Viele Frauen sind ungewollt kinderlos, weil die Schilddrüse Probleme macht. Aber: „Die Schilddrüsenfunktion jeder Frau kann so eingestellt werden, dass von dieser Seite kein Hindernis mehr besteht, schwanger zu werden“, sagt Schilddrüsen-Experte Dr. Schützler.
Nicht nur Geschlechtshormone beeinflussen die Fruchtbarkeit. Auch Schilddrüsenhormone haben gravierende Auswirkungen auf den Stoffwechsel des gesamten Körpers – auch auf die Entwicklung der Eizellen, die Implantation und die frühe fetale Entwicklung. Gibt es mit der Schilddrüse Probleme, hat das Folgen: Erkrankungen und Schilddrüsenperoxidase-Autoantikörper (TPO-Ak) stehen mit einer gestörten Follikulogenese, Spermatogenese, Befruchtung und Embryogenese im Zusammenhang. In den Reproduktionsorganen werden Rezeptoren und Transporter für Schilddrüsenhormone sowie Deiodinasen exprimiert, wie eine italienische Studie aus dem Jahr 2014 zeigt. Diese Erkenntnis unterstreicht zusätzlich, wie wichtig Schilddrüsenhormone im Zusammenhang mit der Fertilität und der frühen Schwangerschaft sind. Ab wann wird ein unausgeglichener Schilddrüsenhormonhaushalt kritisch und wie steuert der Arzt optimal entgegen?
In ihrem Artikel „Schilddrüse, Fertilität und Schwangerschaft“ weisen C. Bullmann und T. Minnemann darauf hin, dass der Referenzbereich für Thyrotropin (TSH) kontrovers diskutiert wird. Ab einem TSH von 2,5 mIU/l werden gehäuft Autoantikörper gegen Schilddrüsenproteine gefunden, sodass einige Labore einen oberen Grenzwert von 2,5 mIU/l festgelegt haben. Der Normverteilungskurve nach liegt der obere Referenzbereich jedoch bei 4,2 mIU/l. Frauen, die mehr als ein Jahr lang erfolglos versucht hatten, schwanger zu werden, hatten durchschnittlich häufiger TSH-Werte über 2,5 mIU/l. Auch ein über längere Zeit bestehender TSH-Wert unter 0,09 mIU/l dürfte bei den meisten Frauen ungünstig für die Entstehung einer Schwangerschaft sein, da eine Hyperthyreose die Nidation stört. Die Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blut spiegelt nicht zwangsläufig ihre zelluläre Verfügbarkeit und Aktivität wider. Auch Dr. Werner Schützler, Facharzt für Radiologie mit Nuklearmedizin, hat dies beobachtet und stellt dazu folgenden Vergleich an: „Wenn die Autobahn voller Möbellaster ist, heißt das noch nicht, dass es in den Geschäften auch Möbel zu kaufen gibt.“ Dabei stehen die Möbel sinnbildlich für die Schilddrüsenhormone, die Konzentration der Schilddrüsenhormone im Blut wird mit einer Autobahn und die zelluläre Verfügbarkeit mit Geschäften verglichen. Schützler hat die Erfahrung gemacht, dass jeder Mensch seinen eigenen TSH-Referenzbereich hat. Allgemein gelte, dass ein am Tag ermittelter TSH-Wert über 2,5 mIU/l bei jeder Frau mit Kinderwunsch korrigiert werden sollte. TSH-Konzentrationen im unteren Referenzbereich seien für die Entstehung einer Schwangerschaft grundsätzlich besser. Nachts im Schlaf steigt der TSH-Wert an, bis zu 25 mIU/l gelten als normal. Laut Schützler gibt es Frauen, die am Tag zwar einen normalen TSH-Wert haben, nachts aber Werte über 25 mIU/l erreichen. Diese würden von einer Substitution profitieren. Exogene Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle: „Wenn ein hervorragendes Spermiogramm vorliegt, dann wird eine Schwangerschaft auch bei leicht gestörten Werten eintreten. Bei schlechtem Spermiogramm sollte jedoch versucht werden, optimale Werte zu erzielen.“
Fehlfunktionen der Schilddrüse betreffen überwiegend Frauen. Schätzungen zufolge besteht bei 44 % aller Frauen im gebärfähigen Alter ein Jodmangel. Bei manifesten Störungen der Schilddrüsenfunktion sind sowohl die Konzentrationen von TSH als auch von T3 (Triiodthyronin) und T4 (Thyroxin) verändert. Sie gehen eindeutig mit Zyklusstörungen einher, treten mit Prävalenzen bis 0,5 % aber eher selten auf. Häufiger hingegen sind subklinische oder latente Schilddrüsendysfunktionen, bei denen sich nur eine isolierte Veränderung des TSH zeigt. Laut Colorado-Studie sind etwa 8 % der fertilen Frauen von einer Hypothyreose betroffen, aus der NHANES III Studie ergab sich eine Prävalenz von 5,8 %. Eine Hypothyreose wird oft durch Autoantikörper verursacht. Schilddrüsen-Autoimmunität betrifft bis zu 20 % der Frauen im gebärfähigen Alter und ist damit die häufigste Autoimmunerkrankung in dieser Gruppe. Daten der NHANES III Studie zufolge haben 10,4 ± 0,5 % der Bevölkerung Antikörper gegen Thyreoglobulin und 11,3 ± 0,4 % gegen Schilddrüsenperoxidase (TPO-Ak). Das relative Risiko für Infertilität ist bei euthyreoten Patientinnen mit TPO-Ak durchschnittlich 2,1- bis 3,2-fach höher verglichen mit Frauen ohne TPO-Ak. Auch die Fehlgeburtenrate ist bei euthyreoten Frauen mit TPO-Ak erhöht. Steuerung der Sekretion von Schilddrüsenhormone durch den thyreotropen Regelkreis. © W. Schützler
Schützler wurde schon häufig nach einer Standardbehandlung gefragt. Die gibt es seiner Ansicht nach aber nicht: „Für die Therapie von Schilddrüsendysfunktionen gibt es kein ,Kochrezept'“, erklärt er und betont, dass eine eingehende Untersuchung, besonders aber die Befragung der Patienten in Bezug auf klinische Symptome von herausragender Bedeutung ist. Als Spezialist mit großem Erfahrungsschatz verlässt er zuweilen bewusst den konventionellen Behandlungsrahmen und toleriert auch Laborwerte außerhalb des Normbereiches, solange keine klinischen Symptome evident werden. Gute Erfolge bei unerfülltem Kinderwunsch hat er mit sehr individuellen Therapien unter der Gabe von T3 bzw. T3/T4-Kombipräparaten gemacht. „T3 macht schwanger, T4 erhält die Schwangerschaft“, erklärt Schützler. Er beschreibt T3 als einen Prolaktin-Antagonisten, der den Pulsgenerator für die Sexualfunktionen aktiviert: „Ein gezielt eingesetzter T3-Impuls in den Morgenstunden, dessen Intensität individuell auf die Bedürfnisse der Frau zugeschnitten sein muss, kann die Fertilität entscheidend steigern.“ Da das System pulsatil arbeitet, ist die Messung einzelner Werte unter Umständen wenig aufschlussreich. Schützler vergleicht dies mit einer punktuellen Voltmessung an einer Wechselstromdose: „Der Referenzbereich von 0-220 Volt wäre normal. Aber ein gemittelter Wert von 110 Volt als Angabe für die Leistung, die man der Steckdose entnehmen könnte, wäre falsch.“ Weiter weist er darauf hin, dass T3 in sehr kleinen Schritten dosiert werden muss, da es im Gegensatz zu T4 eine schnelle und starke Wirkung entfaltet.
Dr. Schützler mit seiner Enkelin. Die Mutter leidet an einer Hashimoto-Thyreoiditis, die Schwangerschaft trat bei einer Therapie mit einem T3/T4-Kombipräparat ein. © W. Schützler Mit der Verschreibung von T3 geht er einen anderen Weg als die meisten seiner Kollegen, z. B. Bullmann und Minnemann, die feststellen: „Im Falle einer geplanten oder bestehenden Schwangerschaft ist von einer kombinierten Schilddrüsenhormonsubstitution abzuraten, da die Einstellung aufgrund der schnellen TSH-Suppression durch den T3-Anteil schwieriger zu beurteilen ist.“ Der thyreotrope Regelkreis unterliegt einer zirkadianen Rhythmik. TSH- und T3-Spiegel weisen einen Tagesrhythmus mit nächtlichem Peak auf. Aus diesem Grund müssen Schilddrüsenhormone morgens eingenommen werden, damit ihre optimale Wirkung gewährleistet ist. Die Bedeutung der molekularen Uhr für die weibliche Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse ist in der Reproduktionsphysiologie allgemein akzeptiert: Nahezu jede Funktion dieser Achse unterliegt direkt oder indirekt der Kontrolle des zirkadianen Rhythmus. Epidemiologische Untersuchungen und tierexperimentelle Studien deuten darauf hin, dass das Timing der Reproduktionszyklen beeinträchtigt wird, wenn der Hell-Dunkel-Zyklus akut (Jetlag) oder chronisch (Schichtarbeit) verschoben ist. Beispielsweise wurden einer amerikanischen Studie zufolge bei Frauen in Schichtarbeit weniger reife Eizellen gefunden als bei Frauen, die nur am Tag arbeiteten. Als wesentlichen Lebensstilfaktor, durch den Frauen ihre Fruchtbarkeit beeinflussen können, nennt Schützler dementsprechend einen regelmäßigen Tagesablauf sowie das Vermeiden von künstlichem Licht mit einem hohen Blaulichtanteil. Er geht davon aus, dass sich Schwankungen der Körpertemperatur im Tagesverlauf auf die Fruchtbarkeit auswirken. Seiner Meinung nach kann eine Frau, die bei größerer Zeitverschiebung längere Zeit im Ausland war, nach ihrer Rückkehr nicht damit rechnen, sofort schwanger werden zu können, weil ihre Zirkadianrhythmik gestört ist. Er sagt: „Wenn eine Frau nach Tokio fliegt, dann ist ihr Jetlag nach drei Tagen weg. Aber die Körpertemperatur bleibt wochenlang wie zuvor am Tag bei 36 °C und steigt in der Nacht auf 37 °C an.“ Die Schilddrüsenhormone vermitteln dem Körper den Takt der Sonne, die weiblichen Sexualhormone arbeiteten im Takt des Mondes. Die Überlagerung dieser Taktgeber bestimmt die Fertilität. Wenn eine Frau schwanger werden will, dann sollten die Schilddrüsenhormone im richtigen Takt arbeiten. Laut Schützler reicht es nicht aus, nur zu überprüfen, ob der TSH-Wert im offiziellen Referenzbereich liegt. Neben einer individualisierten Therapie wirbt er für Lebensstiländerungen, die einen regelmäßigen Tagesrhythmus und Entschleunigung umfassen.