Jeder Kunde ist anders. Das gilt besonders bei der Beratung zu vermeintlich peinlichen Medikamenten. Einer schwingt den verpilzten Fuß auf den HV-Tisch, ein anderer möchte lieber im Séparée mit dem Chef sprechen.
Es gibt gerade im Gesundheitsbereich einige Themen, die mit Scham verbunden sind. Damit sucht man sich nur ungern Beratung. In der Apotheke werden wir hier häufig mit körperlichen Dingen konfrontiert.
Während es einem Teil der Kundschaft so gar nichts ausmacht, offen über ihre körperlichen Probleme zu sprechen, versinken andere beinahe im Erdboden. Themen hierfür gibt es zur Genüge: HIV, trockene Scheide, Wurmerkrankungen, Fuß- und Nagelpilz, Prostataprobleme, Erektionsstörungen, und und und. Das Feld ist quasi unerschöpflich.
Wir hatten einmal eine Dame im HV stehen, die laut und unverblümt über ihre HIV-Infektion gesprochen hat, und wie sie sich diese vermutlich zugezogen hatte. Hinter ihr stand zufällig ein weiterer HIV Patient, der quasi das genaue Gegenteil lebte. Wenn er uns sein Rezept überreicht hat, wussten wir genau: Medikamente diskret im Hintergrund in einer blickdichten Papiertüte für ihn richten und dann wortlos übergeben.
Als die lautstarke Dame gegangen war, stand dieser Kunde leicht fassungslos vor mir und schüttelte den Kopf. Er lachte kurz auf und sagte dann: „Eigentlich ist es ja bewundernswert, wie sie damit umgeht. Ich könnte das nicht!“
Und genau das ist es doch: Jeder ist anders. Die eine Kundin verlangt, den Chef zu sprechen um mit ihm über ihre „wahnsinnig trockenen Schamlippen“ zu sprechen. Die andere spricht hinter vorgehaltener Hand über eine „Schürfwunde im Intimbereich“ und meint damit eine Stelle an der Innenseite ihrer Oberschenkel, etwas über Kniehöhe.
Mit einem Kunden muss man in den Beratungsraum gehen, damit er seine Zehennägel zeigt, wo er einen Fußpilz vermutet. Der andere zieht Schuhe und Socken aus und schwingt den Fuß vor versammelter Kundschaft auf den HV-Tisch, damit man draufschauen kann. Übrigens eine beeindruckende sportliche Leistung.
So werden es auch eher die stillen und versteckten Menschen sein, die uns vermutlich zuerst Richtung Internetapotheke entgleiten. Da werden nicht so viele unangenehme Fragen gestellt. Da ist es anonym und sachlich. Und genau für diese stillen und verängstigten Menschen wäre es sinnvoll, sich zu öffnen.
Manchmal ist die Eigendiagnose eben auch nicht richtig. Die Dame mit dem Pilznagel hatte eine Nagelpsoriasis, da hätte sie lange dran herumlackieren können. Eine weitere mit einem vermeintlichen Vaginalpilz hatte dann doch eine Chlamydieninfektion.
Es ist wichtig, die Eigendiagnose zu hinterfragen. Das sollte nicht auf Feldwebelart oder in irgendeiner Form, die sich nach Anklage anhört, passieren. Aber auch nicht mit mitleidig schräggelegtem Kopf und Leidensmiene, wie es in Apotheken leider auch oft zu beobachten ist. Stattdessen lieber: klare Stimme, freundliches Auftreten und vor allem Ruhe.
Bemerkt man, dass es einem Kunden unangenehm ist, über sein Problem zu sprechen, bittet man ihn nach der Frage, ob er etwas Zeit mitgebracht hat, am besten in einen separaten Beratungsraum.
Besonders schambehaftet ist meistens alles rund um das Thema Inkontinenz. Gerade Männer sind, zum Beispiel nach Prostata-OPs, wenig begeistert, Probleme in diesem Bereich dort zu besprechen, wo andere Kunden mithören können. In einem Beratungszimmer können sie freier reden, sich in Ruhe die Vorlagen/Einlagen/Pants betrachten und sich Proben zum Testen aussuchen.
Diese Kunden sind sehr dankbar, wenn sich jemand Zeit für sie nimmt und auch die Worte mit Bedacht wählt. „Windel“ kann sich in diesem Zusammenhang beispielsweise verletzend anhören.
Diskretion ist die große Überschrift dieses Themas, aber direkt danach kommen Einfühlungsvermögen und Kompetenz. Diskretion, damit die scheuen Kunden überhaupt zu uns kommen. Dafür müssen sie wissen, dass es sowas wie einen Beratungsraum überhaupt gibt.
Einfühlungsvermögen, weil es das ist, was uns von Computern und reinem Click & Collect unterscheidet.
Kompetenz, weil die Patienten sich dann gut aufgenommen und beraten fühlen.
Es gibt eine neue Generation von Apothekern und PTA, die sich treffen, um genau so etwas in ERFA-Gruppen oder im Internet miteinander zu diskutieren. Wenn da nicht nur darüber gesprochen, sondern auch danach gelebt wird, sind wir auf einem guten Weg.
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