Zum 122. Deutschen Ärztetag in Münster berichtet die Ärzte Zeitung mit dem Titel:
Von wegen Nabelschau: Bei der Debatte über Arbeitsbedingungen, die Ärzte krank machen, nahmen Ärztetagsdelegierte das ganze Gesundheitssystem in den Blick.
Repro aerztezeitung online
"Ärzte fordern Arbeitsschutz nicht so ein, wie er ihnen eigentlich zusteht", betonte Professor Monika Rieger, ärztliche Direktorin am Institut für Arbeits- und Sozialmedizin und Versorgungsforschung der Uniklinik Tübingen beim Ärztetag." https://www.aerztezeitung.de/kongresse/aerztetag/article/989272/eigene-gesundheit-aerzte-fordern-arbeitsschutz-selten.html
Von Ärzten werde eine „permanente Verfügbarkeit“ gefordert; „mit einfachen Resilienztricks kommen wir nicht weiter“; „Ich möchte kein System unterstützen, das die Aufopferungsbereitschaft der Kollegen ausbeutet“; so verschiedene Delegierte.
Doch es sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) selbst, welche die schlechten Arbeitsbedingungen im niedergelassenen, vertragsärztlichen Bereich mit diktieren wollen.
So schreibt die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in ihrem aktuellen "KVWL kompakt" 5/2019 auf Seite 20
https://www.kvwl.de/mediathek/kompakt/pdf/2019_05.pdf
"Die Erreichbarkeit in sprechstundenfreien Zeiten ist wie folgt zu gewährleisten:
☆ In den Zeiträumen vor und nach der Sprechstunde und insbesondere in der Mittagspause muss der Vertragsarzt seine Erreichbarkeit so organisieren, dass er in dringenden Fällen für die Patientenversorgung persönlich zur Verfügung steht.
☆ Die persönliche Erreichbarkeit kann nicht durch kollegiale Vertretungsabsprachen ersetzt werden.
☆ Aufgrund des Gebotes der persönlichen Leistungserbringung sind Vertretungen nur zulässig, wenn tatsächlich ein Vertretungsfall wegen urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit vorliegt.
☆ Im Übrigen würden solche kollegialen Absprachen zu unwirtschaftlichen Doppelbehandlungen führen.
☆ In einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) ist es ausreichend, wenn ein Partner oder ein angestellter Arzt die Erreichbarkeit für die Praxis sicherstellt. Ist die BAG fach- oder versorgungsbereichs-übergreifend organisiert, muss jedoch für jedes Fachgebiet bzw. jeden Versorgungsbereich ein Arzt erreichbar sein. Entsprechendes gilt für das Medizinische Versorgungszentrum [MVZ].
☆ Vertragsärzte, die eine Zweigpraxis betreiben, genügen ihrer Verpflichtung, wenn sie für Patienten der Zweigpraxis am Hauptsitz erreichbar sind. Wird eine sogenannte „Versorgerfiliale“ betrieben, muss davon abweichend die Erreichbarkeit auch am Ort der Zweigpraxis sichergestellt werden..." (Zitat Ende).
Als einzige Ausnahme sieht die KVWL nur die Betriebszeiten des vertragsärztlich organisierten zentralen Notfalldienstes (ZND) vor. Nur dann könne "dieser stellvertretend für die Patientenversorgung zur Verfügung" stehen. Es reiche "daher aus, durch den Anrufbeantworter der Praxis auf die zentrale Notdienstnummer 116117 zu verweisen."
Mit einem derartigen Diktat permanenter Erreichbarkeit und totaler Verfügbarkeit, unabhängig von administrativ-bürokratischen, praxis-spezifischen, persönlichen, privaten, kulturellen, rekreativen, sozialpsychologisch bzw. biologisch zwingend notwendigen Alltags-Verrichtungen und Aktivitäten werden Vertrags-Ärztinnen und -Ärzte von offizieller KV-Seite in unwürdige, menschenfeindliche, Pausen- und Arbeitszeiten missachtende Lebens- und Arbeitsbedingungen gezwungen.
Burn-out, Erschöpfung, Frustration, Depression, Deprivation, Verlust bio-psycho-sozialer Reflexions- und Schwingungsfähigkeit, Achtungs- und Aufmerksamkeitsdefizite sind unmittelbare Folgen.
Diese bahnen den Weg zu psycho-physischen Dekompensationen, chronischen Krankheitsentitäten, Genuss- und Substanzmittel-Missbrauch.