Trotz zahlreicher Proteste der Ärzteschaft sind Terminservicestellen mittlerweile am Start. Standesvertreter wünschen sich, Hermann Gröhe (CDU) hätte die Bedarfsplanung optimiert – oder Maßnahmen gegen unzuverlässige Patienten getroffen.
Am 25. Januar fiel in allen Kammerbezirken der Startschuss für Terminservicestellen. Laut GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) müssen KVen Facharzttermine innerhalb von vier Wochen an Patienten mit einer entsprechend gekennzeichneten Überweisung vermitteln. Um den Datenabgleich etwas zu vereinfachen, steht ihnen eTerminservice zur Verfügung: ein Tool der KV Telematik GmbH. Sollten alle Vermittlungsversuche scheitern, bleiben noch Konsultationen im Krankenhaus. Macht dieses Prozedere Sinn? Das bezweifeln Standesvertreter aus vielen Kammerbezirken.
„Natürlich kommen wir dem gesetzlichen Auftrag zur Einrichtung einer Terminservicestelle vollumfänglich nach und werden sie so effizient wie möglich umsetzen“, sagt Walter Plassmann, Vorstandvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg. „Doch sind wir davon überzeugt, dass eine solche zentrale Terminvermittlungsstelle hier in Hamburg keine signifikanten Vorteile für die Patienten mit sich bringen wird.“ Schon jetzt erhalten Patienten in dringlichen Fällen Facharzttermine schneller, als von Hermann Gröhe vorgesehen – durch Vermittlung ihres Hausarztes. „Deshalb empfehlen wir den Patienten, auch in Zukunft ihre Termine auf die herkömmliche, bewährte Methode zu vereinbaren und auf die Terminservicestelle nur im absoluten Notfall zurückzugreifen“, erklärt Plassmann.
Viele Menschen haben aber den Wunsch, von bestimmten Ärzten behandelt zu werden. „Dieses Problem wird die Terminservicestelle nicht lösen können, weil der Tag der Kollegen ja auch nur 24 Stunden hat“, gibt Dr. Andreas Gassen zu bedenken. Er ist Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Dr. Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, gibt ihm Recht: „Wenn ein Patient einen Termin bei dem Arzt seines Vertrauens haben möchte, dann wird ihm die Terminservicestelle nicht weiterhelfen können.“ Da die meisten aber genau dies möchten, geht die KV Hamburg davon aus, dass Terminservicestellen tatsächlich nur in Anspruch genommen werden, falls Eigenbemühungen von Patienten scheitern, einen Termin beim Wunscharzt zu bekommen. Hofmeister gibt zu bedenken, dass hier die freie Arztwahl partiell außer Kraft gesetzt werde. An vermeintliche Privilegien der Besserverdiener glauben Standesvertreter nicht. Gassen: „So viele Privatpatienten gibt es gar nicht, dass sie die Termine für gesetzlich Versicherte in relevanten Umfang blockieren können.“
Das tun Kassenpatienten schon selbst: „Unsere aktuellen Zahlen belegen, dass wir im Laufe des letzten Jahres zum Beispiel von rund 56.000 Augenarztterminen sprechen. Oder von 80.000 Terminen beim Gynäkologen. Oder mehr als 21.000 beim Hautarzt, knapp 34.000 beim HNO-Arzt und rund 57.000 Termine beim Orthopäden“, erzählt Dr. Eckhard Starke. Er ist Vorsitzender der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen. Starke erklärt die gigantischen Zahlen mit „einzelnen Patienten, die sich mehrfach bedienen“ – ohne gesetzliche Sanktion. Sein Resümee: „Rechnet man jetzt noch die rund zehn Prozent nicht abgesagter Termine dazu, wird deutlich, dass nicht die Zahl vermeintlich zu wenig zur Verfügung stehender Termine das Problem ist, sondern das Verhalten vieler Patienten.“ Stünden die Termine zur freien Verfügung, wären alle Terminservicestellen arbeitslos. Er kritisiert, anstatt sinnvolle Steuerungsmaßnahmen zu konzipieren, nehme der Gesetzgeber niedergelassene Ärzte in die Pflicht. „Und lässt uns – und das ist wirklich die Krönung – diesen Unsinn auch noch selbst bezahlen.“
„Nur beseitigt eine Terminservicestelle nicht die Ursachen, denn sie schafft keine neuen Termine“, ergänzt Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. „Dies könnte nur dann der Fall sein, wenn es entweder mehr Ärzte gibt oder die Ärzte mehr Termine vergeben.“ Metke stört sich an „gesetzlich ausdrücklich gewollten“ Begrenzungen. Bei fachärztlichen Internisten, einer Gruppe mit langen Wartezeiten, dürfe sich schon seit Jahren kein einziger zusätzlicher Arzt niederlassen. Ende 2015 gab es im Kammerbezirk zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten für 8,5 Augenärzte, sieben Frauenärzte, 13,5 Hautärzte und zwei Kinderärzte, und auch nur in wenigen Landkreisen. Kein Einzelfall: „Wir haben schon jetzt zu wenig Nervenärzte, Schmerztherapeuten, Rheumatologen und Augenärzte, um der Patientennachfrage gerecht zu werden“, berichtet Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein. Metke ergänzt: „Der Gesetzgeber gibt zusätzlich vor, dass die Ärzte in jedem Quartal nur ein Kontingent an Patienten zugewiesen bekommen. Behandeln sie mehr, können sie diese Patienten nicht abrechnen. Heute behandeln die Fachärzte insgesamt etwa 15 Prozent ihrer Patienten ohne Vergütung.“
Bei ihrer Argumentation erhalten Standesvertreter Unterstützung von zentraler Stelle. Die Organisation der wirtschaftlichen Staaten (OECD) bescheinigte Deutschland Ende 2015 kurze Fristen bei der Vergabe von Arztterminen. „Im internationalen Vergleich führt Deutschland eine Phantomdebatte über die Wartezeiten“, moniert der stellvertretende Generalsekretär der OECD Stefan Kapferer. Er stört sich eher an der sinkenden Zahl von Hausärzten.