Ein Baby leidet seit seiner Geburt an schweren Durchfällen. Da keine Therapie anschlägt, stirbt das Kind. Auch schon andere Neugeborene der Familie waren betroffen. Doch die Ursache ist mysteriös.
Ein zweieiiger Zwilling kommt in der 36. Schwangerschaftswoche mit einem Gewicht von nur 1.715 Gramm zur Welt. Im Gegensatz zu seinem Zwillingsbruder leidet er in den folgenden zwei Monaten an einem unbehandelbaren langanhaltenden Durchfall, durch den es zu einem geringen Immunglobulin-Spiegel und einer ausgeprägten Neutropenie kommt, im weiteren Verlauf treten zudem eine cholestatische Hepatopathie und Thrombozytopenie auf. Im Alter von sieben Monaten stirbt das Baby an den unkontrollierbaren Durchfällen, Blutungen der Haut und Leberversagen.
Die intensive Suche nach der Ursache bleibt zunächst ergebnislos: Infektionen oder Parasitosen werden ausgeschlossen. Auch Leber-, Muskel-, Knochenmark- und Dünndarmbiopsien ergeben keine Diagnose, und unter bekannten kongenitalen Durchfallerkrankungen und Immundefekten werden die behandelnden Ärzte ebenfalls nicht fündig.
Die familiäre Anamnese liefert schließlich einen entscheidenden Hinweis: Ähnliche Verläufe waren bei einer Schwester und drei Cousinen aus der Generation des Zwillings im ersten Lebensjahr aufgrund von hartnäckigem Durchfall aufgetreten, es war unter 16 Säuglingen zu fünf Todesfällen gekommen.
Ein interdisziplinäres Team um den Kinderarzt Prof. Dr. Andreas Jenke und den Zellbiologen Dr. Patrick Weil und Prof. Dr. Jan Postberg führt ausgedehnte Genomanalysen durch und entdeckt sowohl bei den Zwillingen als auch bei den Eltern einen Einzelnukleotid-Polymorphismus (SNP) im Gen für Integrin β6, der zu einem Aminosäureaustausch führt.
Integrin β6 bildet zusammen mit dem Protein a5 ein Heterodimer, das an Zell-Zellkontakten sowie an Verbindungen zwischen Zellen und extrazellulärer Matrix beteiligt ist. Immunhistochemisch weisen die Ärzte eine verringerte intestinale Konzentration des Heterodimers nach. In Zellkulturversuchen können die Forscher zeigen, dass sich mit dem veränderten Integrin β6 keine Heterodimere bilden. Weitere Versuche mit Zebrafischen ergeben, dass es die Wundheilung und Gewebefunktion stört.
Die Wissenschaftler gehen deshalb davon aus, dass das veränderte Integrin β6 die Darmgewebeintegrität und die Barrierefunktion beeinflusst, was sowohl den Durchfall als auch die Blutungen erklären würde. Ähnliche Ergebnisse beschrieben vor kurzem Wissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg: Sie fanden in Tierversuchen bei einem anderen Integrin, das aus den Einheiten α4 und β7 besteht, veränderte Immunreaktionen sowie eine verzögerte Wundheilung im Darm, wenn dessen Bildung beeinträchtigt war oder durch Antikörper gestört wurde.
Jetzt, wo man die Ursache kennt, könnte man weitere Fälle identifizieren und nähere Aussagen zur Prävalenz dieser Erbkrankheit bekommen. Durch die Aufklärung des Pathomechanismus besteht zudem die Hoffnung, dass Therapieansätze für die tödlich verlaufende Erkrankung entwickelt werden.
Artikel von Karen ZoufalBildquelle: michchap, flickr