Ein neues Portal soll die Meldung von Nebenwirkungen für Ärzte und Patienten erleichtern. Aber eigentlich setzen offizielle Stellen ein entsprechendes Tool bereits ein. Wo ist also der Mehrwert?
Alles begann mit einem persönlichen Erlebnis. Dr. Friderike Bruchmann erkrankte Ende 2015 an einem bakteriellen Infekt. Ihr Arzt verordnete ein Antibiotikum, doch starke Nebenwirkungen waren die Folge. Bruchmann erlitt einen Gesichtsfeldausfall, auf dem rechten Auge konnte sie zeitweise nicht mehr sehen. Nachlesen im Beipackzettel führte nicht weiter, die unerwünschte Arzneimittelwirkung (UAW) war nicht zu finden.
Die Patientin entschied sich, ihren Fall über offizielle Wege melden. Doch das Verfahren, was das Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) anbieten, erwies sich als langwierig und mühevoll.
„Mich stimmte es damals fast ungläubig, dass ich meine Nebenwirkung nicht einfach melden konnte“, sagt die Expertin. Es gebe in vielen Lebensbereichen nutzerorientierte, digitale Serviceleistungen, aber beim wichtigen Thema Arzneimitteltherapiesicherheit bleibe man weit hinter den Möglichkeiten zurück. Je nach Schweregrad werden weniger als fünf Prozent aller UAW gelmeldet. „Deshalb beschloss ich, selbst tätig zu werden“, so Bruchmann.
Zusammen mit Tobias Nendel und Dr. Philipp Naegelein gründete sie daher Ende 2017 die Medikura Digital Health GmbH. Die Gründer bekamen eine sechsstellige Summe zusammen. Unterstützung hatten sie dabei nicht nur von Privatinvestoren, sondern auch vom europäischen Sozialfonds, vom EU-Programm „Horizont 2020“ sowie vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Hinter Medikuras Website nebenwirkungen.de steckt die Idee, alle Prozesse einfach und schnell abzubilden. Als ersten Schritt beschreiben Patienten ihre Beobachtungen möglichst präzise. Digitale Verknüpfungen gibt es zu Ärzten und/oder Apothekern, die ebenfalls beteiligt sind. Alle Daten landen pseudonymisiert und in einem geeigneten Dateiformat über das Portal beim pharmazeutischen Hersteller. Er kann nachfragen, ohne dabei mit Anfragen, Mails oder Briefen Zeit zu verlieren.
Diese Basisfunktionen sind kostenlos. Monatliche Lizenzgebühren fallen bei erweiterten Funktionen an. Alle Meldungen werden nach abschließender Bewertung vom Hersteller an die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) weitergeleitet und in einer zentralen Datenbank gespeichert.
Es überrascht, dass nebenwirkungen.de als privatwirtschaftliche Firma thematisch einen ähnlichen Bereich abdeckt, wie es das BfArM und das PEI als Behörden tun. Wo ist das Plus der neuen Website? Den Gründern zufolge hat das etablierte Verfahren der Behörden mehrere Nachteile: Es sei kaum bekannt und für Health Professionals zu aufwändig. Melden sich Patienten mit dem Verdacht auf Nebenwirkungen bei ihrem Arzt, ändere er einfach die Medikation. Zeit, Meldungen dazu zu verfassen, hat er nur selten. Bei nebenwirkungen.de werde der Patient selbst aktiv. Sein Arzt oder Apotheker könne sich bei Bedarf mit geringem Zeitaufwand einklinken.
Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) sieht solche Angebote kritisch. In einer Stellungnahme schreibt sie, es existiere schon lange „ein gesetzlich etabliertes und wirksames System, um Nebenwirkungen zu erfassen und Maßnahmen zur Risikominderung einzuleiten.“ Die Verarbeitung von sensiblen medizinischen Daten einzelner Patienten im Zusammenhang mit der Arzneimittelsicherheit durch ein gewinnorientiertes Unternehmen werde abgelehnt. „Während die Aktivitäten pharmazeutischer Unternehmen in der Arzneimittelsicherheit z. B. durch Auditierungen von Behörden überprüft werden, ist eine staatliche Kontrolle für Unternehmen, die Nebenwirkungsmeldungen weitervermitteln, im Arzneimittelgesetz nicht geregelt.“
Unklar bleibe auch, welche zusätzlichen Kosten für die öffentliche Gesundheit entstünden, falls private Unternehmen Nebenwirkungsmeldungen innerhalb des bestehenden Systems weitervermittelten.
Ob das Portal langfristig mehr Erfolg hat als etablierte Wege der Meldung, wird sich zeigen.
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