Wir sehen das Röntgenbild einer Coxarthrose bei einer 92-jährigen Patientin und der leitende Oberarzt schlägt vor, ihr eine künstliche Hüftprothese einzusetzen. Ich rolle genervt mit den Augen.
Muss man denn jeden operativ versorgen, der nicht schnell genug wegrennen kann? – frage ich mich.
Der Arzt neben mir schüttelt ebenfalls den Kopf. „Gebt ihr doch ein Schmerzmittel und lasst sie nach Hause. Selbst wenn sie noch fit ist, ist sie das nach der OP nicht mehr. Da liegt sie delirant auf der Intensivstation, luxiert sich die frisch implantierte Hüfte oder stürzt, muss nachoperiert werden und läuft nie wieder selbstständig. Lebensqualität geht auch mit Schmerzmittel."
Ich mag seine zuversichtliche Art.
Der leitende Oberarzt plant sie elektiv ins Programm der nächsten Woche.
Als ich die 92-jährige Patientin aufkläre, bin ich überrascht: ich sitze vor einer rüstigen alten Dame, die ich höchstens auf Ende 70 geschätzt hätte. Sie nimmt Vitaminpräparate und einen Magenschutz, versorgt sich selbstständig zu Hause und geht aufgrund der Schmerzen an einem Stock. Ich frage mich: Ist eine OP doch sinnvoll?
Wir implantieren ihr komplikationslos eine Prothese, 7 Tage nach der OP wird sie in eine Reha verlegt. Nach 6 Wochen ist sie indoor ohne Gehhilfen mobil und schmerzfrei. Sie kann sich wieder selbst versorgen, kauft ein und kocht. Die Entscheidung zu operieren, war richtig.
Bildquelle: Les Chatfield, flickr