Die Einnahme von Protonenpumpeninhibitoren (PPI) ist womöglich mit einem erhöhten Risiko für chronische Nierenerkrankungen verknüpft. Die bisher als gut verträglich geltenden Magensäure-Hemmer sind in letzter Zeit aufgrund diverser Nebenwirkungen in die Kritik geraten.
Eine am 11. Januar in JAMA [Paywall] Internal Medicine erschienene Studie gibt aktuell Anlass, einen allzu sorglosen Einsatz von Protonenpumpeninhibitoren zu überdenken. In ihrer Untersuchung beobachteten Wissenschaftler der Johns Hopkins University in Baltimore eine Assoziation zwischen der Einnahme von PPI und chronischen Nierenerkrankungen (CKD). PPI zählen zu den häufig verordneten Arzneimitteln und auch als OTCs gelten sie in Apotheken als Kassenschlager: Betrachtet man die zurückliegenden 20 Jahre, steigerten sich die Verordnungen nach Anzahl der Packungen um das 19-Fache. Die neue Studie wirft nun die Frage auf, ob der breitflächige Einsatz von Protonenpumpenhemmern angesichts der potenziellen Risiken gerechtfertigt ist. Für die vorgelegte Studie [Paywall] zog das Forscherteam um Dr. Morgan Grams zwei Quellen heran: Die erste Kohorte entstammte der Beobachtungstudie „Atherosclerosis Risk in Communities“(ARIC) und umfasste 10.482 Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren. Die Patienten wurden über einen Zeitraum von 14 Jahren hinweg regelmäßig untersucht. Von insgesamt 322 Teilnehmern, die zu Beginn der Untersuchung Magensäure-Blocker einnahmen, erkrankten 56 an chronischem Nierenversagen. Dies entspricht einer Inzidenzrate von 14,2 Nierenerkrankungen auf 1.000 Personenjahre. Von 10.160 Teilnehmern, die keine PPI einnahmen, erkrankten 1.382 Personen an chronischem Nierenversagen (CKD), was einer Inzidenzrate von 10,7 auf 1.000 Personenjahre entspricht. Diesen Ergebnissen folgend, lag das absolute Erkrankungsrisiko über 10 Jahre bei den PPI-Anwendern bei 11,8 %, wohingegen von den Nicht-Anwendern nur 8,5 % mit einer CKD innerhalb von 10 Jahren rechnen mussten. Grams Forscherteam konnte seine Ergebnisse [Paywall] mit den Auswertungen aus der zweiten Kohorte zusätzlich untermauern: Diese Gruppe enthielt Daten von insgesamt 248.751 Versicherten des Geisinger Health Systems aus Pennsylvania, die über sechs Jahre hinweg ausgewertet wurden. Von den 16.900 PPI-Anwendern erkrankten 1.921 an einer chronischen Niereninsuffizienz, während auf 231.851 Nicht-Anwender 28.226 CKD-Fälle kamen. Das absolute Erkrankungsrisiko über 10 Jahre betrug somit für Patienten mit Magensäure-Hemmern 15,6 %, während es sich für die Vergleichsgruppe ohne PPI auf 13,9 % belief.
Darüber hinaus fiel den Wissenschaftlern aus Baltimore eine Beziehung zwischen der eingenommenen Dosis und den aufgetretenen Nierenerkrankungen auf: Patienten, die zweimal täglich Protonenpumpeninhibitoren schluckten, wiesen ein höheres Risiko für ein chronisches Nierenversagen auf als Studienteilnehmer, die nur eine Dosis am Tag einnahmen. Die beobachtete Dosis-Wirkungs-Beziehung ist nicht zuletzt auch deswegen von Bedeutung, da sie eine mögliche – und bislang noch nicht bewiesene – Kausalität zwischen der Einnahme von PPI und dem Auftreten einer chronischen Niereninsuffizienz untermauert. Dass Protonenpumpenhemmer eine ursächliche Rolle hierfür spielen könnten, deutete auch der Vergleich mit H2-Rezeptorantagonisten an: Auch hier hatten PPI-Anwender ein höheres Erkrankungsrisiko als Patienten, die zur Hemmung der Magensäure H2-Blocker erhielten. Letztere hemmen die Magensäureproduktion weniger stark als PPI. Die Autoren der neuen Studie kommentieren ihre Ergebnisse wie folgt: „Wir merken an, dass es sich bei unserer Studie um eine Beobachtungsstudie handelt, die keine Evidenz für eine Kausalität liefert. Jedoch könnte ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Einsatz von PPI und CKD angesichts des breitflächigen Einsatzes einen beachtlichen Effekt auf die Gesundheit der Bevölkerung haben.“ Und weiter: „Mehr als 15 Millionen Amerikaner nahmen in 2013 verschriebene PPI ein, mit entstehenden Kosten von mehr als 10 Milliarden US-Dollar. Studienergebnisse lassen vermuten, dass 70 % dieser Verschreibungen ohne Indikation erfolgen und dass 25 % der PPI Langzeitanwender die Therapie beenden könnten, ohne Beschwerden zu entwickeln.“
Protonenpumpeninhibitoren reduzieren die Bildung von Magensäure, indem sie die Protonen-Kaliumpumpe in den Belegzellen des Magens blockieren. Die ersten PPI erhielten in Deutschland 1989 die Zulassung. Aktuell sind insgesamt fünf Wirkstoffe dieser Arzneimittelgruppe auf dem deutschen Markt zugelassen:
Die verschiedenen Wirkstoffe widmen sich im Prinzip den gleichen therapeutischen Einsatzgebieten, wie der Behandlung und Prävention von Ulzera des Magens und des Zwölffingerdarms, der gastroösophagealen Refluxkrankheit sowie dem seltenen Zollinger-Ellison-Syndrom. Zur kurzzeitigen Behandlung von Sodbrennen sind zudem seit 2009 Omeprazol und Pantoprazol in kleinen Packungen auch rezeptfrei erhältlich. Seit Markteinführung hat sich der Einsatz von PPI nicht nur in Deutschland rasant gesteigert, auch in anderen Ländern lässt sich eine gewaltige Verschreibungswelle dieser Wirkstoffklasse beobachten. So zählen PPI etwa in den USA zu den meistverschriebenen Arzneimitteln: Alleine im Jahr 2013 nahmen rund 15 Millionen US-Bürger PPI ein. Eine Hauptrolle für die steigende Anzahl von Verordnungen spielt dabei sicher das bisher gute Image der PPI in puncto Sicherheit und Verträglichkeit.
In den vergangenen Jahren lieferten verschiedene Untersuchungen jedoch Hinweise, dass das Nebenwirkungsspektrum von Protonenpumpeninhibitoren möglicherweise unterschätzt wird. Wissenschaftler diskutieren etwa, ob der Einsatz von PPI mit einem erhöhtem Risiko von Pneumonien und Clostridium difficile-Infektionen einhergeht. Beweise für einen ursächlichen Zusammenhang liegen bislang jedoch nicht vor. Im Gegensatz dazu mehren sich allerdings die Hinweise für eine Kausalität zwischen den langfristigen Einnahmen von PPI und einem erhöhten Risiko für osteoporotisch bedingte Knochenfrakturen infolge eines Kalziummangels. Andere Studien legen nah, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Dauereinnahme von Protonenpumpenhemmern und einem schwerwiegenden Magnesiummangel gibt, der teilweise ernsthafte Folgen, wie Herzrhythmusstörungen und Krampfanfälle, mit sich bringen kann. Auch mögliche Rebound-Effekte nach längeren Behandlungsphasen werden diskutiert.
Zweifelsfrei kommt Protonenpumpeninhibitoren ein großer Nutzen in der Behandlung bestimmter Erkrankungen zu. So empfiehlt die aktuelle Leitlinie zur gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) ihren Einsatz in Form einer Intervalltherapie, unter Umständen aber auch längerfristig. Auch gilt nach derzeitigem Stand eine begleitende Gabe von PPI während einer antibiotischen Eradikationstherapie bei Helicobacter pylori-Infektionen als Standard. Für Patienten, die dauerhaft traditionelle nichtsteroidale Antirheumatika (tNSAR) einnehmen und die mindestens einen weiteren Risikofaktor (z. B. Alter, Komedikation) aufweisen, überwiegt in aller Regel der Nutzen der PPI gegenüber den Risiken. Probleme sehen Forscher jedoch angesichts der aktuellen Studienergebnisse bei der massenhaften Verschreibung von PPI ohne derartige Gründe. Die Wissenschaftler Jacob Schoenfeld und Deborah Grady der University of California, San Francisco, äußerten sich zum Einsatz der PPI so: „Eine große Anzahl von Patienten nimmt PPI ohne ersichtlichen Grund – häufig wegen mäßiger Symptome von Verdauungsstörungen oder Sodbrennen, die seitdem von selbst wieder verschwunden sind. Bei diesen Patienten sollten PPI abgesetzt werden, um zu eruieren, ob eine symptomatische Behandlung notwendig ist.“ Kein Wunder also, dass auch die Wissenschaftler aus Baltimore im Zusammenhang mit ihrer nun veröffentlichten Publikation darauf hinweisen, dass „tatsächlich bereits Rufe laut werden, den unnötigen Einsatz von PPI zu reduzieren“. Ob Ärzte und Patienten diesem Ruf nachkommen werden, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. Originalpublikation: Proton Pump Inhibitor Use and the Risk of Chronic Kidney Disease [Paywall] Benjamin Lazarus et al.; Internal Medicine, doi: 10.1001/jamainternmed.2015.7193; 2016