Wer bestimmt, welches Medikament der Kunde bekommt? Kleiner Tipp: Arzt und Apotheker sind es nicht. Dazu eine Twitter-Anekdote.
Fundstück auf Twitter – und immer noch hochaktuell. Als Schweizer Apothekerin schaue ich gerade mit vor Entsetzen geweiteten Augen nach Deutschland. Denn was das Frollein vom Meer da zwitschert, ist, was auch bei uns passieren wird, wenn die Krankenkassen zu viel Macht bekommen. Dazu wird es kommen, wenn die sogenannten Sparmaßnahmen, wie vom Bundesrat geplant, weiterhin hauptsächlich auf dem Rücken der Apotheken getragen werden.
Ich habe mir für die bessere Lesbarkeit erlaubt, nur den Anfang oben zu verlinken und den Rest, leicht editiert, hierher zu kopieren. Ihr seid aber aufgerufen, das auch im Original anzusehen, das Frollein schreibt noch mehr aus der Apotheke. Hier ihr Twitter-Thread:
Kurze Anmerkung bevor es richtig los geht: Ich beschreibe, wie bei uns ein Kassenrezept manuell bearbeitet wird – so wie es weit verbreitet ist. Wir haben inzwischen Scannerkassen, die einen Großteil des Rezepts automatisch erfassen, was Zeit spart. Wenn das System richtig liest.
Kunde reicht Rezept. Ist das Rezept formell korrekt? Alle Angaben drauf? Daten des Versicherten vollständig, Ausstellungsdatum (wichtig), Arztstempel und Unterschrift (fehlt gern mal). Dann geht’s weiter: Ist der Kunde in der Kundendatei?
Rezeptstatus auswählen (gebührenpflichtig, befreit, Kind). Erstes Medikament eintippen. Ist die PZN auf dem Rezept, muss nur die Nummer getippt werden, ansonsten (Wirkstoff-) Name, Stärke, Packungsgröße, damit die Auswahlliste nicht ewig lang wird und man fix den Artikel auswählen kann.
Ein Fenster ploppt auf: Krankenkasse auswählen. Ist die KK nicht in der Vorauswahl, muss die neunstellige IK-Nummer eingetippt werden. Ein Fenster ploppt auf: Rabattverträge der gewählten Krankenkasse. Hatte der Kunde schon mal eines der möglichen Präparate?
Oh, leider sind die Vertragsartikel alle nicht lieferbar. Online-Anfrage bei zwei Großhändlern und den Filialen. Nix. Also darf ich (noch) das namentlich verordnete oder eins der drei günstigsten Präparate auswählen, dass dann mit einer Sonder-PZN aufs Rezept gedruckt werden muss.
Wir müssen allerdings auch nachweisen können, dass kein Großhandel liefern kann. Beim zweiten Medikament gibt es keine Rabattverträge, aber Reimporte. Der Arzt hat einen Reimport verordnet, dann darf ich weder das Originalpräparat, noch einen teureren Reimport abgeben.
Leider ist der Reimport nicht lieferbar. Ich muss die Praxis informieren, dass dem so ist und ich nur das teurere Original abgeben kann. Der Arztpraxis ist es meist egal, der Krankenkasse nicht. Ich muss die Nichtlieferfähigkeit nachweisen, eine Sonder-PZN aufdrucken und einen kleinen Roman aufs Rezept kritzeln, dass der Import nicht lieferbar und nach Rücksprache mit der Praxis auch das Original ok ist.
Hätte der Arzt das Original verordnet, hätte ich erst prüfen müssen, ob es einen wirtschaftlicheren Import nach 15/15-Regel gibt und wenn ja, ob der lieferbar ist. Gibt es so einen, müssen wir unsere Importquote je Krankenkasse erfüllen – bei Hochpreisern wird’s schnell problematisch. Ist der nicht lieferbar, muss eine Sonder-PZN aufs Rezept. Gibt es keinen, ist die Welt tatsächlich mal in Ordnung.
Medikament drei ist ein Nasenspray für ein Kind. Die Krankenkasse erlaubt mir nur einen Vertragspartner: kein Spray, sondern Tropfen, die auch noch Konservierungsstoffe enthalten. Das gefällt mir pharmazeutisch und dem Kind bei der Anwendung so gar nicht.
Ich möchte das verordnete Spray abgeben. Natürlich muss wieder eine Sonder-PZN für die pharmazeutischen Bedenken plus ein kleiner Roman aufs Rezept, dass die Darreichungsform nicht identisch und die Compliance gefährdet ist.
Alles soweit bearbeitet? Fein, dann kann ich jetzt endlich loslaufen und die Medikamente holen. Das waren jetzt nur die „Standards“, die bei fast jedem Rezept inzwischen vorkommen.
Dazu kommen Sonderregelungen für Hilfsmittel (das würde den Thread wirklich sprengen!), Verbandstoffe (irgendwelche skurrilen Packungsgrößen oder Hersteller, die der Arzt verordnet, die aber nicht zu bekommen sind – ebenfalls ein weites Feld), verzwickte Mehrfachverordnungen oder Stückelungen zwischen N-Bereichen (ach ja, die Normgrößen, auch ein schönes Thema …).
Die bürokratische Liste ist lang und wird immer länger. Oft muss geprüft werden, ob das Rezept überhaupt so beliefert und abgerechnet werden kann, ob Änderungen möglich sind oder ob man gleich ein ganz neues Rezept vom Arzt braucht, weil die Krankenkasse sonst nicht zahlt.
Manchmal hat man tatsächlich einen Berufsanfänger vor sich, der noch etwas länger braucht, um das alles im Blick zu haben. Meist sind es aber erfahrene Kolleginnen und Kollegen, die irgendwie versuchen, durch den bürokratischen Dschungel an Ihr benötigtes Medikament zu kommen.
Vielen Dank für Ihre Geduld!
Ups, das ist jetzt doch ganz schön langatmig geworden. Ich hoffe, ich habe Sie nicht zu Tode gelangweilt, wenn Sie sich bis hier unten durchgekämpft haben … Und das ist nicht mal im Ansatz vollständig – die Kolleginnen und Kollegen mögen mir verzeihen ...
So geht das, wenn nicht mehr die Fachperson (verschreibender Arzt oder der Apotheker) bestimmen kann, welches Medikament Du als Patient erhältst, sondern die Krankenkasse. Die ist – das muss man so sagen – ausschließlich auf Wirtschaftlichkeit bedacht. Die Gesundheit des Patienten ist dabei eher Nebensache, egal, was die Werbung der Kasse so sagt.
In Frolleins Beispiel bestimmt also die Kasse, welches Medikament abgegeben werden darf. Der Arzt verschreibt etwas und die Apotheke muss, je nach Kasse, ein anderes (billigeres) Generikum wählen, für das die Kasse Rabattverträge mit der Herstellungsfirma gemacht hat.
Die Kasse bekommt von der Firma Geld zurück (das sind die Rabatte). Und die Apotheke wird mit Retax bestraft, wenn sie nicht das „richtige“ Medikament abgibt. Retax bedeutet übrigens, dass das abgegebene Medikament der Apotheke komplett nicht zurückbezahlt wird.
Reimporte sind Medikamente mit dem gleichen Wirkstoff aus dem Ausland, die natürlich nochmals günstiger sind. Für die gibt es auch Vorschriften, dass man die als Apotheke abgeben muss, ebenfalls unter Retaxandrohung. Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass gerade Reimporte ein Problem sind, da so Arzneimittelfälschungen in den Handelsweg gelangen. Das betrifft vor allem die Hochpreiser.
Und wenn wir schon beim Handelsweg sind: Auch von den Problemen der Lieferbarkeit bei Rabattarzenimitteln ist im Text zu lesen. Der Dominoeffekt gilt dort ebenso und wird aktuell immer schlimmer.
Wie findet ihr das als Patient? Das ist tatsächlich so ähnlich auch in der Schweiz in Planung – bei uns nennt sich das dann Referenzpreissystem. Dann darf die Apotheke auch nicht mehr das für den Patienten beste Generikum aussuchen, sondern wird gezwungen, das günstigste abzugeben. Und auch (und um so mehr bei uns): Lieferprobleme sind damit praktisch programmiert.
Bildquelle: flockine, pixabay