Obwohl die Risikobereitschaft als Teil der Persönlichkeit gilt, kann sie dennoch in bestimmten Lebensphasen zu- oder abnehmen. Veränderungen sind vor allem in jungen Jahren oder im höheren Alter zu beobachten. Auffällig ist, dass Frauen generell weniger risikofreudig sind.
Auch wenn unser Hang zum Risiko im Laufe des Lebens im Durchschnitt abnimmt, so ist dieser besonders im jungen Erwachsenenalter bis etwa 30 Jahre sowie im höheren Alter ab etwa 65 Jahre veränderbar, lautet eines der Ergebnisse einer Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Zusammenarbeit mit der Universität Basel, der Yale University und der Langzeitstudie SOEP, auf deren Daten die Untersuchung beruht. Die Studie zeigt Veränderungen in der individuellen Risikobereitschaft über die Zeitspanne von bis zu zehn Jahren in verschiedenen Lebensbereichen auf. Die beteiligten Wissenschaftler vermuten, dass insbesondere diese frühen und späten Lebensphasen von individuellen kognitiven und biologischen Veränderungen sowie einflussreichen Lebensereignissen – wie beispielsweise Heirat oder Renteneintritt – geprägt sind. Das könnte Einfluss auf die individuelle Stabilität der Risikoneigung haben.
Vor allem in den Lebensbereichen Arbeit und Freizeit sind die Veränderungen im Durchschnitt am deutlichsten. Dort sinkt die Bereitschaft, Risiken einzugehen, im Laufe des Lebens am stärksten. Auffällig ist, dass sich die Risikopräferenzen im sozialen Bereich mit dem Alter kaum verändern. Dies bestätigt auch ein studienbegleitendes Verhaltensexperiment. Es zeigt, dass sich die Bereitschaft, fremden Menschen zu vertrauen, mit dem Alter kaum verändert. „Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass im Vergleich zu den Bereichen Arbeit und Freizeit die Wichtigkeit des sozialen Lebensbereiches über die gesamte Lebensspanne gleich bleibt oder sogar mit dem Alter durch das Ausdünnen sozialer Netzwerke zunimmt“, sagt Erstautorin der Studie Anika Josef vom Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung. Insgesamt betrachtet, sind Frauen in allen Bereichen und über die Lebensspanne hinweg weniger risikofreudig als Männer. Auf individueller Ebene analysierten die Wissenschaftler außerdem den Zusammenhang der Risikoneigung mit Persönlichkeitsmerkmalen wie Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit, Neurotizismus und Extraversion. Dabei zeigt sich, dass die individuelle Risikoneigung in Zusammenhang mit den Persönlichkeitsmerkmalen Extraversion und Offenheit für Erfahrungen steht. „Das heißt, wird eine Person im Laufe ihres Lebens offener beziehungsweise extravertierter, so nimmt auch deren Bereitschaft, Risiken einzugehen, zu – und umgekehrt“, erklärt Co-Autor David Richter (SOEP).
„Die Risikobereitschaft kann als Persönlichkeitsmerkmal gesehen werden, das im Laufe unseres Lebens Veränderungen unterliegt. Diese Veränderungen können von Lebensbereich zu Lebensbereich aber ganz unterschiedlich verlaufen“, ergänzt Co-Autor Rui Mata, Assistenzprofessor und Leiter des Zentrums für „Cognitive and Decision Sciences“ an der Universität Basel. „Interessant ist zudem, dass individuelle Veränderungen über die Zeit mit Veränderungen bekannter Persönlichkeitsmerkmale zusammenhängen“, sagt Rui Mata. In die Studie gingen Längsschnittsdaten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ein. Für den Zeitraum von 2004 bis 2014 wurden die Angaben von 44.076 Personen zwischen 18 und 85 Jahren, davon 52 Prozent Frauen, analysiert. Die Befragten beantworteten bis zu neunmal Fragen zu ihrer generellen Risikobereitschaft. Zusätzlich gaben 11.903 Personen bis zu dreimal Auskunft bezüglich ihrer Einstellung zu Risiken in Bezug auf verschiedene Lebensbereiche wie Finanzen, Freizeit, Arbeit, Gesundheit, Soziales und Autofahren. Neben den Selbsteinschätzungen der Risikobereitschaft wurden mit Probanden einer weiteren SOEP-Teilstichprobe Verhaltensexperimente durchgeführt, um Risikoverhalten und Vertrauen zu erfassen. Originalpublikation: Stability and change in risk-taking propensity across the adult life span Anika Josef et al.; Journal of Personality and Social Psychology, doi: 10.1037/pspp0000090; 2016