Die „visual number form area“ ist eine Region zur visuellen Verarbeitung von Zahlen im menschlichen Hirn. Diese ist in beiden Hirnhälften aktiv. Mit hochaufgelösten MRT-Aufnahmen der Region wurden Erkenntnisse widerlegt, wonach die Zahlenerkennung nur in der rechten Hemisphäre erfolgt.
Im menschlichen Gehirn herrscht Arbeitsteilung. Auch wenn sich unser Denkorgan durch erstaunliche Flexibilität und Plastizität auszeichnet, übernehmen unterschiedliche Bereiche in der Regel unterschiedliche Aufgaben. Während Wörter und Sprache vorrangig in der linken Hemisphäre verarbeitet werden, ist für das Zahlenverständnis überwiegend unsere rechte Gehirnhälfte zuständig. Diese Arbeitsteilung, so die bisherige Vermutung, sei darin begründet, dass die grundlegenden Prozesse des Erkennens von Buchstaben und Zahlen in ebenfalls unterschiedlichen Hirnhälften lokalisiert sind. Doch das ist nicht der Fall, zumindest nicht, was die visuelle Verarbeitung von Zahlen angeht.
Neurowissenschaftler der Friedrich-Schiller-Universität Jena haben herausgefunden, dass die visuelle Verarbeitung von Zahlen in einer „visual number form area“ (NFA) erfolgt – und zwar in beiden Hirnhälften gleichermaßen. Den Forschern gelangen hochaufgelöste Magnetresonanz-Aufnahmen, die die Aktivität dieser schwer zugänglichen Region im Gehirn gesunder Probanden zeigen und widerlegen damit bisherige Erkenntnisse, wonach die Zahlenerkennung allein in der rechten Hirnhälfte erfolgt. In ihrer Studie hat das Team um Dr. Mareike Grotheer, Erstautorin der Studie, den Versuchsteilnehmern jeweils für Sekundenbruchteile Zahlen, Buchstaben und Abbildungen von Alltagsgegenständen gezeigt und währenddessen ihre Hirnaktivität im MRT aufgezeichnet. Dabei konnten sie die Region, in der die visuelle Verarbeitung von Zahlen abläuft, eindeutig eingrenzen. Das kleine Areal an der Unterseite des linken und rechten Schläfenlappens reagiert bei der Präsentation von Ziffern mit erhöhter Aktivität. Buchstaben oder andere Abbildungen, aber auch verfremdete Zahlen führen zu einer deutlich geringeren Hirnaktivität in diesem Bereich.
Obwohl das Jenaer Team aus vorherigen Untersuchungen anderer Forscher bereits wusste, wo es nach dem Areal suchen musste, steckt in der nun vorgelegten Studie eine Menge Entwicklungsarbeit. „Diese Region war bislang eine Art blinder Fleck im menschlichen Gehirn“, sagt Grotheer. Der Grund: Versteckt unter Ohr und Gehörgang, umgeben von Knochen und Luft, wiesen bisherige MRT-Scans dieses Bereichs zumeist zahlreiche Artefakte auf und verhinderten so detaillierte Untersuchungen. Die Aufnahmen wurden zudem räumlich geglättet und so das übriggebliebene „Rauschen“ entfernt. Mit dieser Methode eröffnen die Neurowissenschaftler jetzt auch anderen Forschern die Möglichkeit für Untersuchungen in dieser bislang „unterbelichteten“ Hirnregion. „Hier werden nicht nur Zahlen erkannt, sondern auch Gesichter und Objekte“, weiß Prof. Dr. Gyula Kovács vom Institut für Psychologie der Uni Jena. Originalpublikation: Neuroimaging Evidence of a Bilateral Representation for Visually Presented Numbers Mareike Grotheer et al.; The Journal of Neuroscience, doi: 10.1523/JNEUROSCI.2129-15.2016; 2016