Wie wichtig das Gespräch zwischen Arzt und Patient ist, ist längst bekannt. Aber auch die Kommunikation zwischen Ärzten ist für das Patientenwohl von Bedeutung – und funktioniert oft nur mangelhaft. Erst langsam setzt hier ein Umdenken ein.
Schweigen ist Silber, Reden ist Gold – diese Regel wird im Klinikalltag leider viel zu selten befolgt. Grade, wenn es um Fehler geht, lassen sich altgediente Chefärzte von jungen Kollegen kaum etwas sagen – oder diese trauen sich erst gar nicht, Probleme anzusprechen. Und oft genug kommt es zu Missverständnissen, weil unklar oder fehlerhaft kommuniziert wird. Im schlimmsten Fall werden so Patienten gefährdet. Jörgen Neumann* ist Assistenzarzt, bisher hat er vor allem in kleineren Kliniken gearbeitet. Für Nachfragen war meistens jemand erreichbar. „Eigentlich konnte ich mit meinen Chefs immer relativ gut reden“, sagt er. Klar sei aber auch: „Bestimmte Sachen braucht man gar nicht erst anzusprechen. Sobald etwas die Kompetenz des Chefarztes in Frage stellen könnte, wird es schwierig.“ Übt ein rangniedriger Mediziner Kritik, riskiert er, vom Vorgesetzten rundgemacht zu werden – vor versammelter Mannschaft, und so lange, bis Tränen fließen. Neumann hat das selbst miterlebt: „Es kann schnell passieren, dass man dann untendurch ist.“ Kritische Fragen wagt Neumann bei Chefärzten deshalb nur, wenn er mit ihnen allein ist – damit diese besser ihr Gesicht wahren können. Doch das kommt im Arbeitsalltag nicht allzu oft vor.
Schwierig war es auf einer Station mit vielen Palliativpatienten. Ein Oberarzt setzte die Schmerztherapie mit Morphinen regelmäßig so hoch an, dass es den Leitlinien widersprach – und deutlich über die Symptomkontrolle hinausging. Neumann bereitete das ein mulmiges Gefühl. Er traute sich aber nicht, das Gespräch zu suchen: „Mir war klar, das würde nichts bringen, denn dieser Arzt war wirklich sehr von sich überzeugt.“ Im Rahmen seiner Ausbildung hatte Neumann ein Kommunikationstraining absolviert. In Rollenspielen hatten er und andere Nachwuchsmediziner gelernt, in schwierigen Gesprächen Ich-Botschaften zu senden. Aber was hätte er sagen sollen? „Ich glaube, dass sie den Tod der Patienten beschleunigen?“ Erst in der Abschlussbesprechung fasste er sich schließlich ein Herz und informierte einen anderen Vorgesetzten über die Praxis. Ähnliche Beispiele kennt auch Hartmut Siebert, langjähriger Leiter einer Unfallchirurgie und stellvertretender Vorsitzender des Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS). Erst kürzlich habe eine junge Kollegin im OP die Fahrlässigkeit eines Chirurgen bemerkt, der mit den Gedanken woanders war. „Sie war aber zu ängstlich, ihn vehement genug darauf hinzuweisen. So kam es zu einem Fehler, den man verhindern hätte können.“ Zu den Zielen des APS gehört es, Kommunikationshürden zwischen den Hierarchien abzubauen. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Eminenz mehr als Evidenz zählt“, sagt Siebert. „Auch junge Kollegen haben das Recht und die Pflicht, sich einzubringen und gegebenenfalls zu widersprechen.“
Die richtige Kommunikation spiele auch beim Fehlermanagement eine Rolle. Untergebene sollten bei einer Nachlässigkeit nicht zu hart abgestraft oder an den Pranger gestellt werden. Das verleite nur dazu, Fehler künftig zu vertuschen – zum Nachteil der Patienten. „Wenn etwas schief läuft, ist es wichtig, nicht immer gleich nach dem Schuldigen zu fragen und sich einen herauszupicken“, sagt Siebert. Stattdessen solle die Fragestellung lauten: Was haben wir falsch gemacht? „Schließlich steckt ja immer auch das System dahinter.“ Weitere Tipps für solche Gespräche finden sich in der Broschüre „Reden ist Gold – Kommunikation nach einem Zwischenfall“ des APS. Sie basieren alle auf einer Grundannahme: Wenn das Wohl der Patienten nach einem Behandlungsfehler leidet, dann plagen die beteiligten Mitarbeiter ohnehin bereits Schuldgefühle. Es sei wichtig, sie damit nicht alleine zu lassen. „Jeder, dem ein Fehler unterlaufen ist, und jeder, der glaubt, einem Patienten einen schweren Schaden zugefügt zu haben, braucht kollegiale emotionale Unterstützung bei der Aufarbeitung des Ereignisses, ggf. auch seelsorgerischen oder psychologischen Beistand“, lautet die APS-Empfehlung.
„Gefragt ist ein allgemein wertschätzender Umgang miteinander“, sagt Siebert. Er hat noch eine Empfehlung für Klinikchefs, Oberärzte und andere Vorgesetzte. „Diese sollten mit gutem Beispiel vorangehen, und eigene Fehler zuerst eingestehen.“ Chefs mit der Größe zur Selbstkritik ermutigen Mitarbeiter, Fehler ebenfalls offen zuzugeben. Und Untergebene trauen sich so eher, Entscheidungen des Chefs in Zweifelfällen zu hinterfragen, wodurch eine bessere Kontrolle der Abläufe gewährleistet wird. Das APS hat auch einen Lernzielkatalog mit Empfehlungen dazu entwickelt, was Ärzte in der Aus- Fort- und Weiterbildung lernen sollten, um die Patientensicherheit zu verbessern. Darin heißt es, Mediziner sollten „die wichtigsten Regeln der Kommunikation nach einem Zwischenfall“ kennen und der Lage sein, „Bedenken und Zweifel im Team anzusprechen“. Erlernen sollten sie „Besonderheiten der Kommunikation über Hierarchiegrenzen hinweg“, aber auch eine „sichere Kommunikation bei Patienten-Übergaben“. Tatsächlich gibt es Probleme in der Kommunikation ja nicht nur zwischen den Hierarchien, es geht auch nicht bloß um einen Mangel an Offenheit. Auch Zeitdruck und Personalmangel führen dazu, dass zu knapp oder missverständlich kommuniziert wird, etwa beim Schichtwechsel. Doch auch hierfür gibt es Lösungsansätze. In einer Studie, die 2014 im NEJM erschien, konnte ein Team um Amy J. Stamer vom Boston Children's Hospital die Zahl medizinischer Fehler allein dadurch senken, dass sie Übergaben trainierten. Ärzte in der Fachausbildung aus den pädiatrischen Stationen neun verschiedener Krankenhäusern absolvierten ein spezielles Kommunikationstraining und erlernten optimale Standards für die schriftliche und mündliche Übergabe von Patienten. Die Quote ihrer Behandlungsfehler verringerte sich dadurch um 23 %. Insgesamt seien zwei von drei gemeldeten schwerwiegenden Behandlungsfehlern mit durch Fehlkommunikation verursacht, schreiben die Autoren der Studie. Die gute Nachricht: Finden Mediziner bei der Kommunikation neue Wege, können sie dadurch leicht den Erfolg ihrer Arbeit – und somit das Wohl von Patienten verbessern. Originalpublikation: Changes in Medical Errors after Implementation of a Handoff Program Amy J. Starmer et al.; N Engl J Med; doi: 10.1056/NEJMsa1405556; 2014