozent fanden Chemiker Aminomethylphosphonsäure als Abbauprodukt. Agrarwissenschaftler überraschen diese Fakten nicht [Paywall]. Landwirtschaftliche Großbetriebe behandeln Baumwollpflanzen in großem Stil mit der Substanz. Bislang hatten sie vor allem Nahrungsmittel analysiert. Wie sich die Substanz in Wundmaterial verhält, ist völlig unklar. Tampons bergen besondere Risiken, schließlich kommen sie dem empfindlichen Zervix recht nahe. Ob Glyphosat tatsächlich krebserregend ist – daran scheiden sich die wissenschaftlichen Geister.
Vor wenigen Tagen hat das Umweltbundesamt (UBA) aktuelle Zahlen veröffentlicht. Im Jahr 2001 fanden Wissenschaftler Glyphosat bei zehn Prozent aller Probanden im Urin, 2013 schon bei 60 Prozent, und 2015 bei 40 Prozent. Zwar liegt der höchste gemessene Wert tausend Mal niedriger als EU-weit gefordert. „Falls sich jedoch – wie von der WHO befürchtet – Glyphosat als ‚wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen‘ herausstellt, muss über den Stoff neu diskutiert werden“, schreibt das UBA in einer Mitteilung. Präsidentin Maria Krautzberger will die Datenlage verbessern, speziell bei Kindern: eine bemerkenswerte Sichtweise, die Experten am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) momentan nicht teilen.
Tatsächlich geht es um die milliardenschwere Frage, ob Glyphosat Bestandteil von Pflanzenschutzmitteln bleibt. Hier ist die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) gefordert. Anfang 2015 gingen als „geheim“ deklarierte Schreiben zur Chemikalie vom BfR an die EFSA. Im Rahmen einer kleinen Anfrage der Grünen nennt die Bundesregierung etliche Quellen (Drucksache 18/5347, Anlage 1). Bei 14 vermeintlichen Studien handelt es sich Recherchen der Süddeutschen Zeitung zufolge lediglich um Zuschriften von Monsanto-Mitarbeitern an wissenschaftliche Zeitschriften: keine gute Basis für die am 12. November 2015 veröffentlichte EFSA-Stellungnahme.
„Die Peer-Review-Gruppe kam zu dem Schluss, dass Glyphosat wahrscheinlich nicht genotoxisch [...] ist oder eine krebserregende Bedrohung für den Menschen darstellt“, schreiben EU-Experten. Kurze Zeit später wandten sich Wissenschaftler unter Federführung von Professor Christopher J. Portier, Washington, an den EU-Gesundheitskommissar. Sie kritisieren unter anderem das Verfahren zur Wirkstoffprüfung. Eine Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Monographien der Internationalen Krebsforschungsagentur IARC seien umfassend berücksichtigt worden, schreiben EFSA-Mitarbeiter. Unterstützung erhalten sie aus Deutschland. „Die Argumente in dem offenen Brief verändern die Gesamtschlussfolgerungen der gesundheitlichen Bewertung zu Glyphosat nicht“, heißt es beim BfR. „So gibt es beispielsweise keinen ausreichenden Beleg für eine Assoziation zwischen glyphosatbasierenden Formulierungen und Non-Hodgkin Lymphomen, was bereits in der IARC-Bewertung deutlich gemacht wurde.“ Alle Studien führten nach derzeitigem Kenntnisstand „nicht zu einem eindeutigen kausalen oder anderweitig überzeugenden assoziativen Zusammenhang zwischen dem Wirkstoff Glyphosat und Krebs“.
Die erwähnten IARC-Veröffentlichungen [Paywall] befassten sich mit Tetrachlorvinphos, Parathion, Malathion, Diazinon und Glyphosat. Kathryn Guyton und Mitarbeiter bewerten das Herbizid Glyphosat und die Insektizide Malathion beziehungsweise Diazinon als „wahrscheinliche“ Karzinogene (IARC-Gruppe 2A). Substanzen dieser Kategorie lösen in Tierversuchen Krebs aus. Beim Menschen existieren zwar Assoziationen aus Fall-Kontroll- oder Beobachtungsstudien. Die Daten liefern aber keinen zweifelsfreien Beleg. In drei Fall-Kontroll-Studien war Glyphosat mit erhöhten Raten von Non-Hodgkin-Lymphomen verbunden. Die Agricultural Health Study (AHS) fand jedoch keine Assoziation. Bei Mäusen führt Glyphosat zu mehr Karzinomen der Nierentubuli, Hämangiosarkomen oder Inselzell-Adenomen. Tetrachlorvinphos und Parathion, zwei Insektizide, fallen in die IARC-Gruppe 2B. Hier fanden Wissenschaftler nur bei Tieren Anhaltspunkte auf möglicherweise krebserregende Eigenschaften. Monsanto warf der IARC vor, Dutzende wissenschaftlicher Studien ignoriert zu haben – CEO Hugh Grant sprach von „Junk Science“.
Aus wissenschaftlicher Sicht erstaunt die Kontroverse. Verschiedene unabhängige Arbeitsgruppen fanden zumindest Hinweise auf krebserregende Eigenschaften von Glyphosat. „Es ist inakzeptabel, dass die EU-Kommission Europas Bevölkerung weiter einer Substanz aussetzen will, die von der WHO als ‚wahrscheinlich krebserregend‘ eingestuft wurde“, sagt der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. UBA-Chefin Krautzberger ruft über ein „Fünf-Punkte-Programm für einen nachhaltigen Pflanzenschutz“ Politik und Landwirtschaft zum Umdenken auf. Originalpublikationen: Occurrence of glyphosate and AMPA in an agricultural watershed from the southeastern region of Argentina [Paywall] Leonardo Lupi el al.; Science of The Total Environment, doi: 10.1016/j.scitotenv.2015.07.090; 2015 Carcinogenicity of tetrachlorvinphos, parathion, malathion, diazinon, and glyphosate [Paywall] Kathryn Z. Guyton et al.; The Lancet Oncology, doi: 10.1016/S1470-2045(15)70134-8; 2015