Ein schlechtes Gehör hat viele negative Auswirkungen für den Patienten. Aber kann es auch zu Demenz führen? Eine US-Studie legt das nahe. Wir haben Experten nach ihrer Meinung gefragt.Unter Neurologen sorgte diese Studie der Universität von Baltimore für Aufsehen. Der Publikation zufolge erhöht eine Hörminderung das Risiko dement zu werden enorm. Für die Untersuchung sammelten das Forscherteam um Epidemiologin und Gerontologin Jennifer A. Deal Versicherten-Daten verschiender Krankenkassen. Nach zwei, fünf und zehn Jahren führten sie ein Follow-up durch.
Dabei konnten sie auf eine relativ große Datenmenge zurückgreifen: Nach zwei Jahren lagen 77.000 Datensätze vor, nach 10 Jahren waren es noch 2400. Das Alter und andere Einflussfaktoren auf die Krankheitsentstehung wurden herausgerechnet. Im Vergleich zur Kontrollgruppe hatten schwerhörigen Probanden mit unbehandelter Hörminderung eine um fast 50 Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit dement zu werden.
Zudem stieg das Risiko für Depressionen bei den Probanden mit Hörproblemen um circa 40 Prozent. Und auch die Wahrscheinlichkeit für Knochenbrüche und Infarkte nahm zu. Wie die Zusammenhänge zwischen Hörminderung und Krankheitsfällen zustande kommen, erschließt sich aus der Untersuchung nicht.
Eine 2016 erschienene deutsche Längsschnittstudie kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Darin wurden Daten von circa 150.000 Versicherten der AOK ab einem Alter von 65 Jahren mit einer beidseitigen, unbehandelten Hörminderung von einem Forscherteam des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen in der Helmholtz Gemeinschaft DZNE unter der Leitung von Prof. Dr. Gabriele Doblhammer und Prof. Dr. Stefan Teipel analysiert.
Die Wissenschaftler kommen wie die Kollegen aus Baltimore zu dem Schluss: Das Risiko an einer Demenz zu erkranken, wird durch eine Hörminderung erhöht. Wie lässt sich dieser Zusammenhang erklären?
Bei einer Hörminderung entsteht eine höhere kognitive Belastung, schreiben Frank R. Lin und Marylin Albert im Editorial „Hearing Loss and Dementia – Who’s Listening?“. Die Ursache dafür seien Schäden der Cochlea, die im Alter oftmals für Hörprobleme verantwortlich sind. Werden Geräusche nicht mehr so gut entschlüsselt, müssen Betroffene vermehrt kognitive Ressourcen aufbringen, um Zusammenhänge zu verstehen. Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis stehen so weniger für zusätzliche kognitive Anforderungen zur Verfügung, so die Ansicht der Autoren.
Sie nennen verschiedene ätiologische Faktoren, die sowohl das Hören als auch die kognitiven Fähigkeiten beeinflussen. Dazu gehören das Alter, Risikofaktoren für die Gefäße, beispielsweise Rauchen oder Diabetes sowie soziale Gegebenheiten wie Bildung. Andererseits gibt es auch Mechanismen, die aufgrund von schlechtem Hören indirekt die Kognition beeinträchtigen. Lin und Albert erwähnen in diesem Kontext Veränderungen der Gehirnstruktur und fehlende soziale Interaktion.
Was sagen andere Experten zu den Erkenntnissen? Prof. Dr. Stefan Teipel arbeitet in der klinischen Demenzforschung. Nach derzeitigem Forschungsstand könne schlechtes Hören eine Demenz begünstigen oder eine bereits bestehende verschlechtern, erklärt er im Gespräch. Im Umkehrschluss könne das Korrigieren des Gehörs auch der Entstehung einer Demenz vorbeugen.
Bisher vorliegende Arbeiten beschäftigten sich allerdings nur mit Patienten, die kein Hörgerät trugen. Teipel und seine Kollegen fordern daher weitere Studien. Diese sollen untersuchen, ob das Tragen eines Hörgeräts tatsächlich das Demenzrisiko reduziert. Ein Argument, das gegen das Ausgleichen der Hörminderung spricht, findet Teipel nicht: Ein intakter Gehörsinn trägt zum Erhalt der geistigen Fitness bei, erhöht die Lebensqualität der Patienten allgemein und hat keine Risiken.
Dr. Andreas Lüschow, Leiter der Arbeitsgruppe Kognitive Neurophysiologie an der Charité in Berlin, sieht die Situation ähnlich. „Das Hörgerät schadet nicht und hat keine Nebenwirkungen außer, dass es einmal fiepen oder drücken kann. Ob eine Hörminderung kausal mit einer Demenz zusammenhängt, wissen wir zwar noch nicht. Wir wissen aber, dass jemand der schlecht hört, auch nicht adäquat kommunizieren kann.“ Weniger Interaktion führt dazu, dass die Menschen weniger intellektuell gefördert sind.
Zu wissen wie sich kognitive Abbau-Prozesse frühzeitig verhindern oder zumindest verlangsamen lassen, ist enorm wichtig. Besonders da die Prävalenz der dementiellen Erkrankungen steigt und sie nach wie vor nicht heilbar sind.
Große Hoffnung setzten viele auf die Forschung an monoklonalen Antikörpern gegen Alzheimer, die häufigste Form der primären Demenz. Die Antikörper sollten Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn neutralisieren und so das Fortschreiten von neurokognitiven Defiziten verlangsamen.
Ende März gab die Deutsche Gesellschaft für Neurologie DGN bekannt, dass die Studien zu dem Antikörper Aducanumab in Phase-III abgebrochen wurden. Als Grund nannten die Firmen Biogen und Eisai, dass der primäre Endpunkt − die Wirksamkeit des Stoffes gegen Alzheimer − mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden würde.
„Für die Alzheimer-Forschung ist das ein herber Rückschlag, da es sich um ein bis dato vielversprechendes Medikament handelte, das bei positivem Verlauf bereits 2023 auf dem Markt verfügbar gewesen wäre“, erläuterte Prof. Dr. Dodel, Neurologe an der Universität Duisburg-Essen, in der Pressemitteilung der DGN. Derzeit laufen zwar Studien zu circa 30 Medikamenten mit verschiedenen Therapie-Targets. Ein Durchbruch in der Alzheimer-Therapie ist sobald jedoch nicht mehr zu erwarten.
Das Aus für Aducanumab ist nicht der einzige Rückschlag für die Antikörper-Forschung gegen Alzheimer. Bereits im Januar hatte Roche bekannt gegeben, dass die Studie zu dem Antikörper Crenezumab beendet wurde, wie DocCheck berichtete. Forscher können bisher nur spekulieren, warum Crenezumab und andere Antikörper die erhoffte Wirkung verfehlten. Beispielsweise wird diskutiert, ob Amyloid-Plaques tatsächlich für das Entstehen von Alzheimer verantwortlich sind oder nur ein Symptom der Krankheit sind.
Trotz der ernüchternden Ergebnisse hält der Neurologe Andreas Lüschow den Antikörper-Ansatz nicht für grundsätzlich fasch. Die eingestellten Arbeiten testeten das Medikament an Probandengruppe mit unterschiedlich starken Krankheitsausprägungen, wobei der Krankheitsverlauf teilweise bereits fortgeschritten war. Die Antikörper helfen dagegen eventuell nur bei Einsatz in einem sehr frühen Stadium der Erkrankung. Bei Patienten mit merkbaren kognitiven Einschränkungen ist die Akkumulation von Beta-Amyloid-Plaques womöglich schon zu weit fortgeschritten. Eine über mehrere Jahre angelegte Studie mit einem anderen Aufbau könnte daher, so Lüschows These, zu positiveren Ergebnissen kommen.
So lange die Forschung noch auf geeignete Therapien warten lässt, gibt es dennoch Grund zum Optimismus. So betont Andreas Lüschow, wie sehr der Lebenswandel die kognitiven Fähigkeiten beeinflusst. Patienten sollten vom Arzt zu einem Lebensstil angehalten werden, der den kognitiven Abbau verlangsamt. Dazu gehören unter anderem möglichst wenig Alkohol, ausreichend Bewegung, eine energische Behandlung von Risikoerkrankungen wie Hypertonus und Diabetes mellitus und natürlich eine gute Hörversorgung.
„In der Gedächtnisambulanz der Charité erklären wir den Patienten mit Hörminderung, dass besonders sie ein Hörgerät brauchen. Ansonsten verschlimmern sich die Symptome der Demenz“, sagt Lüschow. Jedoch erlebt der Neurologe immer wieder, dass sich viele − oftmals Männer − schwer damit tun, Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Wie wichtig Aufklärung über den Zusammenhang zwischen Gehörsinn und kognitiven Fähigkeiten ist, verdeutlichen Daten der European Hearing Instrument Manufacturers Association (EHIMA). Alle drei Jahre nimmt der Verband die Versorgung mit Hörgeräten unter die Lupe.
Der Erhebung aus dem Jahr 2018 zufolge wiesen 12,2 Prozent der Deutschen eine verminderte Hörleistung auf − aber nur 37 Prozent von ihnen verfügten über ein Hörgerät. Auch die Zahlen der Patienten, die ein Hörgerät haben, dieses allerdings nicht oder nur sporadisch nutzen, sind hoch. Die Studie „Hearing Loss – Numbers and Costs“ im Auftrag des Bundesverbandes der Hörgeräteindustrie BVHI liefert ähnliche Ergebnisse. Aus dem Bericht geht außerdem hervor, dass durch unbehandelte Hörminderungen und deren Folgeschäden jährliche Kosten in Milliardenhöhe anfallen.
Aufklären können laut der EHIMA vor allem Allgemeinmediziner. Denn die Hausarzt-Praxis ist in vielen Fällen erste Anlaufstelle für Menschen, die schlecht hören. Lin und Albert erklären darüber hinaus, dass Ärzte Patienten proaktiv auf das Thema Hören ansprechen sollten. Menschen wissen zu wenig über die Bedeutung des Gehörsinns, Aufklärung kann daher nicht früh genug kommen.Artikel von Hanna SternBildquelle: Martin Fisch, flickr