Ein neues Positionspapier sorgt für Schlagzeilen: Die Europäische Kommission hat Ende Januar Vorschläge veröffentlicht, wie EU und USA im Bereich Generika zusammenarbeiten könnten. Fallen störende Hürden – oder kommt die Pillenflut?
Im Oktober 2015 sorgte Wikileaks einmal mehr für Schlagzeilen. Die Whistleblower-Plattform veröffentlichte Dokumente zur transpazifischen Partnerschaft (Trans-Pacific Partnership, TPP). An dem geplanten Handelsabkommen wollen sich die USA, Australien, Brunei, Chile, Japan, Kanada, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam beteiligen. „Public Citizen“, eine bürgernahe Interessenvertretung, befürchtet Einschränkungen bei der weltweiten Versorgung. Das hat mehrere Gründe. NGO-Vertreter rechnen mit Verschärfungen beim Patentrecht und mit dem späteren Markteintritt von Generika. Patienten in TPP-Mitgliedsstaaten hätten einen schlechteren Zugang zu Medikamenten, erklärt Peter Maybarduk von „Public Citizen“. Kein Einzelfall: Auch das „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA) führe zu Restriktionen, kritisieren Patientenvertreter. Bei der Europäischen Kommission läuten alle Alarmglocken – ähnliche Vorwürfe stehen bei der transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) im Raum.
Dass Generika einmal mehr im Fokus stehen, verwundert niemanden. Hierzulande verlieren in den nächsten fünf Jahren Wirkstoffe mit einem Umsatz von fünf Milliarden US-Dollar ihren Patentschutz, scheibt Pro Generika auf Basis von Zahlen des Informationsdienstleisters IMS Health. „Generika und Biosimilars lösen nach dem Patentablauf einen Wettbewerb aus, der zu sinkenden Behandlungskosten führt“, kommentiert der Branchenverband. Zum Vergleich: In Frankreich sollen bis 2020 Arzneimittel für 3,8 Milliarden Dollar aus dem Patent laufen, in Großbritannien sind es 2,1 Milliarden Dollar und in Italien von 3,2 Milliarden Dollar. Kein Wunder, dass Europapolitiker großen Handlungsbedarf sehen.
Jetzt hat die Handelskommissarin Cecilia Malmström ein technisches Papier veröffentlicht. Bei TTIP sieht sie mehrere Maßnahmenpakete vor. Malmström wünscht sich einen besseren Zugang zu Generika bei gleichbleibend hohen Qualitätsstandards. Im Dokument erwähnt sie länderübergreifende regulatorische Standards. Seit 2012 stehen europäische Zulassungsbehörden mit Kollegen aus Kanada, der Schweiz, Taiwan, den USA, Australien und aus weiteren Ländern in Kontakt. Gemeinsam versuchen sie, Tests zu harmonisieren und Ressourcen zu sparen. Europäische Arzneimittelbehörden, Swissmedic, Health Canada, die australische Therapeutic Goods Administration (TGA) und die Taiwan Food And Drug Administration testen im Rahmen der „International Generic Drug Regulators Programme” (IGDRP), wie sich Daten optimal austauschen lassen. Strebt eine Firma künftig Zulassungen in mehreren Ländern an, reicht sie ihre Unterlagen parallel bei allen kooperierenden Behörden ein. Hat die European Medicines Agency (EMA) beispielsweise alle Fäden in ihrer Hand, übermitteln EMA-Experten Berichte an Partnerbehörden. Diese führen keine weiteren Prüfungen durch, sondern erteilen im besten Falle auch eine Zulassung. Doch der Teufel steckt im Detail.
Bei Generika stehen Fragen zur Bioverfügbarkeit im Mittelpunkt. Dazu ein Blick auf das biopharmazeutische Klassifizierungssystem (Biopharmaceutics Classification System, BCS). Löslichkeit und Permeationsvermögen durch Biomembranen gelten hier als zentrale Größen.
Für perorale galenische Formen kann ein pharmazeutischer Hersteller BCS-basierte Biowaiver, sprich den offiziellen Verzicht auf Bioäquivalenzstudien, beantragen. Wichtige Voraussetzungen sind neben einer guten Löslichkeit (BCS Klasse I oder III) die schnelle Verfügbarkeit. Mindestens 85 Prozent des Wirkstoffs müssen innerhalb von 30 Minuten (BCS Klasse I) beziehungsweise 15 Minuten (BCS Klasse III) freigesetzt werden. Als weitere Kriterien kommen eine ausreichende therapeutische Breite und pharmakodynamische Daten mit hinzu. Sowohl die EU als auch die USA haben eigene Vorgaben entwickelt. Cecilia Malmström wünscht sich jetzt, entsprechende Regelungen zu harmonisieren. Pharmaka ohne BCS-basierte Biowaiver stehen ebenfalls auf ihrer Agenda. Die Kommissarin will vermeiden, dass Firmen klinische Studien mehrfach durchführen. Möglich wäre, hier auf Daten von Referenzprodukten zuzugreifen, die bereits außerhalb der EU zugelassen wurden.
Erwartungsgemäß lösten Malmströms Vorschläge ein geteiltes Echo aus. Pro Generika sieht zahlreiche Vorteile. „Die USA und die EU haben weltweit die höchsten Standards für die Zulassung von Arzneimitteln“, erklärt Geschäftsführer Bork Bretthauer. „Wenn es gelingt, diese Regeln einander anzupassen, wie in dem aktuellen Papier vorgeschlagen, könnten Generika und Biosimilars zum Beispiel in den USA schneller auf den Markt kommen.“ Entsprechende Präparate hätten mit ihrer Zulassung belegt, dass sie die gleiche Wirksamkeit und die gleiche Qualität wie die sogenannten Originalarzneimittel haben, seien aber deutlich günstiger. Jörg Schaaber von der industriekritischen BUKO Pharma-Kampagne teilt diesen Optimismus nicht. „Unsere Befürchtung ist, dass es schwieriger wird, unsinnige oder weniger wirksame Produkte von der Erstattung auszuschließen.“ Bleibt als schwacher Trost: Mit einem schnellen Konsens rechnet bei TTIP niemand.