Die spezifische subkutane Immuntherapie für Allergiker ist eine etablierte Behandlungsform. Wie sie genau durchgeführt wird, hängt davon ab, wo man lebt. Eine Studie zeigt: In Nordamerika wird ganz anders therapiert als in Europa.
Seit über 100 Jahren werden Menschen mit saisonaler oder dauerhafter allergischer Rhinitis, IgE-bedingtem Asthma oder Insektengiftallergien mit subkutanen Allergen-Injektionen (SCIT) behandelt. Die Methoden für die spezifische Immuntherapie haben sich im Laufe der Jahrzehnte regional sehr unterschiedlich entwickelt. In Nordamerika geht man völlig anders vor als in Europa, wie eine aktuelle Studie zeigt. Ist das gut, schlecht oder sogar egal?
Auf beiden Seiten des Ozeans wird die spezifische subkutane Immuntherapie für Allergiker empfohlen, die unter saisonaler allergischer Rhinitis, allergischem Asthma oder systemischen Reaktionen auf Hymenopteren-Stiche leiden, und bei denen eine IgE-Sensibilisierung auf spezifische Allergene vorliegt. Zu Beginn der Therapie werden höhere Allergen-Verdünnungen gewählt und über ein bis drei Monate hinweg in kurzen Abständen nach und nach erhöht, bis eine Erhaltungsdosis erreicht wird, die etwa drei Jahre lang im Abstand von einigen Wochen verabreicht wird. Bei saisonalem Heuschnupfen ist es auch möglich, die Immuntherapie in drei jährlichen Zyklen mit Pausen dazwischen durchzuführen.
Der Hauptunterschied in der Behandlung besteht darin, dass in den USA wässrige Allergen-Extrakte von meist mehreren Arten von Pollen, Schimmelpilzsporen, Hausstaubmilben und Säugetier-Epidermisallergenen vor Ort vom Fachpersonal für jeden Patienten je nach Bedarf individuell miteinander gemischt und dann verabreicht werden. In Mitteleuropa werden dagegen fast ausschließlich Fertigprodukte einzelner Allergene, z. B. Pollen eines einzelnen Baumes, Grases oder einer Hausstaubmilben-Art, oder vorgefertigte Gemische verwandter Allergene eingesetzt. In Deutschland regelt die Therapieallergene-Verordnung (TAV) seit 2008 die Verwendung häufig genutzter Allergenmischungen für die spezifische Immuntherapie, seitdem sind nur bei seltenen Allergien Ausnahmen möglich. Die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der am häufigsten verwendeten Therapieallergene wird damit sichergestellt.
Es ist unklar, ob multiple Pollenextrakte, wie sie in den USA verwendet werden, bessere Ergebnisse erzielen als die Immuntherapie mit ein oder zwei Pollenarten. Dr. Susanne Thum-Oltmer, Leiterin der Abteilung Medizinische Wissenschaft bei Allergopharma, weist jedoch darauf hin: „Bei Mischungen von zu vielen verschiedenen Allergenen besteht neben einem Verdünnungseffekt die Gefahr von Wechselwirkungen, z. B. können Schimmelpilzallergene mit enzymatischer Aktivität andere Allergene degradieren.“
In Europa liegen die meisten Allergenextrakte als Alum-Präzipitat vor (d. h. mit Aluminiumhydroxid als Adjuvans), nur Insektengiftallergene werden als wässrige Extrakte verwendet. Außerdem gibt es eine Reihe von modifizierten Allergenen, den sogenannten Allergoiden. Bei ihnen sind die IgE-bindenden Epitope reduziert, so dass das allergene Potential geringer ist. Dadurch sind sie trotz eines höheren Allergengehaltes ebenso gut verträglich wie native Allergenprodukte. Trotzdem sind ausreichend Bindungsstellen für T-Zellen vorhanden, sodass die Immunogenität erhalten bleibt. Ihre Verwendung ist innerhalb Europas sehr unterschiedlich: In Deutschland werden Allergoide häufig eingesetzt, während sie beispielsweise in Skandinavien unüblich sind.
Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo die sublinguale Therapie gegen Hausstaubmilben nur für die allergische Rhinitis zugelassen ist, werden in Europa auch Asthmatiker damit behandelt. Während die sublinguale Therapie in Frankreich, den Niederlanden und Italien weit verbreitet ist, findet sie in Deutschland und Spanien seltener Anwendung. Thum-Oltmer sagt: „Obwohl es einfacher erscheint, täglich eine Tablette zu nehmen, anstatt sich über drei Jahre hinweg immer wieder beim Arzt eine Spritze geben zu lassen, gibt es eine Reihe von Studien, in denen eine mangelnde Therapieadhärenz bei den Patienten beobachtet wurde. Sowohl bei der subkutanen wie auch der sublingualen Therapie bröckelt sie über die Jahre ab.“
Der Knackpunkt scheint nach drei Jahren erreicht zu sein, wie die Expertin erklärt: „In einer deutschen Studie war die Therapieadhärenz im dritten Jahr aber bei der perennialen subkutanen Therapie mit Pollenextrakt mit 42-60 Prozent wesentlich höher als bei der sublingualen Therapie, bei der nur 16 Prozent erreicht wurden. Hier scheint der direkte Kontakt zum Arzt ein entscheidender Faktor zu sein. Relativ häufige Nebenwirkungen sind bei beiden Methoden Jucken und Schwellungen, aber das ist sporadisch am Arm vermutlich leichter zu tolerieren als bei einer täglichen Tabletteneinnahme in der Mundhöhle.“ Welches Verfahren besser funktioniert, ist durch klinische Studien noch nicht ausreichend belegt.
Außer den klinischen Symptomen ist für den Beginn einer Immuntherapie auch der Nachweis einer IgE-Sensibilisierung erforderlich. In den USA wird dafür neben dem Prick-Test häufig auch ein intradermaler Test zur Titration des Allergens oder nach negativem Prick-Ergebnis verwendet. In Europa ist die intradermale Testung unüblich, weil sie als zu unspezifisch und mit mehr Nebenwirkungen behaftet gilt. Hierzulande wird zusätzlich häufig allergenspezifisches IgE im Serum nachgewiesen, denn manchmal führt eine Kreuzreaktivität im Prick-Test zu einer breiten Reaktion von fraglicher klinischer Relevanz, z. B. bei Profilinen oder Procalcinen aus Pollen. Dies kann durch eine In-vitro-Testung näher spezifiziert werden. Auch Provokationen an der Nase oder Lunge werden in Europa häufiger durchgeführt.
Derzeit sind alle eingesetzten Allergene natürlicher Herkunft und zeigen von Charge zu Charge Variationen. „Aus diesem Grund ist die Herstellung von Allergenextrakten ein sehr komplexer Prozess“, sagt Thum-Oltmer. Beispielsweise kommt es je nach Kultivierung zu großen Unterschieden bei Schimmelpilzextrakten. Speziell aufgereinigte oder rekombinant hergestellte Allergene waren den natürlichen Extrakten in klinischen Studien bislang jedoch nicht eindeutig überlegen.
In den USA stellen vier lizensierte Firmen zusammen hunderte von Allergenextrakten aus verschiedenen Quellen her, von denen nur 19 Produkte im Hinblick auf ihre biologische Aktivität standardisiert sind. Für die Gewinnung der Allergene gibt es dort keine gesonderten Vorschriften, nur für die Extraktionsmethode. In Europa gibt es hingegen eine Vielzahl von Vorschriften zur Standardisierung für die Bestimmung von Hauptallergengehalten in Extrakten. Deshalb wurde 2001 von der EU das CREATE-Projekt ins Leben gerufen („Development of certified reference materials for allergenic products and validation of methods for their quantification“). Damit soll ein Vergleich der Hauptallergengehalte von Produkten zur Hyposensibilisierung verschiedener Hersteller ermöglicht werden. 2014 wurde es verlängert (BSP090 Projekt) und zwei rekombinante Birken-Allergene als Referenzstandards definiert, deren Verwendung jedoch – noch – optional ist.
Unabhängig von den verwendeten Applikationsformen stellt Thum-Oltmer fest: „Deutlich unter zehn Prozent der Rhinitiker und Asthmatiker bekommen eine spezifische Immuntherapie. Das ist zu wenig, wenn man bedenkt, dass damit das Auftreten oder eine Verschlechterung von Asthma vermieden werden kann und weniger Neusensibilisierungen gegen weitere Allergene auftreten. Diagnostik und Therapie sind aufwendig, aber die spezifische Immuntherapie ist von großem Nutzen für die Patienten.“
Die Erfahrung zeigt also, dass die Hyposensibilisierung trotz erstaunlich großer Unterschiede hier wie dort funktioniert. Die Tatsache, dass trotz der Variabilität der für die Allergenextrakte verwendeten Naturprodukte und unterschiedlicher Verabreichungsformen und -schemen weltweit gute Erfolge bei der Hyposensibiliserung erzielt werden, macht deutlich, dass es sich bei der Medizin um keine exakte Wissenschaft handelt, sondern dass die Methoden durchaus dehnbar sind und manchmal viele Wege zum Ziel führen.
Artikel von Karen Zoufal
Bildquelle: Helena Yankovska, unsplash