Etwa vier von fünf Männern entwickeln einen anlagebedingten Haarausfall. Derzeit gibt es kaum effektive Therapien. Das könnte sich bald ändern: Ein Immunsuppressivum mit Nebenwirkungen, das zu unerwünschtem Haarwachstum führt, diente Dermatologen als Ideengeber.
Von der androgenetischen Alopezie sind mindestens 40 Prozent aller Männer und 20 Prozent aller Frauen betroffen. Mit zunehmendem Alter schwindet die Haarpracht. Die Mittel zur Therapie sind sehr eingeschränkt: So gibt es beispielsweise Minoxidil. Das Pharmakon führt zur vermehrten Ausschüttung von Wachstumsfaktoren. Bei Männern sind auch orale 5α-Reduktasehemmer wie Finasterid möglich. In der Praxis bleibt der Erfolg aber oft hinter hohen Erwartungen zurück, und Nebenwirkungen führen zum Therapieabbruch. Lange Zeit gab es kaum Innovationen. Das könnte sich mit einer neuen Studie ändern.
Nathan Hawkshaw und Ralf Paus vom Centre for Dermatology Research, University of Manchester, untersuchten eine bekannte Nebenwirkung des Immunsuppressivums Ciclosporin. Bei Patienten kommt es mitunter zu stärkerem Haarwuchs. Forscher isolierten menschliche Haarfollikel und behandelten sie im Labor mit Ciclosporin. Anschließend untersuchten sie, was auf molekularer Ebene passiert. Besonders stark wurde die Expression von SFRP1-Genen verringert. Dessen Produkt, das Secreted frizzled-related protein 1 (SFRP1), steuert viele Aufgaben rund um Zellwachstum und Zellzyklus. Hawkshaw bewertet SFRP1 als molekularen Schalter, um Follikel von der Wachstums- in die Ruhephase zu befördern. Durch Ciclosporin ließ sich der Effekt minimieren. Schön und gut, nur sollte man gesunden Menschen kein starkes Immunsuppressivum geben, nur um den Haarverlust aufzuhalten.
Doch die Gruppe um Hawkshaw fand in der Literatur eine heiße Spur. SFRP1 kommt auch in anderen Gewebetypen vor. Peter Bodine von Wyeth Research zeigte in einer älteren präklinischen Studie, dass sich Inhibitoren gegen das Protein bei Osteoporose eignen. Er hat mit dem Sulfonamid WAY-316606 als experimentellem Wirkstoff gearbeitet. Struktur von WAY-316606 (im Experiment als Hydrochlorid) © pubchem.ncbi.nlm.nih.gov Diesen Gedanken griffen Forscher jetzt auf. Im Labor zeigte WAY-316606 ähnliche Effekte auf Haarfollikel wie Ciclosporin, ohne jedoch immunsuppressiv zu wirken. Beide Moleküle wirken als spezifische Antagonisten des SFRP1-Proteins.
Die Arbeit hat in mehrfacher Hinsicht Potenzial. Hawkshaw und Paus arbeiten mit menschlichen Haarfollikeln, die ihnen 40 Probanden zur Verfügung gestellt haben. Es handelt sich nicht um ein Mausmodell, wie ansonsten üblich. Außerdem klären sie auf, warum Ciclosporin oder WAY-316606 überhaupt funktionieren. Selbst wenn sich kein bekannter Inhibitor therapeutisch eignen sollte, lassen sich Moleküle gegen die Zielstruktur designen. Wie es weitergeht, müssen tierexperimentelle und klinische Studien mit WAY-316606 zeigen. Ein Wermutstropfen bleibt: SFRP1 ist im Körper omnipräsent. Mit Nebenwirkungen ist zu rechnen.