Für Marktbeobachter war 2015 das Jahr der Megafusionen. Firmen vergrößern sich auch im neuen Jahr durch Fusionen oder Zukäufe. Dahinter steckt nicht nur der Wunsch, Innovationen einzukaufen. Legale Steuertricks sind ebenfalls beliebt.
Trübe Aussichten für forschende Pharmafirmen: Im Jahr 2016 verlieren Arzneimittel für 573 Millionen Euro ihren Patentschutz, berichtet Pro Generika. Hersteller sind um eine Antwort nicht verlegen – Fusionen und Übernahmen gehören zu ihrem Tagesgeschäft. Laut einer KMPG-Analyse, die auf Thomson-Reuters-Daten beruht, fanden im letzten Jahr weltweit Transaktionen für 298 Milliarden US-Dollar statt: mehr als im Rekordjahr 2000. Damals lag das Volumen bei 253 Milliarden Dollar. „Die Konsolidierungswelle im Bereich der Generika und der Agrarchemie hat neue Impulse bekommen. Weitere Transaktionen sind zu erwarten“, sagt Vir Lakshman von KPMG. Er spekuliert, dass Pharmakonzerne ihr Portfolio durch Käufe von Biotechnologiefirmen ergänzen. Unternehmen mit Wirkstoffen in sehr frühen Entwicklungsphasen gelten auch als interessant.
So manche Firma hofft auf einen Coup, wie er Gilead geglückt ist. Im Jahr 2011 erwarb der schwächelnde Hersteller Pharmasset für läppische elf Milliarden US-Dollar. Die außerhalb von Fachkreisen unbekannte Biotech-Firma hatte Sofosbuvir entwickelt – und lässt sich seither innovative Therapien von Krankenkassen vergolden. Ihr Umsatz explodierte von 11,2 Milliarden US-Dollar (2013) auf 24,9 Milliarden US-Dollar (2014). Kein Einzelfall: AstraZeneca schnappte sich ZS Pharma für 2,7 Milliarden US-Dollar. ZS hat ein Natrium-Zirkonium-Zyklosilikat (ZS-9) im Gepäck. Das Mineral bindet Kaliumionen – eine Therapieoption bei Hyperkaliämien. Das Krankheitsbild tritt bei Patienten mit Herz- oder Niereninsuffizienz auf. Andere Giganten bereinigen durch Tauschgeschäfte ihr Portfolio. Der französische Pharmakonzern Sanofi überträgt Tierarzneien an Boehringer Ingelheim und erhält dafür Präparate aus dem OTC-Bereich. Als Wertausgleich zahlt Boehringer zudem 4,7 Milliarden Euro an Sanofi. Analysten schätzen, der gesamte Beteiligungstausch habe ein Volumen von 12,4 Milliarden Dollar.
Pfizer bewegt sich in anderen Dimensionen. Die Ankündigung, Allergan für 160 Milliarden US-Dollar zu übernehmen, war ein Paukenschlag. Falls Aktionäre zustimmen, entsteht ein Gegengewicht zum mächtigen Johnson & Johnson-Konzern. US-Aufsichtsbehörden bleiben skeptisch. Ihnen ist klar, woher der Wind weht. Der neue Gigant hätte seinen Sitz in Irland und seine Hauptverwaltung in New York, um dem amerikanischen Fiskus keine Abgaben zu entrichten. „Angesichts solcher Tricks haben die US-Steuerzahler das Nachsehen“, sagte die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Im Falle ihres Wahlsiegs kündigte sie Maßnehmen gegen legale Steuerflucht dieser Art an. Pfizer selbst könnte die Steuerersparnis nutzen, um weitere Konzerne zu erwerben.
Shire spielt eine andere Trumpfkarte aus, nämlich Orphan Drugs. Der britisch-irische Konzern will seinen US-Konkurrenten Baxalta für rund 32 Milliarden US-Dollar übernehmen. Weitere 5,9 Milliarden US-Dollar gibt Shire für Dyax aus. Die Neuerwerbungen haben Medikamente zur Therapie seltener Erkrankungen im Portfolio, die in mehrfacher Hinsicht veritabel sind. Mit einem Orphan-Drug-Status sparen Konzerne nicht nur EMA-Gebühren. Im besten Falle winkt eine zehnjährige, EU-weite Marktexklusivität, die unabhängig vom Patentschutz gilt. Am Ende des fünften Jahres im Markt wird überprüft, ob die Voraussetzungen für den Orphan-Drug-Status weiterhin gegeben sind. In Deutschland kommen Hersteller auch ungeschoren über Hürden des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG). Ihnen bleibt erspart, den Mehrwert gegenüber Vergleichstherapien nachzuweisen. Demgegenüber steht die Lizenz, Geld zu drucken. Glybera® (Alipogen Tiparvovec) von uniQure schlägt mit 1,1 Millionen Euro pro Patient zu Buche. Vom Gentherapie-Präparat profitieren Patienten mit Lipoproteinlipase-Defizienz.
Führen Fusionen oder Übernahmen nicht zum gewünschten Erfolg, bleibt Vorständen immer noch eine Option. Sie suchen Dienstleister in günstigen Drittländern. Dazu hat die Camelot Management Consultants AG 100 Führungskräfte weltweit tätiger Pharmakonzerne befragt. Bis 2020 wird etwa ein Drittel aller europäischen Aktivitäten zur Produktion, Rezeptur und Verpackung von Wirkstoffen ausgelagert. Tabletten, Pulver und Granulate lassen sich als feste galenische Formen einfach herstellen und gut auslagern. Bei Biologicals oder Impfstoffen ist der Aufwand vergleichsweise höher, aber umso interessanter. Biosimilars gelten als gigantischer Wachstumsmarkt. Bis 2020 verlieren zwölf der umsatzstärksten Präparate ihren Patentschutz. Nicht nur klassische Generika-Hersteller, forschende Pharmakonzerne und spezialisierte Biotechfirmen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Branchenfremde wollen auch ein Stück vom gigantischen Kuchen abbekommen. Das Wettrennen ist in vollem Gange.